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Die Strohmannfabrik – Zu Texten Margarete Stokowskis

Was ist eigentlich dieser Feminismus? Dritter Teil einer Reihe nach Empfehlungen der Süddeutschen Zeitung: Margarete Stokowski

Zur Gewalt von Hooligans bei der Fußball-Europameisterschaft veröffentlichte Margarete Stokowski im Spiegel vor einer Weile einen viel diskutierten Text, der Gewalt als männlich und Männlichkeit als tendenziell gewalttätig präsentierte. Es ist ein Junge: Schon der Titel suggeriert, dass Männer ihre ihnen zugeschriebene Gewaltnähe von der Kindheit an mitbringen.

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gandhi

Nein, natürlich sind nicht alle Männer gewalttätig. Allerdings müssen ALLE überlegen, welchen Anteil sie an der toxischen Männlichkeit haben….

Es passt also, dass der dritte Teil der Serie zu Empfehlungen der Süddeutschen Zeitung, Feministinnen, die Sie kennen sollten, Margarete Stokowskis Texte zum Thema hat. Allerdings lohnt nicht allein die Spiegel-Kolumnistin selbst die Auseinandersetzung – wohl aber die Tatsache, dass an ihrem Beispiel gut gezeigt werden kann, welche Folgen die Umwandlung eines politischen Dialogs in einen Monolog hat.

Erste Folge: Rechtsstaat, Regen, Ressentiments. Antje Schrups Differenzfeminismus

Zweite Folge: Der Jürgen Drews des deutschen Feminismus. Anne Wizoreks Aufschrei-Feminismus

3. Die Strohmannfabrik – Margarete Stokwoskis feministischer Journalismus

Schon der Anfang stimmt nicht:

„Kommt es zu einer Gewalttat, fragen wir nach der Geschichte des Täters, nach seiner Herkunft, nach seiner Ideologie und seiner Motivation. Nach dem Geschlecht zu fragen, haben wir uns abgewöhnt. Warum?“

Das ist ungefähr so, als würde die Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski interessiert fragen, warum wir aufgehört hätten, uns für Fußball zu interessieren. Was nämlich versteht sie in ihrem Text „Es ist ein Junge“ unter „abgewöhnt“?

Eine EU-Studie ist von Beginn an so angelegt, dass in ihr Gewaltopfer weiblich, Täter aber männlich erscheinen, Schwesigs Familienministerium fährt eine Kampagne zur häuslichen Gewalt, die im unbekümmerten Widerspruch zur Forschungslage häusliche Gewalt als männlich und Gewaltopfer als weiblich hinstellt – und befindet sich damit ganz im Mainstream regierungsamtlicher Gewaltdarstellungen.

Gewalt von Männern wird auch außerhalb von Institutionen als wesentlich schwerwiegender wahrgenommen als Gewalt von Frauen, wenn diese nicht gleich rundweg als männlich definiert wird.

Der Deutschlandfunk räsonniert offen darüber, dass Gewalt „in allen Männern“ angelegt sei, der Vize der Hamburger Grünen bezeichnet mit billigender Zustimmung seiner Partei Männer generell als „potenzielle Vergewaltiger“.

In der Jungenpädagogik werden auch offen autoritäre, manipulative Erziehungsmethoden legitimiert mit der Behauptung, dass Jungen die angeblich für sie so typische Gewalt abgewöhnt werden müsse.

In der Soziologie bekommt niemand Probleme, der ressentimentgeladen über eine „enge Verknüpfung zwischen Männlichkeit und Gewalt“ schreibt oder Gewalt als „Ressource zur Herstellung von Männlichkeit“ präsentiert. Gleich ein ganzer Sammelband beschäftigt sich damit, dass Gewalt „ein männliches Phänomen“ sei.

Einem psychisch kranken Mann, der in den USA vier Männer und zwei Frauen erschießt, wird schnell und auf internationaler journalistischer Front Frauenhass als Motiv unterstellt, geboren aus männlichem Geltungsstreben – der rechtsradikale Massenmörder Anders Breivik wird als antifeministischer Amokläufer hingestellt, der die Unterstützung von Männerrechtlern habe. Wie selbstverständlich bleibt diese Unterstellung unbelegt, wird aber häufig wiederholt.

Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Die „Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt“, die Stokowski als „ein weltweites Phänomen“ und zugleich als Tabuthema präsentiert, ist also tatsächlich eines der beliebtesten Klischees des Redens über Gewalt und des Redens über Männlichkeit.

Toxische Männer und friedfertige Frauen

Dabei ist diese Verknüpfung keineswegs so zwingend, wie die Spiegel-Kolumnistin sie darstellt. Tatsächlich werden die meisten Gewalttaten im öffentlichen Raum von Männern verübt, aber im häuslichen Bereich ist die Gewalt von Männern und Frauen weitgehend ausgeglichen, und Kinder werden gar – mit der Ausnahme sexueller Gewalt – von Müttern deutlich häufiger misshandelt als von Vätern. Tatsächlich ist Männlichkeit also – ganz so, wie das traditionellen Geschlechterfunktionen entspricht – nicht spezifisch mit Gewalt, sondern eher mit dem Agieren im öffentlichen Raum verknüpft.

Dafür spricht zum Beispiel, dass Männer den weitaus überwiegenden Anteil der Erwerbsarbeit leisten, sich gleichwohl auch noch deutlich häufiger als Frauen in ehrenamtlichen Tätigkeiten engagieren und sehr viel häufiger in Parteien aktiv sind.

Doch solche Abwägungen meidet Stokowski. Statt dessen präsentiert sie eine willkürlich zusammengestellte Reihung von Gewalttaten, die durch Männer verübt wurden, hält es „nur mit Mühe“ für vorstellbar, dass Frauen solche Taten begehen könnten, und behauptet, wir verfügten

„über einen riesigen Apparat aus Rechtfertigungsstrategien für Gewalt durch Männer“.

Natürlich aber ist es unseriös, aus einer Reihung von Einzelfällen ein Muster für eine ganze Gruppe zu konstruieren: Das ist eben die Art und Weise, in der Rechtsradikale das Bild des ständig gewaltbereiten Ausländers konstruieren.  Stokowskis Spiegel-Text ist damit, unter anderem, ein Beleg dafür, dass Grenzen zwischen Qualitäts- und Boulevardjournalismus längst aufgeweicht sind.  Ganz ähnlich wie sie geht beispielsweise die Bild-Zeitung vor, wenn sie eine erschreckende Reihe der „schlimmsten Sex-Lehrerinnen“ präsentiert und nach einer Reihe von sexuellen Übergriffen durch Frauen treuherzig fragt: „Was ist an Amerikas Schulen los?“  Doch immerhin fordert die Bild-Zeitung nicht, dass sich Lehrerinnen in Zukunft generell von Schülern fernhalten sollten, und sie räsonniert auch nicht über eine die Schulen „vergiftende Weiblichkeit“.

Anders Stokowski, die unbekümmert mit dem Begriff der „toxic masculinity“ hantiert, als wäre es belanglos, dass die Gift-Metapher schon lange wichtiger Bestandteil rechtsradikaler, antihumaner Politik ist. Für die Nationalsozialisten war schon die bloße Existenz von Juden – anknüpfend an die Brunnenvergiftungs-Legenden des Mittelalters – eine Volksvergiftung. Gift wiederum ist etwas Fremdes, das in das Eigene eindringt – es zerstört den reinen, gesunden „Volkskörper“ – es breitet sich aus, wenn es nicht gestoppt wird – und die Vergiftung ist heimtückisch. Die offenkundige Eignung der Metapher für rechtsradikale Propaganda müsste eigentlich ein Grund sein, mit ihr in demokratischen Diskursen vorsichtig umzugehen.

Zudem ist der Begriff der toxic masculinity, der vergiftenden Männlichkeit, auf gefährliche Weise mehrdeutig. Er lässt sich leicht so verstehen, dass es sich auf Männlichkeit generell bezöge – aber kann zugleich einschränkend immer dadurch entschärft werden, dass es sich keineswegs auf alle Männer bezöge, sondern nur auf eine bestimmte, besonders destruktive Spielart der masculinity. („Milliarden Männer haben noch nie jemanden umgebracht oder auch nur verletzen wollen. Aber…“) Gerade diese Mehrdeutigkeit würde Menschen wohl davon abhalten, etwa von einer vergiftenden Weiblichkeit oder einem vergiftenden Islam zu sprechen.

Ob der Begriff nun auf abstrakte Männlichkeitskonzepte bezogen wird oder auf konkrete Männer, die diese Konzepte repräsentieren – er zieht unweigerlich eine Grenze zwischen den Gesunden und den Vergiftenden, den gefährdeten Menschen und den gefährdenden Elementen in einer Bevölkerung, und er etabliert eine klare Hierarchie zwischen ihnen. Entsprechend beendet Stokowski ihren Text auch mit einer konkreten Aufforderung an Männer: Sie sollten doch die Straßenseite wechseln, wenn ihnen nachts eine Frau begegne.

Die Vorstellung, dass Männlichkeit gewalttätig und Gewalt männlich sei, suggeriert zugleich die Vorstellung einer friedfertigen Weiblichkeit. Mit der Idee der „friedfertigen Frau“  war die Psychoanalytikerin Margarethe Mitscherlich in den Achtziger Jahren erfolgreich. Bei Mitscherlich waren Frauen unschuldig an der Gewalt des Nationalsozialismus – sie seien auch nicht aus sich selbst heraus antisemitisch gewesen, sondern hätten sich dem Antisemitismus der Männer angepasst, um die Beziehung zu ihnen nicht zu gefährden. So ist denn bei Mitscherlich selbst der der massenmörderische nationalsozialistische Judenhass im Kern ein Ausdruck von Liebe und Mitmenschlichkeit – solange er eben als weiblich verstanden wird.

Die Konstruktion einer gewalttätigen Männlichkeit und einer friedfertigen Weiblichkeit ermöglicht damit die Illusion, dass das deutsche Volk in seinem Kern selbst im Nationalsozialismus friedlich und human geblieben sei. Die Konstruktion greift dabei auf eben die Geschlechterfunktionen zurück, die der Nationalsozialismus propagiert hat: mit Frauen, den guten deutschen Müttern, im Zentrum des Volkes – und soldatischen, gewaltbereiten Männern, die sich opfern und die schuldig werden, um die Unschuld der deutschen Mutter zu bewahren.

Mitscherlichs Text ist in dieser Hinsicht der seltsame Versuch, den Faschismus zu überwinden, indem er seine Geschlechterordnung fortsetzt.

Die Strohmannfabrik

Für die Spiegel-Kolumnistin aber spielt es keine Rolle, in welchen Traditionen sie agiert oder welche Funktion ein Konstrukt erfüllt, das Gewalttätigkeit an Männer delegiert. Eine solche Bereitschaft zur Selbstkritik wäre ein Bruch in der Logik ihrer Texte.

Nach den erheblichen sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht empört sich Stokowski über den Vorwurf an Feministinnen, sie würden die Übergriffe „verharmlosen“. Natürlich ließe sich nur mit einem Blick auf die Zitate, auf die sich dieser Vorwurf bezieht, seine Stimmigkeit überprüfen – beispielsweise mit einem Blick auf die gängigen Vergleiche des massiven Übergriffe mit dem Oktoberfest.  „Pograpschen ist in Deutschland eben erst in Zusammenhang mit Handyklau ein Problem“, schreibt Antje Schrupp noch Monate später, ganz im Einklang mit Stokowskis Spiegel-Kollegen Jakob Augstein, der die Aufregung über „ein paar grapschende Ausländer“  lächerlich gemacht hatte.

Dabei hätte das Erschrecken über die Kölner Übergriffe Anlass für die ermutigende Überlegung sein können, dass wir möglicherweise eben nicht in einer Rape Culture leben, in der sexuelle Übergriffe auf Frauen als normal wahrgenommen werden. Stattdessen unterstellt Stokowski ein anderes Motiv:

„Die eigenen Frauen will der gute Deutsche immer noch selbst belästigen dürfen.“

Wer über die Kölner Gewalt erschrocken sei und sich empöre, sei nicht allein sexistisch, sondern auch rassistisch, dulde eben nicht, dass sich Ausländer in die gängige sexuelle Belästigung deutscher Frauen durch deutsche Männer hineindrängeln.

Die beliebige Zuschreibung an andere erspart Stokwoski hier eine Überprüfung der eigenen Position – so wie in vielen anderen ihrer Texte. Kritik am Feminismus ist dann z.B., wie auch sonst, durch Geilheit motiviert („Das Geilste, was Antifeministen sich in ihren feuchtesten Träumen ausdenken können, sind Frauen, die sich gegenseitig bekämpfen und beschimpfen“). Wer den Gesetzesentwurf zum Verbot sexualisierter Werbung kritisiere, versucht selbstverständlich keineswegs, Freiheiten gegen staatliche Eingriffe zu verteidigen – hier kämpften einfach nur

„wackere Ritter dafür, dass sie morgens auf dem Weg zur Arbeit auch weiterhin Brüste an Sommerreifen serviert kriegen“.

Wer gegen die Verschärfung des Sexualstrafrechts sei, wolle einfach nur „die Welt für Männer noch gemütlicher machen“ und ginge „traditionell und frauenfeindlich“ davon aus, dass Frauen irrationale Wesen wären, die mit Freiheit nicht umgehen könnten.   Überhaupt seien in den Medien „die kleinen Geier vom Institut für korrekte Frauenkörpernutzung“ tätig, , die beständig darauf achten würden, wie Frauen sich benehmen. Dass das Verhalten von Männern nicht weniger reguliert wird – dass schon eine als unpassend empfundene Kleidungswahl eines Mannes zu einem massiven Shitstorm führen kann – ist hier natürlich nicht wichtig und überhaupt auch etwas ganz Anderes.

Ein „Strohmann-Argument“  unterstellt dem Gegner Positionen, die dieser gar nicht bezieht – baut also gleichsam einen Strohmann auf, der leichter abzuräumen ist als der reale Gegner. Stokowski betreibt in ihren Kolumnen eine Strohmann-Fabrik. Einerseits agiert sie in Freund-Feind-Mustern, die unsinnig wären, wenn sie keine Feinde vorweisen könnte. Andererseits aber würde sie in die Verlegenheit geraten, ihre eigene Position überprüfen zu müssen, wenn sie die Positionen dieser Gegner ehrlich darstellte. Also setzt sie sich mit Zerrbildern auseinander, die sie selbst zu eben diesem Zweck entworfen hat.

Wie monologisch ihre Texte dadurch werden, zeigt gerade eine Kolumne, die formell dialogisch ausgerichtet ist, die nämlich ausschließlich aus Fragen besteht.  Die letzte davon:

„Muss man jedes Mal einzeln sagen, wen man respektiert, auch wenn es alle sind?“

Schon der zweite Kommentar dazu formuliert, was ohnehin offensichtlich ist, dass nämlich Stokowski „Suggestivfragen“ formuliere, auf die sie gar keine Antwort wolle:

„Es handelt sich also nicht um das Bedürfnis, die Meinung des imaginären Gegenüber zu erfahren, sondern ebenfalls um Meinungsäusserung.“ 

In solch einer monologischen Struktur, die anderen kein reales Rederecht einräumt und sie bloß über Projektionen der eigenen Ressentiments anwesend sein lässt, ist es nicht notwendig, schlüssige und kohärente Argumente zu entwickeln.

„Dabei ist es eines der großen Ziele des Feminismus, dass Frauen dieselbe unqualifizierte Scheiße reden und tun dürfen wie Männer, ohne dafür härter oder weniger hart bestraft zu werden,“

behauptet Stokowski in ihrer neuesten Kolumne. Beim letzten Teil der Aussage bin ich mir nicht ganz sicher, aber ansonsten hat der Feminismus sein Ziel offenkundig erreicht – wenn er denn überhaupt jemals nötig war. Stokowski jedenfalls schreibt, als sei sie mit der Superkraft ausgestattet worden, zu jedem beliebigen Thema den unterstellendsten und einfach bescheuertsten Kommentar abzugeben, der in geläufiger Umgangssprache formuliert werden kann.

Zwischendurch aber wendet sie sich plötzlich direkt an einen Mann, der sie auf Facebook beschimpft und bedroht hat („Nimm die Hand aus der Hose, wenn ich mit dir rede.“),  fordert ihn auf, zu argumentieren und nicht nur rumzupöbeln, und gibt sich gesprächsbereit.  Ausgerechnet ein Mann, der sich durch seine Gewaltverliebtheit und skrupellose Übergriffigkeit ohnehin gründlich diskreditiert, erhält dann doch Rederecht.

In einer anderen Kolumne mokiert sie sich, ebenso unversehens milde gestimmt, über die Idee eines Geschlechterkrieges:

„Wir reden so viel über Hetze gerade, über Stimmungsmache und Populismus und wie Leute gegeneinander aufgestachelt werden, indem zu viel Scheiße geredet wird.“

Eine Woche später veröffentlicht sie dann ihren Text zu Männlichkeit und Gewalt.

Posen und Projektionen. Und Donald Trump.

„Ich probiere Geschichten an wie Kleider“, behauptet der Erzähler von Max Frischs Roman Mein Name sei Gantenbein. Stokowski probiert nicht einmal Geschichten an, sondern Posen. Von der vermittelnden Aufforderung zur abwägenden Vernunft unvermittelt hin zum faschistoiden Geholze, von beliebigen Unterstellungen der Geilheit und der Vergewaltigungsgier hin zum verbindlichen Dialogangebot – das sie allerdings allein einem Mann macht, von dem sie weiß, dass er es ohnehin nicht annehmen wird.

Eben wegen der monologischen Struktur, in der diese Posen ihren Platz haben, lohnt sich überhaupt der nähere Blick auf Stokowskis Texte. Ansonsten besetzt sie unter den Spiegel-Kolumnisten einfach die Position der munteren Holzhammer-Feministin, die vor ihr Silke Burmester ausfüllte.  Stokowskis Dauer-Monolog aber spiegelt mehr wieder als nur ihre eigene Person. Ob nun Antje Schrupps Vorliebe für Filterbubbles oder Wizoreks Umdeutung von Kritik in Hate Speech – Stokowski arbeitet im Selbstversuch heraus, welche Konsequenzen die Umwandlung der politischen Debatte in einen Dauermonolog hat.

Der politische Gegner ist hier erstens nur noch über Projektionen anwesend und kann beliebig vorgeführt werden, ohne dass eine seriöse Wiedergabe seiner Positionen auch nur simuliert würde. Das dient zugleich der Einschüchterung: Kritiker wissen, dass sie bei Reaktionen auf ihre Kritik nicht mit Fairness rechnen dürfen, sondern darauf vorbereitet sein müssen, sich öffentlich mit beliebigen Unterstellungen bloßstellen zu lassen. Der Publizist Jörg Friedrich hat gerade darüber geschrieben, wie aufgrund solcher Befürchtungen die „Liste der Texte“, die er nicht schreibe, länger werde: „Mir macht meine Schreibangst Angst.“ (Dazu auch Arne Hoffmann.)

Zweitens aber ist auch die eigene Position nicht präsent, wird nirgendwo deutlich, bleibt beliebig. Da das Gegenüber fehlt, fehlt auch der Anspruch, sich mit den kritischen Fragen von Gegnern auseinanderzusetzen, die eigene Position daran zu schärfen. Es fehlt der – wichtige – Druck, mit Kohärenzerwartungen konfrontiert zu sein, Widersprüche der eigenen Position wahrzunehmen, ein halbwegs schlüssiges, glaubwürdiges und zusammenhängendes Gesamtbild zu präsentieren.

So wie die Gegner nur in Projektionen anwesend sind, kann dann auch die eigene Person und Position beliebig projiziert werden, ganz entsprechend der eigenen Wunschbilder und momentanen Vorlieben. Anstatt dafür verantwortlich zu sein, sich selbst anderen auf eine halbwegs schlüssige Weise zu präsentieren, können diese anderen verpflichtet werden, die jeweilige beliebige Selbstinszenierung als Ausdruck ernsthafter und gewichtiger Gedanken zu respektieren. Der Gegner ist so nur als Farce oder als Monstrum vorhanden, die eigene Person nur als Pose.

Eine empirische Wirklichkeit verliert dabei, drittens, an Bedeutung. Da es ohnehin keine gemeinsame soziale und politische Realität und keine gemeinsamen Wahrheitsansprüche gibt, kann als Wirklichkeit jeweils das präsentiert werden, was zu den gerade favorisierten Posen und Projektionen passt. Eine politische Debatte wird dabei sinnlos.

Eine solche Ästhetisierung des Politischen hat Walter Benjamin übrigens als typisch für den Faschismus beschrieben. Das ist schlüssig. Der unbedingte Anspruch, die eigenen Projektionen und Selbst-Präsentationen als gewichtig und gravierend durchzusetzen, kann die Konzentration auf politische und empirische Realitäten nur als sinnlose Störung verbuchen. Der reale politische Diskurs wird als Tätigkeit einer Quasselbude wahrgenommen, weil es ohnehin nicht vorstellbar ist, dass politische Gegner Substanzielles beitragen könnten. Politische Fakten und soziale Daten sind dann nur eben so lange von Belang, wie sie die eigenen Projektionen unterstützen.

Daraus aber folgt noch nicht, dass Positionen Stokowskis faschistoid wären, und eine Diskussion darüber wäre auch müßig. In ihrer Hemmungslosigkeit, ihrer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, ihrer Verachtung für zivile Fairnessregeln und für die Treue zu emprischen Daten gleichen einige ihrer Texte zwar Äußerungen Donald Trumps, aber von dessen politischem Einfluss ist die Spiegel-Kolumnistin nun einmal weit entfernt.

Viel wichtiger ist ohnehin: Bei Stokowski wird der Irrglaube offenkundig, es könne zur Humanisierung einer Gesellschaft beitragen, wenn der demokratische Dialog durch einen Monolog der moralisch Überlegenen ersetzt wird.

Wer die menschliche Gesellschaft will, muss eben nicht die männliche überwinden, sondern die verschiedenen Teile der Gesellschaft miteinander ins Gespräch bringen.


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