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Frauenfeindlichkeit und Feminismus

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(m)tl; dr Die große Zahl von Beispielen für Frauenfeindlichkeit im Feminismus hat wesentlich zwei Ursachen: die Vorstellung eines Kollektivs der Frauen und die Vorstellung einer Männerherrschaft, die dieses Kollektiv überhaupt begründe. Es ist vor allem ein sozialer Dünkel, der sich in dieser Frauenfeindschaft ausdrückt.

„Entgegen allem Anschein, den der Feminismus versucht, zu erwecken, ist diese Ideologie nicht nur offensichtlich männerfeindlich (worauf ich in diesem Post aber nicht eingehen möchte), sondern auch latent frauenfeindlich und frauenverachtend.“

So beginnt eine Wutrede, ein Rant, den die Bloggerin Anne Nühm vor einer Woche veröffentlicht hat: Frauenverachtung im Feminismus. Wesentlicher Grund für diese Verachtung ist in Nühms Augen „eine Bevormundung, die Frauen als nicht fähig ansieht, selbst über ihr eigenes Leben zu bestimmen.“

Eine ganz ähnliche Position vertritt auch die Journalistin Jelena Keller, die in derselben Woche von Christian Schmidt bei Alles Evolution zitiert wird. Sie formuliert ein

„klassisches feministisches Dilemma Was wenn die Frauen gar nicht das wollen, was der Feminismus will? Anita Sarkeesian hatte das Problem mal so aufgelöst ‘Feminism is about the collective liberation of women as a social class. Feminism is not about personal choice.’”

Die Befreiung des Kollektivs der Frauen, nicht die persönliche Entscheidungsfreiheit einzelner Frauen sei also das Anliegen des Feminismus: Hier drückt sich die „Frauenverachtung“, die Anne Nühm unterstellt, vor allem in der Missachtung der Autonomie einzelner Frauen aus. Die nämlich könne die „Befreiung“ des Kollektivs der Frauen – was immer das sein mag – behindern.

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Natürlich kann diese Aussage allein darauf beruhen, dass die junge Frau einfach nicht weiß, worüber sie redet.

Die Behauptung aber, dass ausgerechnet der Feminismus „frauenfeindlich und frauenverachtend“ sei, lässt sich nicht überprüfen, ohne Beispiele anzuführen.

Wo Frauen dem Feminismus im Weg stehen

„Also die Hausfrau, die sich mein Kollege zu Hause hält, um mit mir besser konkurrieren zu können, weil ich mir so was nicht halte, die unterstütze ich weder steuerlich noch sonstwie. Überhaupt null. (…) Diesen weiblichen Lebensentwurf unterstütze ich nicht, sondern bekämpfe ihn, wo ich ihn treffe.“

Es ist kein aggressiver (weißer, wütender) Single-Mann, der hier in dieser Weise Hausfrauen als tierische Wesen beschreibt, die man sich „zu Hause hält“, und der seine Entschlossenheit zum Kampf gegen sie betont. Es ist nicht einmal eine unbekannte Netzfeministin – sondern eine sozialdemokratische Politikerin, die Ministerin in Hessen war, Senatorin in Berlin und nach dem Ende ihrer Ministerinnen-Karriere (das sie unter anderem der Verwendung öffentlicher Gelder für private Zwecke zu verdanken hatte) Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts bei der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.

Dass Heide Pfarr, von der das Zitat stammt, trotz ihrer beachtlichen Aggressivität gegenüber vielen Frauen so weich fiel, ist kein Einzelfall. Tatsächlich gibt es in der Geschichte der neueren feministischen Frauenbewegung viele Angriffe gegen einzelne Frauen oder gegen Gruppen von Frauen, und das schon seit Jahrzehnten. Bereits Simone de Beauvoir beschimpft in ihrem Grundlagenwerk des neueren Feminismus, Das andere Geschlecht, bürgerliche Hausfrauen als die

„nutzlosesten, nichtigsten Wesen, die das Menschengeschlecht je hervorgebracht hat.“ (S. 780)

Auch wer die Hausfrauenehe als Modell nicht für wünschenswert hält, kann irritiert sein von der Heftigkeit, mit der hier Frauen andere Frauen attackieren und ihnen absprechen, überhaupt eigenständig über ihr Leben entscheiden zu können. Noch irritierender werden solche Attacken, wenn sie sich offen gegen Einzelne richten.

Legendär ist die Aggressivität Alice Schwarzers gegen Esther Vilar: Die  christliche Deutsche Schwarzer beschimpfte die jüdische Deutsche Vilar offen als „Faschistin“ und drückte offen ihre Verwunderung darüber aus, dass noch niemand gegen Vilar gewalttätig geworden sei. Das verstanden wohl einige – und mit guten Gründen – als Gewaltaufruf, den sie befolgten: Die Feminismuskritikerin Vilar verließ das Land, nachdem sie Morddrohungen erhalten hatte und bei einer Lesung in der Münchner Bibliothek von vier jungen Frauen zusammengeschlagen worden war.

Diese Gewalt ist nur ein Beispiel unter vielen. Die Gründerin der Frauenhausbewegung, Erin Pizzey, wurde  zum Ziel heftiger Attacken, als sie offen darüber sprach, dass nach ihrer Erfahrung häusliche Gewalt kein Monopol von Männern sei, dass auch Männer Opfer und Frauen Täterinnen seien. Sie wurde auf Veranstaltungen ausgepfiffen, beschimpft, erhielt nach eigenen Angaben Bombendrohungen und Morddrohungen, selbst gegen ihre Kinder. Wenn Du noch einmal behauptest, ich könne gewalttätig sein, dann bringe ich Dich um. 

Als Murray Straus, Richard Gelles und Suzanne Steinmetz ihre Forschung über Männer als Opfer häuslicher Gewalt, „The Battered Husband Syndrome“, veröffentlicht hatten, erlebten sie massive Attacken: Diffamierungen, Beschimpfungen, Gewaltdrohungen. Die Hauptlast („brunt“) der Attacken erlebte nach Informationen von Gelles ausgerechnet Steinmetz, die einzige Frau der Gruppe.

Die „Feministin der ersten Stunde“ Katharina Rutschky, die mit ihrem Buch über die autoritäre Gewalt der „Schwarzen Pädagogik“ bekannt geworden war, erhielt Morddrohungen und wurde auf einer Veranstaltung auch körperlich attackiert. Sie hatte nämlich die hohen Zahlen sexueller Gewalt von Männern gegen Kinder bezweifelt, mit denen Feministinnen argumentierten und dabei von enormen Dunkelziffern ausgingen. Ursula Enders, Gründerin und langjährige Vorsitzende von Zartbitter, erlebte Ähnliches: Sie trat, weil sie sich ähnlich wie Rutschky geäußert und dafür Gewaltdrohungen erhalten hatte, auf überregionalen Veranstaltungen nur mit Bodyguards auf.

Als die Gleichstellungsbeauftragte der kleinen Stadt Goslar, Monika Ebeling, sich auch gegen Benachteiligungen von Männern einsetzte, wurde sie zum Ziel einer Kampagne, die sie aus ihrer Position drängte. Wenn sie später öffentlich auftrat, versuchten feministische Störergruppen gezielt, die Auftritte zu verhindern.

Die Liste der Beispiele ließe sich lange fortsetzen. Dass gerade Frauen von Feministinnen besonders heftig attackiert werden, lässt sich vordergründig leicht erklären: Sie irritieren die Behauptung, Feministinnen würden für alle Frauen sprechen – und Kritik, die sie am Feminismus üben, erscheint als Kollaboration mit dem Feind.

Interessant ist dabei gleichwohl, dass diese Attacken sich nicht einfach gegen Kritikerinnen richten, die als Männer ebenso attackiert worden wären – sondern dass sie spezifisch frauenfeindliche Anteile haben. Die Angriffe zielen immer wieder auf Bereiche, die – zumindest nach verbreiteter Einschätzung – für Frauen in besonderer Weise relevant sind: auf den Bereich der sexuellen Integrität, auf den der Mutterschaft und auf die äußere Erscheinung.

Wo Vergewaltigungsdrohungen plötzlich emanzipatorisch sind

Das erlebte beispielsweise eine Dekanin der University of Virginia. Sie war in einem Rolling Stone-Artikel verleumdet worden, der darüber berichtete, dass eine junge Studentin auf einer Verbindungsparty vergewaltigt worden wäre und dass die Zuständigen der Universität darauf nicht reagiert hätten. Der Vorwurf der Vergewaltigung fiel in sich zusammen, der Artikel basierte auf Falschbehauptungen. Die verleumdete Dekanin, die der Artikel als „Personifikation einer herzlosen Verwaltung“ (personification of a heartless administration) aufgebaut hatte, wurde  nicht nur öffentlich massiv angegriffen, sie erhielt nach eigenen Angaben per Mail auch Mord- und Vergewaltigungsdrohungen – bis hin zu dem Wunsch, dass sie bald eine Tochter haben möge, um zu erleben, wie diese vergewaltigt werde.

Dass Angriffe sich nicht nur gegen sie, sondern auch gegen ihre Familie und Kinder richten, erlebte auch eine junge Frau, die als „Lizzy“ schreibt und die sich in der Gamer Gate-Debatte gegen die feministische Position stellte, dass Gamer sexistisch seien und dass Bildschirmspiele frauenfeindliche Klischees reproduzierten. Als ihr Klarname, ihre Adresse und weitere persönliche Daten von ihren Gegnern veröffentlicht wurden, als sie auch ihre beiden kleinen Kinder bedroht sah, zog sie sich aus der Debatte zurück.

Von feministischen Vergewaltigungswünschen wiederum hatte schon vor Jahren die anarchistische Feministin Wendy McElroy berichtet, die den heute vorherrschenden, institutionalisierten Gender-Feminismus kritisiert: Sie zitiert aus einer Mail, in der ihr eine andere Feministin wünscht, zum Opfer einer Massenvergewaltigung zu werden.

Die Angreifer verstehen diese Vergewaltigungsdrohungen und -wünsche offenbar jeweils als korrektiv und pädagogisch: Wer sich mit dem Patriarchat gemein mache, müsse eben erst einmal erleben, wie brutal die Männerherrschaft tatsächlich sei.

Vor wenigen Wochen wurde nun ein Vergewaltigungsopfer selbst zum Opfer heftiger feministischer Attacken. Die Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde gab an, als junge Frau selbst vergewaltigt worden zu sein, beschreib aber auch, dass sie sich aus heutiger Sicht sehr leichtsinnig verhalten habe, und sie vermied zudem das Wort „rape“. Für ihre Angreiferinnen betrieb sie damit victim blaming, machte Opfer zu Täterinnen, und wurde öffentlich massiv beschimpft.

Von feministischen Morddrohungen wiederum berichtet die feministische Autorin Polly Vernon, die darüber geschrieben hatte, dass ihr Wunsch, schlank und attraktiv zu sein, nicht im Widerspruch zu ihrer feministischen Position stünde.   Aus ganz ähnlichen Gründen ist auch die Bloggerin Erzählmirnix zum Ziel der Attacken von Feministinnen geworden. In dem Buch Fettlogik überwinden wendet sie sich scharf gegen die – oft feministisch begründete – Fat Acceptance-Bewegung, die gesundheitliche Gefahren der Fettleibigkeit erheblich verharmlose.

Als sich Sophia Thomalla, Model und Schauspielerin, bei der Sendung Hart aber fair gegen die Feministin Anne Wizorek stellte, wurde sie dafür Objekt eines Shitstorms bei Twitter und in überregionalen Medien als „dreist“, „dumm“, einfaltig“ und „ungehörig“ verhöhnt.  Gleichstellungsbeauftragte protestierten gegen ihre Beteiligung an der Sendung und attestierten ihr spitz mangelnde „Fachlichkeit“. Dass Thomalla ohne die Unterstützung von Frauenquoten und Gleichstellungspolitik schon lange beruflich erfolgreich ist und ihre Existenz unabhängig von der finanziellen Unterstützung durch Männer bestreiten kann – das hinderte ihre Gegner nicht daran, sie mit dem bewährten Klischee des blonden Dummchens zu belegen, das lieber den Mund halten sollte, wenn ernstzunehmende Erwachsene reden.

Birgit Kelle, die ebenfalls an der Sendung teilnahm und sich dort ebenfalls gegenüber Wizorek kritisch äußerte, erlebt solche Attacken schon lange. Nachdem eine Veranstaltung mit ihr von einer Femen-Gruppe massiv gestört worden war, freuten sich die Störerinnen im Anschluss öffentlich über die „Schelle für Kelle“ und erklärten, dass Kelle schon lange auf ihrer „Abschussliste“ gestanden habe.

Schon diese Auswahl von Beispielen zeigt, dass ganz unterschiedliche Frauen mit ganz unterschiedlichen politischen oder persönlichen Hintergründen zum Ziel massiver Attacken werden können, wenn sie mit öffentlichen Äußerungen von gängigen feministischen Standpunkten abweichen. Dass sie möglicherweise selbst problematische Positionen beziehen, ändert nichts daran, dass die Angriffe gegen sie eigentlich scharf, offen und allgemein verurteilt werden müssten: Menschen müssen nicht rein, unschuldig und unproblematisch sein, um einen Anspruch auf Schutz vor Gewalt, Gewaltdrohungen, Verleumdungskampagnen oder massiven Beleidigungen zu haben.

Wo Männer Feminismus brauchen

Die Schriftstellerin Ann Sterzinger fasst ihre Erfahrung mit männlichen Feministen so zusammen, sie würden „Frauen in eben der schlechten Weise behandeln, wie sie behaupten, dass andere Männer es tun.“ (treat women exactly as badly as they claim all the other guys treat women.)

Dass offene und erhebliche Frauenfeindlichkeit in feministischen Kontexten wie durch Zauberei in eine salonfähige Haltung verwandelt wird, ist möglicherweise eine Erklärung dafür, warum sich auch Männer von diesen Kontexten angezogen fühlen. Als die Journalistin Ronja von Rönne in einem Artikel für die Welt erklärte, sich vor dem heutigen Feminismus zu ekeln, erhielt sie öffentliche Morddrohungen von einem Mann und wurde von einem anderen Mann, einem Redakteur des Bayerischen Rundfunks, öffentlich als „Masturbationsvorlage“ verhöhnt.

Diese ungehemmte Sexualisierung einer Feminismus-Gegnerin hat Tradition. Im Jahr 2013 wurde eine junge Bloggerin, die unter dem Namen „ochdomino“ schrieb, zum Opfer einer massiven Kampagne. Sie hatte sich in Artikeln und Tweets kritisch und auch höhnisch über Feministinnen geäußert und wurde dafür als „Maskutroll Pin-Up“ diffamiert. Nachdem die Netzfeministin Jasna Strick sie auf einem großen Kongress der damals noch wichtigen Piraten-Partei öffentlich, demagogisch und mit Bild als Hetzerin präsentiert hatte, erhielt ochdomino so massive Drohungen, dass sie ihr Blog aus dem Netz nahm.

Der feministische Berliner Professor Anatol Stefanowisch äußerte sich offen genüsslich darüber. Eine solch unverkennbare Freude eines älteren, längst etablierten Mannes über die Notlage einer jungen Frau könnte wohl in keinem anderen Kontext der weiten Öffentlichkeit so klar gezeigt werden, ohne dass dies für den Mann Folgen hätte: Ein feministischer Kontext aber wirkte auch hier wie eine Blanko-Legitimation von Frauenfeindlichkeit.

Die Affäre hatte eine absurde Pointe: Ein Inhaber einer Werbeagentur gab an, ochdomino sei eine bloß virtuelle Person, die er lediglich zu Werbezwecken erfunden habe, um feminismuskritische Männer auf Modeseiten zu lenken. Angesichts der offenkundigen Unglaubwürdigkeit dieser Aussage lag natürlich der Verdacht nahe, dass sie im Wortsinne eine Schutzbehauptung war, weil sich die junge Bloggerin den Attacken auf sie anders nicht mehr entziehen konnte.

Gleichwohl wurde diese Aussage nicht bezweifelt: Die Hetze auf die junge Frau war so heftig, und Männer hatten sich an ihr mit so unverkennbarem Genuss beteiligt, dass eine erhebliche Frauenfeindlichkeit feministischer Positionen für einige Tage offenkundig geworden war. Da alle Angreifer geglaubt hatten, eine reale Person zu treffen, änderte die nachgeschobene Information daran unabhängig von ihrer Glaubwürdigkeit gar nichts. Gleichwohl war die Welt durch die fragwürdige Mitteilung, ochdomino sei bloß die Erfindung eines Manns zum Zwecke der Erzeugung maskulistischer Modeinteressen gewesen, plötzlich wieder in Ordnung: Als ob eine Frau, der durch den Feminismus geschadet wird, per definitionem überhaupt nicht existieren könne.

Eine spezifisch feministische Feindseligkeit gegenüber Frauen ließe sich leicht damit weg-erklären, dass die Frauenfeindlichkeit der Männerherrschaft nun einmal so umfassend sei, dass nicht einmal der Feminismus ganz frei von ihr sein könne. Dagegen aber spricht schon der Umstand, dass misogyne Attacken wie die hier zitierten in anderen als in feministischen Kontexten kaum öffentlich möglich wären, ohne dass sie offen angegriffen würden. In Medien und Institutionen sind, so scheint ist, die heute tonangebenden Spielarten des Feminismus eine wesentliche politische Repräsentation von Frauenfeindlichkeit – zumindest, soweit es darum geht, diese Frauenfeindlichkeit salonfähig zu präsentieren.

Das steht nur scheinbar in einem Widerspruch zur feministischen Idealisierung von Frauen. Im Gegenteil: Dass die kollektive Idealisierung einer Gruppe von Menschen und Aggressionen gegen Einzelne im engen Zusammenhang stehen können, hat bekanntlich lange Traditionen. Die Idealisierung der Frau, der Gottesmutter in der katholischen Kirche ist dort unmittelbar verbunden mit dem Ausschluss real existierender Frauen aus den kirchlichen Hierarchien.

Gleichwohl bleiben die feministischen Aggressionen gegen Frauen erklärungsbedürftig

Wo Werkzeuge plötzlich sprechen können

Als der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte zu Beginn des 19, Jahrhunderts seine „Reden an die deutsche Nation“ verfasste, bestand diese deutsche Nation aus einer unübersehbaren Menge kleinerer und größerer Staaten. Die Gemeinsamkeit einer „Nation“ konnte Fichte allein angesichts eines gemeinsamen Feindes beschwören, nämlich angesichts der französischen Besatzung.

Das ist ein offenkundig widersprüchliches Modell: Die Gemeinsamkeit, die durch den Feind angeblich bedroht wird, entsteht überhaupt erst durch diese Bedrohung. Widersprüchlich ist auch eine Konsequenz davon: Trotz aller Klagen über die „Unterdrückung“ besteht strukturell ein erhebliches Interesse daran, die Vorstellung der Bedrohung unendlich zu verlängern, die Unterdrückung eben nicht zu beenden, weil ohne sie die phantasierte Gemeinsamkeit auseinanderfallen würde.

Trotz solch absurder Konsequenzen hat das Modell Tradition und lässt sich unschwer in heutige Geschlechterdebatten übertragen.

Die Begriffe „Mann“ oder „Frau“ sind als soziale Kategorien kaum brauchbar, weil die Lebensbedingungen der damit Bezeichneten innerhalb von jeder der beiden Gruppen radikal unterschiedlich sind. Es gibt kein Kollektiv der Frauen, keine gemeinsame Klasse – ebenso wenig wie bei den Männern. Die Phantasie eines Kollektivs der Frauen lässt sich nur stützen durch die Beschwörung einer gemeinsamen Bedrohung und Unterdrückung: durch die Männerherrschaft, das „Patriarchat“ oder die „heterosexistische Ordnung“.

Dieses grundlegende Modell der heute vorherrschenden feministischen Spielarten produziert gleich zweifach Frauenfeindlichkeit, und dies nicht zufällig, sondern notwendig: eben durch die Behauptung eines Kollektivs der Frau, und durch die Behauptung einer umfassenden Männerherrschaft.

Wer dann als Frau aus diesem Kollektiv ausscheidet, ist nicht einfach eine Frau, die eine andere Meinung hat – sondern sie versündigt sich an den Frauen insgesamt, kollaboriert auf Kosten anderer mit den Gegnern. Als „Feindin aller Frauen“ beschimpfte beispielweise, ganz ironiefrei, die Kolumnistin Silke Burmester bei Spiegel-Online die damalige Familienministerin Kristina Schröder, weil diese in einem Buch Kritik am heutigen Feminismus geübt und zudem auch noch das Betreuungsgeld zu verantworten hatte.

Doch auch die Phantasie einer Männerherrschaft, die Frauen und Männer als gegnerische Kollektive einander gegenüberstellt, hat frauenfeindliche Konsequenzen – allein schon deshalb, weil die Feindschaft gegen eine Gruppe von Menschen, ist sie erst einmal etabliert, sich unschwer auf andere Gruppen ausweiten lässt.

Vor allem aber leben die meisten Menschen unter solchen ökonomischen Bedingungen, dass sie auf eine Kooperation miteinander angewiesen sind – und das gilt insbesondere für die Kooperation von Männern und Frauen. Kurz: Einen Geschlechterkampf kann nur jemand beschwören, der sich das leisten kann. So ist denn der heutige Feminismus unverkennbar eine Angelegenheit relativ privilegierter, bürgerlicher, akademisch gebildeter Frauen, die ihre eigene Situation in die Situation aller Frauen hineinspiegeln und so ihre politischen  Interessen mit dem Anspruch legitimieren können, Frauen insgesamt zu vertreten.

Dafür aber ist vor allem eines nötig: dass der größte Teil der Frauen still bleibt und nicht widerspricht. Die oben zitierten Beispiele feministischer Frauenfeindlichkeit sind so immer auch als Exempel zu verstehen, die zur Einschüchterung vieler Frauen statuiert werden.

Die gebräuchliche feministische Rede von einer „Objektifizierung“ von Frauen phantasiert also Anteile der eigenen Position in andere hinein. Tatsächlich wird ein Großteil der real existierenden Frauen in feministischen Debatten zum Objekt gemacht, dient als Instrument und Werkzeug zur Durchsetzung partikulärer Interessen. So wie aber ein Tischler irritiert wäre, wenn sein Holzhammer plötzlich beginnen würde, mit ihm zu sprechen – so sind denn auch Vertreterinnen einer feministisch inspirierten Politik irritiert, wenn nicht-feministische Frauen sich plötzlich öffentlich äußern.

Es ist daher auch überhaupt nicht notwendig, zur Erklärung feministischer Frauenfeindlichkeit zu psychologisieren und etwa über einen „weiblichen Selbsthass“ zu spekulieren. Frauen sind nun einmal ebenso wenig ein geschlossenes Kollektiv wie Männer, und was einigen Frauen erheblich schadet, kann anderen Frauen durchaus nutzen. Auch hier liefert die gegenwärtige Familienpolitik ein einprägsames Beispiel.

Die gesetzliche und institutionelle Ausgrenzung von Vätern signalisiert Vätern zugleich, dass ihre Verantwortung für ihre Kinder nicht nötig, ja womöglich auch gar nicht erwünscht ist. Väter, die sich der Sorge für ihre Kinder verweigern, können mit dieser Politik also sehr gut leben – zum Schaden der Kinder und zum Schaden der Mütter. Europaweit ist die Alleinerziehung das größte Armutsrisiko für Kinder.

Einigen privilegierten Müttern jedoch verschafft diese Politik erhebliche Vorteile – den Müttern nämlich, die außergewöhnlich solvente Ex-Partner haben, die finanzielle mütterliche Ansprüche auch tatsächlich bedienen können. Selbst wenn sie nicht verheiratet war, hat eine Mutter Anrecht auf einen Betreuungsunterhalt in der Höhe ihres vorherigen Gehalts, dazu auf Kindesunterhalt und Kindergeld. Durch die Ausgrenzung des Vaters kann sie sich also über mehrere Jahre hinweg selbst eine erhebliche Gehaltserhöhung verschaffen – ohne dafür Erwerbsarbeit leisten zu müssen.

Es ist so durchaus ein sozialer Dünkel, der sich in der feministischen Frauenfeindlichkeit ausdrückt – ein Interesse von relativ privilegierten, in Institutionen abgesicherten Frauen daran, dass andere Frauen ihnen nicht die notwendige Illusion zerstören, sie würden für alle Frauen eintreten.

Es ist wichtig und überfällig, dass Männer, endlich, begonnen haben, sich mit einer solchen Politik offen und kritisch auseinanderzusetzen. Einer der größten Fehler, den Männer dabei machen können, wäre es wohl, wenn sie die feministische Frau-Mann-Frontstellung einfach übernehmen und dabei lediglich die Rollen der Unterdrücker und der Unterdrückten vertauschen würden.

Was Männer heute formulieren, ist nicht nur im Interesse von Männern selbst, sondern kann auch im Interesse vieler Frauen sein. Andererseits gibt es auch Männer, die sich mit den Institutionen einer feministisch inspirierten Politik gut arrangiert und die daher gewiss kein Interesse an einer Öffnung der Debatten haben.

Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden: Es wäre kein vernünftiges Ziel, der inhumanen Formel aus dem SPD-Grundsatzprogramm die komplementäre Inhumanität gegenüberzustellen und die Gesellschaft dadurch menschlicher machen zu wollen, dass sie weniger weiblich wird. Ein vernünftigeres Ziel ist eine Demokratisierung der Debatten im Sinne Deweys: Alle Menschen, die von sozialen Entscheidungen und Prozessen betroffen sind, müssen auch eine entsprechende Möglichkeit der Beteiligung haben.

Das Gegenstück zur heute tonangebenden, feministisch inspirierten Familien- und Geschlechterpolitik ist also keine Idealisierung von Männern, schon gar keine Männerherrschaft, sondern ganz einfach –

Demokratie.

Literatur, soweit nicht verlinkt:

Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, Reinbek 2000

 


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