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Wozu eigentlich brauchen wir eine Wirklichkeit?

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Über Erzählmirnix, Lann Hornscheidt und den Wahnsinn als Methode

„Wissen und damit auch Gesellschaft als immerwährenden Prozess von Aushandlungen zu verstehen“:

Dieses Credo der Gender-Forscherin Franziska Schutzbach fiel mir wieder ein, als ich in vor einigen Tagen über erneuten Shit-Storm gegen die Bloggerin und Autorin Erzählmirnix las. Was Blockadelisten und Shit-Storm-Organisationen mit einem „Prozess von Aushandlungen“ zu tun haben, ist mir allerdings noch nicht ganz klar geworden.

Deutlich klarer ist mir schon die Kritik an diesem Credo, die von der Bloggerin drehumdiebolzeningenieur mit Bezug auf Karl Raimund Popper formuliert wird.

„Nein, Wissen ist in der naturwissenschaftlicher Erkenntnistheorie das Ergebnis der Konfrontation von Theorien und ihren Vorhersagen mit Experimenten. Danach wissen wir, welche Theorien falsch sind, kennen aber noch immer nicht die Wahrheit. Ausgehandelt wird da nichts.”

Kurz: Wissen muss sich in der Welt bewähren.

Das bezweifelt eigentlich auch niemand ernsthaft. Beispielsweise könnten wir durchaus in Aushandlungen zu dem Wissen gelangen, dass alle Menschen unsterblich seien, und alle Beteiligten hätten vermutlich gute Gründe, diesem Ergebnis zuzustimmen. Es würde nur an unserer realen Sterblichkeit in der realen Welt überhaupt nichts ändern.

Junge

Wie unangenehm, die Menschen nicht nur zu sehen, sondern von ihnen auch gesehen zu werden. Leider ist das ein Sachverhalt, der sich beim Leben in einer gemeinsamen Welt kaum vermeiden lässt….

Wir handeln eben nicht einfach irgendetwas aus, sondern müssen uns über reales Handeln in einer gemeinsamen Welt verständigen. Wer Selbstverständlichkeiten wie diese nicht akzeptiert, produziert damit eine ganze Reihe von seltsamen Konsequenzen: Er bezieht Positionen, die absurd sind, erklärt aber Absurdität zur Tugend – er diffamiert gemeinsame Regeln, die zur Kontrolle wissenschaftlicher Ansprüche dienen, als totalitäre Instrumente – und er produziert eine autoritäre, elitäre Politik, die sich nur mit immer größeren Aggressionen gegen ihre Kritiker aufrecht erhalten kann.

Warum wir dann doch nicht der Mittelpunkt des Universums sind

Der amerikanische Philosoph John Dewey hat statt des Begriffs der „Wahrheit“ häufig den der „warranted assertion“, der „belohnten Behauptung“ benutzt. Was Popper formuliert, steht dem sehr nahe. Wir können, wenn wir über die Welt sprechen, keine ewigen Wahrheiten formulieren – aber dadurch sind nicht alle Äußerungen beliebig und gleich-gültig.

Annahmen über die Welt bestätigen sich, wenn wir belohnt werden durch die Möglichkeit sinnvollen Handelns. Wir können nur niemals sicher sein, ob diese Bestätigung endgültig ist oder ob sich unsere Annahmen nicht in anderen Situationen als falsch, vielleicht sogar als absurd oder lächerlich erweisen.

Ein Beispiel: Mit der Annahme, dass die Erde – und damit auch der Mensch – im Mittelpunkt des Universums schwebt, ließ sich einmal einiges erklären, beispielweise der Eindruck, dass die Sonne im Verlauf des Tages über den Himmel wandert. Aber im Lichte reichhaltigerer, komplexerer Informationen zu den Sternenbewegungen, dem Wechsel der Jahreszeiten und anderem ist diese Sicht nicht haltbar. Eine deutlich bessere Erklärung liefert erst ein Weltbild, in dem die Erde einer unter vielen Planeten ist, der um die Sonne kreist – in einem Universum mit unüberschaubar vielen Sonnen.

Diese Enttäuschung, dass die eigene Perspektive entgegen dem ersten Eindruck nicht der Mittelpunkt des Universums ist, gehört auch untrennbar zum gemeinsamen Agieren in einer gemeinsamen Welt. Was die Forscherin A behauptet und was Forscher B dazu herausfindet, bezieht sich auf dieselbe Welt, und er kann sie eben daher sinnvoll kritisieren, so wie sie ihn.

Erst mit dieser Annahme einer gemeinsam geteilten Welt also ergibt die Behauptung einen Sinn, Wissen sei ein Produkt von „Aushandlungen“. Wir denken etwas über die Welt, wir ziehen Meinungen anderer in Zweifel, bestätigen andere, verwerfen vielleicht auch einige: Aber die Position, die wir dabei beziehen, ist eben auch selbst Teil dieser Welt und kein unanfechtbarer Blick aus dem Nirgendwo. Sie kann ebenso zum Gegenstand der Analyse, der Kritik oder auch der Zustimmung werden wie alle anderen.

Wir sehen nicht nur andere, wir werden von ihnen auch gesehen.

Für den Philosophen George Herbert Mead ist eben das die Voraussetzung dafür, dass ein Mensch zu einem sozialen Wesen wird: Er kann den Blick der anderen auf sich selbst nachvollziehen. Wir sehen uns damit dann eben so, wie wir auch andere sehen, als einen Menschen unter vielen, die alle in einer gemeinsamen Welt leben.

Durch die goldene Regel findet sich dieser Perspektivenwechsel in allen beständigen Kulturen wieder – Behandle andere Menschen so, wie Du von ihnen behandelt werden möchtest. Tatsächlich ist es für uns alltäglich, basal und selbstverständlich, dass wir den Blick der anderen auf uns nachvollziehen, weil wir anders überhaupt nicht verletzungsfrei durch den Alltag steuern könnten.

Wenn jemand sich allerdings dieser Selbstverständlichkeit verweigert, nehmen wir das daher auch unwillkürlich als komisch und absurd wahr. Es ist eben diese Komik, auf die Erzählmirnix in vielen ihrer Comics aufbaut.

Wo Hetze emanzipatorisch ist

Oft heben diese Comics damit an, dass sich dort jemand mit vielen Worten und gern mit großer moralisierender Ernsthaftigkeit über andere mokiert. Wir merken allerdings bald, dass eben das, was er an anderen kritisiert, auch für ihn selbst zutrifft – ohne dass er es merkt. Zum Beispiel bei der komplementären Heuchelei von Linken und Rechten angesichts der Flüchtlingskrise.

schaut euch die Heuchler anSchaut euch diese Heuchler an!“ ist jeweils der letzte Satz des Linken und des Rechten. Keiner von ihnen kommt auf die Idee, dass er selbst ebenso von anderen angeschaut werden könnte. Schon die Überschrift, die diesen Satz wiederholt, lenkt aber natürlich unseren Blick auf beide.

Das Muster lässt sich für viele Bereiche variieren, nicht nur für den der Tagespolitik. Es gilt beispielweise auch für einen Menschen, der sich über einen vermeintlichen Dummkopf aus einem „Frauentausch“-Video lustig macht. Die behauptete Überlegenheit über den Trottel aus der nicht gerade für ihre Intellektualität berühmten Sendung schafft hier die für eine Pointe günstige Fallhöhe.

In Wooorst sind Vitamine drin

Als sich also schließlich herausstellt, dass der vermeintliche Dummkopf Recht hat und sein so erhabener Kritiker sich geirrt hat, verstummt dieser. Das ist ein typisches Ende für Erzählmirnix-Comics – zwei Personen stehen sich wortlos gegenüber. Der Redefluss bei der Diskreditierung anderer und die Schweigsamkeit des Redners angesichts der Wendung des Blicks auf ihn selbst schaffen wieder und wieder einen komischen Kontrast.

Die Pointe des folgenden Gesprächs ergänzt stillschweigend seine Vorgeschichte – offenkundig hatte die Frau den Mann dafür gelobt, dass er seine Kinder „babysittet“, und ihn so mit rückständigen Männlichkeitsbildern beurteilt. Er revanchiert sich mit einer Retourkutsche, über die sie sich wortreich empört, bis sie den Bezug auf ihre Äußerung schließlich versteht. Dann schweigt sie.

rückständig

Wiederum politisch: der Flüchtlingsfeind, der sich wortreich darüber empört, dass Ängste der Bevölkerung nicht ernst genommen werden – und der verstummt, als er hört, dass auch er selbst Ängste auslöst und sie ignoriert.

Angst

Dass Erzählmirnix immer wieder Rassisten, Rechte, auch brachiale oder selbstgerechte Maskulisten in ihren Comics lächerlich macht, hat sie nicht davor geschützt, als Reaktionärin, als Rassistin verleumdet und als “Scheiße” beschimpft zu werden. Vermutlich sogar im Gegenteil: Wenn sie sich – wie hier im dritten Cartoon – über feministische Klischees lustig macht, dann wird dadurch eben auch deutlich, dass es zwischen einigen feministischen, maskulistischen, rassistischen, fremdenfeindlichen, aber auch ganz alltäglich blasierten Äußerungen Ähnlichkeiten gibt.

Dass gerade Menschen, die sich diffus als „links“ verstehen, Erzählmirnix mit Hass begegnen, liegt wohl eben daran: Auch feministische, auch linke Positionen sind hier Positionen unter anderen, und sie können ebenso bloßgestellt werden. Die Comics erschüttern damit – und vermutlich nicht einmal beabsichtigt – ein grundlegendes Selbstverständnis im heute tonangebenden Feminismus oder generell in der akademischen Linken: Das Selbstverständnis, gesellschaftliche Strukturen gültig zu analysieren, zu kritisieren, sie emanzipatorisch zu verändern – aber nicht selbst ebenso zum Gegenstand der Kritik werden zu können.

Mit diesem Selbstverständnis aber wird eine grundlegende zivile Erfahrung verweigert – sich selbst mit den Augen anderer zu sehen. Der Blick der anderen erscheint dann als gewaltsame Okkupation, als Eingriff, als Ausdruck von Hass – und jede Gegenwehr als berechtigt.

Jasna Strick, die gemeinsam mit Anne Wizorek den Grimme Award für den Aufschrei-Tag bei Twitter erhalten hat, hat eine Diffamierungs-Liste gegen Erzählmirnix zusammengestellt und versucht, damit einen Shit-Storm gegen sie zu inszenieren. Das ging schief: Die dadurch erzeugte Aufmerksamkeit machte Erzählmirnix umso populärer.

Dass ihre Gegnerinnen trotz dieser Erfahrung dann gleich den nächsten Shit-Storm lancierten, ist wohl Teil einer Zermürbungs-Taktik – selbst wenn die Angegriffene jeden dieser Verleumdungs-Stürme gut übersteht, wird der Preis dafür, weiter zu bloggen, gleichwohl ja immer größer.

Wenn ausgerechnet Jasna Strick ihre eigene Hetze nicht wahrnimmt, sondern sich selbst als Opfer einer Hetze durch Erzählmirnix präsentiert, ist das eine Pointe, die aus einem der Comics stammen könnte – in der Wirklichkeit ist sie allerdings eher bitter als komisch.

Dass sich auch aufgeregte, wütende, unkontrollierte, aggressive Menschen im Netz bewegen, ist eine Binsenwahrheit, die nicht allein für Feministinnen gilt. Problematisch aber ist, dass in diesem Fall solche Menschen institutionell gestützt und gefördert werden.

Als beispielsweise die Antidiskrimierungsbeauftragte des Bundes Christine Lüders in diesem Jahr eine öffentliche Veranstaltung zum politischen Hass im Internet veranstaltete, war diese unbeabsichtigt strukturiert wie ein Comic von Erzählmirnix. Der Hass, über den geredet wurde, war dort immer nur der Hass der anderen. Mehr noch – schon sachliche Kritik an der eigenen Position wurde als „Hass“ präsentiert – beispielweise von Thomas Gesterkamp, der es zur Hate Speech im Internet rechnete, wenn Menschen den wissenschaftlichen Wert seiner Schriften über Männerrechtler in Frage stellen.

Eingeladen war auch Stricks bei solchen Gelegenheiten unvermeidbarer Aufschrei-Buddy Anne Wizorek, völlig ungeachtet der Tatsache übrigens, dass Wizorek sich bei anderer Gelegenheit entschieden gegen Kritik an politischer Gewalt gegen Einzelne ausgesprochen hatte. Damit trat auch Lüders wie eine Erzählmirnix-Figur auf. Sie richtete eine aufwändige – und übrigens, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, mit einem schönen Buffet versehene – Veranstaltung aus, auf der Menschen wortreich empört die Gefahren der Hate Speech beschworen, aber kein einziges Mal die Möglichkeit einräumten, dass sie auch selbst zu diesem Hass beitragen könnten.

Zum Ausblenden des Blicks der anderen passte hier auch die Absurdität einer Podiumsdiskussion mit vier Menschen, die schon aus Prinzip alle dieselbe Meinung hatten.

So machte Lüders dann unwillkürlich einen prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen, die einen Anspruch auf Schutz vor Gewalt haben – und Menschen, die diesen Anspruch nicht haben. Eine Antidiskriminierungsbeauftragte, die nicht merkt, wie stark sie selbst diskriminiert, und die kein Wort dazu zu sagen hat.

Warum aber werden solche Positionen überhaupt institutionell gestützt?

Wie Kaugummis an Hintern Herrschaftsstrukturen erschüttern

Es ist leicht, sich über Lann Hornscheidt lustig zu machen. Ihre fragwürdige Position als feministische Sprachwissenschaftlerin, eine diskriminierungsfreie Sprache könne durch Begriffe wie „Profx“ geschaffen werden, steht in einer durchaus komischen Distanz zum alltäglichen Sprachgebrauch.

Nicht mehr komisch ist es allerdings, dass Hornscheidt ihre Studenten zu dieser Sprache verpflichtet. Sehr unkomisch ist es schließlich, dass sie auf einer Webseite dazu auffordert, Veranstaltungen von Kollegen zu stören, Bücher der Bibliothek zu zerstören oder andere Studenten zu schikanieren, beispielsweise mit Kaugummis auf den Sitzflächen ihrer Stühle. Wie ist es möglich, dass eine Professorin sich so verhält – und dass die Leitung ihrer Universität, der Humboldt-Universität in Berlin, das billigt?

Hornscheidt interpretiert ihre Aufforderung zur Gewalt und Schikane gegen andere, und diese Handlungen selbst, als „Interventionen“. Was andere Menschen als soziale Normalität wahrnehmen, ist für sie tatsächlich Struktur einer umfassenden Herrschaft, die keinen bleibenden Raum für anderes lässt. Eben deshalb wäre ihr auch nur mit Interventionen zu begegnen, also mit subversiven Aktionen, die Herrschaftstrukturen zugleich erschüttern und bloßlegen würden.

Die Frage, was genau denn nun eigentlich an Kaugummis an den Hintern von Kommilitonen subversiv intervenierend sei, lässt sich dann schnell beantworten: Wenn diese Kommilitonen als Repräsentanten der allgemeinen Herrschaftsordnung phantasiert werden, ist eigentlich jede Handlung gegen sie subversiv, irgendwie.

Diese Position lässt sich so überhaupt nur formulieren, wenn Hornscheidt davon ausgeht, dass Wissen eben keine Funktion für das Handeln in einer gemeinsamen Welt hat. So braucht sie – was eigentlich Kritik wäre – bestehende Strukturen überhaupt nicht daraufhin zu untersuchen, welche Funktionen sie erfüllen und wie sinnvoll sie dies tun. Sie kann sie pauschal als Ausdruck einer diffusen Herrschaft verstehen.

Politisch ist eine solche Position alles Mögliche, aber ganz gewiss nicht links oder emanzipatorisch. Die Notwendigkeit des sinnvollen, funktionalen Handelns in der Welt kann nämlich nur jemand ignorieren, der andere hat, die diese Tätigkeiten für ihn erledigen – und der diese anderen überhaupt nicht wahrnimmt. Die Phantasie, alle bestehenden sozialen Strukturen seien Ausdruck einer diffusen „Herrschaft“, lässt sich also nur in einer sozialen Position halten, die erheblich privilegiert ist.

Das gilt auch für die Unterstellung, Normalitätserwartungen seien prinzipiell herrschaftsdienlich. Tatsächlich helfen uns diese Erwartungen, unsere sozialen Interaktionen überhaupt strukturieren zu können – und nur in besonders herausgehobenen Positionen brauchen wir diese Hilfe nicht. Hornscheidt kann es sich leisten, herkömmliche Erwartungen an das Verhalten von Professoren zu ignorieren, ihre Studenten können das nicht.

Wenn aber soziale Normalität grundsätzlich als Ausdruck von Herrschaft phantasiert wird – dann muss das, was gegen diese angeblich so umfassende Herrschaft Widerstand leistet, notwendig als abnorm, seltsam, vielleicht sogar als krankhaft erscheinen. Die Durchgeknalltheit von Hornscheidts Aufforderungen zur Gewalt hat so durchaus Methode: Sie kann als Beleg dienen, dass die Professorin es mit ihrem Widerstand gegen Herrschaftsstrukturen bitter ernst meint.

Christian Schmidt hat, mit Bezug auf Fefe, gerade darauf aufmerksam gemacht, dass sich eben dadurch auch der innere Zusammenhalt radikalisierter Gruppen verstärken lässt. Absurde und immer absurdere Positionen sind schließlich mit Kosten für diejenigen verbunden, die sich diesen Positionen anschließen. Es kann als Initiationsritus dienen, den Willen zur Absurdität, zur Durchgeknalltheit und auch zur Gewaltsamkeit vorführen zu müssen – und dieser Ritus lässt sich beliebig wiederholen und Stück für Stück verschärfen.

Diese abstruse, destruktive Dynamik baut auf einem Willen zur Reinheit: Dem Willen, nicht kontaminiert zu sein vom Terror der Normalität, der Entschlossenheit, zu den Herrschaftsstrukturen geltender Ordnungen auf Distanz zu gehen. Da aber nun einmal jede Äußerung, die wir machen, in unüberschaubar vielfältiger Weise aufbaut auf sozialen Strukturen, die wir vorfinden – und da wir mit jeder Äußerung uns auch unvermeidbar in diese Strukturen zurückbinden – daher lässt sich auch jede Äußerung, und sei sie noch so radikal oder verrückt, als Ausdruck von Herrschaftsinteressen entlarven.

Der Wille zur politischen Reinheit ist daher begleitet von einem Wettlauf hin zu immer absurderen, gewaltsameren Positionen. Von dort aus können dann alle anderen beständig entlarvt werden – wer sich in diese Position begibt, kann es sich aber schon bald nicht mehr leisten, sich selbst mit den Augen anderer zu sehen. Jedenfalls nicht, wenn er nicht über sich selbst lachen oder wahlweise auch weinen möchte.

Diese angeblich emanzipatorischen Positionen sind also prinzipiell niemals mehrheitsfähig, weil sie bestimmt sind von einer Dynamik hin zu immer kleineren, immer stärker abgeschotteten Strukturen. Sie können sich auf Dauer nur auf eine Weise halten – nämlich indem ihre Vertreter Positionen in bestehenden Institutionen besetzen, auf denen sie es gar nicht nötig haben, andere von der Tragfähigkeit ihrer Ansichten zu überzeugen.

Diese vorgeblich radikale, ritualisierte Herrschaftskritik ist also überlebensfähig nur auf Herrschaftspositionen – auch das ist eine Pointe, die in ein Erzählmirnix-Comic passen würde. Warum aber haben ausgerechnet Institutionen, die sich diffus als „links“ verstehen, ein Interesse daran, eine solch notwendig undemokratische, notwendig autoritäre und auch notwendig gewaltsame Politik zu unterstützen?

Möglicherweise lässt sich die Unterstützung damit erklären, dass diese Institutionen – seien es nun die Sozialdemokraten, die Grünen oder die Gewerkschaften – längst das Interesse und die Fähigkeit verloren haben, eine Politik zu entwickeln, die tatsächlich das soziale Leben in unserer realen, gemeinsamen Welt verbessern und gerechter machen kann.

Für eine linke Politik ist es allerdings katastrophal, den Willen oder der Möglichkeit zu verlieren, pragmatische, glaubwürdige, mehrheitsfähige Perspektiven für eine gerechtere Gesellschaft zu entwickeln. Sie kann allerdings über diesen Verlust hinwegtäuschen, wenn sie Gruppen oder Einzelne unterstützt, die zumindest so tun, als stünden sie für die Reinheit einer radikalen Gesellschaftskritik.

So lässt sich ein Geschäft auf Gegenseitigkeit etablieren. Wer sich schon in Institutionen verankert hat, kann anderen Plätze in Institutionen verschaffen, dabei von deren Schein politischer Reinheit profitieren und sich selbst als Förderer einer wahrhaft humanen, emanzipatorischen Politik profilieren.

Allerdings ist dieses Geschäft ein Geschäft zu Lasten Dritter. Es basiert darauf, dass Menschen ausgeschlossen bleiben, die Zweifel an der Humanität dieser Politik formulieren.

Es basiert darauf, dass Hass immer nur als Hass der anderen wahrgenommen wird.

Und es basiert darauf, dass Menschen der Schutz verwahrt bleibt, wenn sie für Kritik an dieser Politik attackiert werden – oder wenn sie dafür angegriffen und verleumdet werden, dass sie sich einfach ab und zu einmal über sie lustig machen.


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