Quantcast
Channel: man tau
Viewing all articles
Browse latest Browse all 356

Franziska Schutzbach über angebliches Intellektuellen-Bashing – oder wie man vollständig an einer Sache vorbeireden kann

$
0
0

Im Zusammenhang der Trump-Wahl und zunehmendem Rechtspopulismus wurde insbesondere auch die intellektuelle und politische Elite kritisiert. Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach kann diese Kritik offenbar nur als Intellektuellen-Bashing einordnen und zeigt damit nur auf, dass sie kaum etwas von dieser Kritik verstanden hat.

In der schweizerischen Wochenzeitung (WoZ) hat sich die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach in einem Artikel (WoZ – Nr. 49/2016 vom 08.12.2016) mit der Überschrift „INTELLEKTUELLEN-BASHING – Gesellschaftliche Verhältnisse zu analysieren ist nicht primär Elfenbeinturmbillard“ mit der Kritik an der politischen und intellektuellen Elite im Zusammenhang der Trump-Wahl in den USA sowie einem zunehmenden Rechtspopulismus in Europa auseinandergesetzt. Offenbar zählt sich Schutzbach zur intellektuellen und politischen Elite in der Schweiz und fühlt sich somit von der Kritik massiv angegriffen, sonst könnte sie vermutlich ein bisschen entspannter mit der Kritik umgehen.  Viel lieber baut Schutzbach eine Vielzahl von Strohmännern auf, damit sie die eigenen Unzulänglichkeiten der postmodernen Linksintellektuellen (hier vor allem der Vorrang der Identitätspolitik vor sozialen und ökonomischen Verwerfungen) nicht thematisieren muss. Der eigentliche Strohmann, den Schutzbach aufbaut, ist der, dass sie Kritik an politischen und intellektuellen Eliten mit Kritik an kritischem und intellektuellem Denken gleichsetzt. Kritik an der politischen und intellektuellen Elite kam aus allen Richtungen: von links, der Mitte und rechts. Schutzbach bezieht sich in ihrem Artikel insbesondere auch auf den früheren sozialdemokratischen Parlamentarier, Preisüberwacher der Schweiz und Ökonomen Rudolf Strahm.

images-2

Donald Trump

Kritik = Beschimpfung

Schutzbach schreibt:

Intellektuelle müssen sich zurzeit als weltfremd und arrogant beschimpfen lassen. Dabei verkennen viele, die den verbalen Zweihänder schwingen, was Intellektualität und kritisches Denken überhaupt ausmacht. Und zeigen so ihre eigene Arroganz gegenüber denen, für die sie zu sprechen behaupten.

Interessant finde ich bei Schutzbach, dass sie Kritik oder Tadel (weltfremd, arrogant) bereits unter Beschimpfung subsumiert – im Sinne von: „wenn der Andersdenkende mich kritisiert, dann kann dies nur eine Beschimpfung sein (also nicht bloss Kritik). Im Gegenzug wirft sie dann ihren Kritikern desgleichen Arroganz vor, so im Sinne von: „wie Du mir, so ich Dir!“ Weshalb die Kritiker verkennen würden, was kritisches Denken und Intellektualität ausmacht, wird einfach mal unterstellt, ohne zu merken, dass sie selbst am Kern der Sache vorbei argumentiert.

Abstraktes Gerede – kleine Leute – echte Probleme

Schutzbach schreibt:

Wie oft mussten wir das in den vergangenen Wochen hören: Die ‚intellektuelle Elite‘ habe mit ihrem abstrakten Gerede die ‚kleinen Leute‘ nicht erreicht und deren ‚echte Probleme‘ nicht verstanden. Man habe über die Köpfe der breiten Bevölkerung hinwegtheoretisiert und sie dadurch in die Arme der Trumps, Blochers und Le Pens getrieben (und auch für Norbert Hofer stimmten schliesslich über 48 Prozent).

Tatsache dürfte jedenfalls sein, dass viele rechtspopulistische Parteien von Bürgern, die insbesondere wenig kulturelles Kapital besitzen, überdurchschnittlich zahlreich gewählt wurden. Sie dürften ebenfalls überdurchschnittlich von Leuten gewählt worden sein, die sogenannt zu der Arbeiterschicht gehören, infolgedessen zusätzlich überdurchschnittlich wenig ökonomisches und politisches Kapital besitzen.

Franziska Schutzbach schreibt:

In der NZZ schrieb René Scheu, die Intellektuellen hätten kein Verständnis für die Probleme der Trump-WählerInnen, wenn diesen ‚am Ende des Monats aufgrund steigender Lebenskosten immer weniger Geld bleibt‘. Stattdessen versuchten die intellektuellen Eliten, die Probleme ‚wegzuerklären‘.“

René Scheu kritisiert an dieser Stelle nicht die Intellektualität oder das kritische Denken, wie Schutzbach fälschlicherweise insinuiert, sondern er weist darauf hin, dass die intellektuelle Elite kein Verständnis für die Trump-Wähler hätte und deren Probleme nicht ernst nehme. Folglich keine Kritik an kritischem oder intellektuellem Denken, sondern Kritik an einer intellektuellen Elite, die kein Verständnis für die Trump-Wähler hat.

Schutzbach schreibt:

Ähnlich klang es bei Rudolf Strahm (SP) im ‚Tages-Anzeiger‘: Die politische und intellektuelle Elite habe sich eine herablassende Meinung über unerwünschte Volksentscheide gebildet, sich dabei aber auf Unwesentliches konzentriert und übersehen, dass Trump ‚zutiefst existenzielle Erfahrungen von Millionen Amerikanern ansprach‘, etwa die Arbeitsplatzverluste oder die erlebte ‚Arroganz der globalisierten Eliten und der Wallstreet-Banker‘.

Desgleichen haben wir bei Strahm keine Kritik am intellektuellen bzw. kritischen Denken, sondern eine Kritik, wie die politische und intellektuelle Elite mit unerwünschten Volksentscheiden umgeht (herablassend) sowie existenzielle Erfahrungen dieser Wähler (Arbeitsplatzverlust, erlebte Arroganz der globalisierten Elite und Wallstreet-Banker) nicht hinreichend aufnimmt und repräsentiert.

Franziska Schutzbach schreibt:

Strahm folgerte, der Rechtsrutsch sei ‚ein Aufstand von unten‘, und Scheu machte sich dafür stark, den US-Wahlausgang als Zeichen von Vernunft zu sehen, denn ‚auch wenn manche Trump-Anhänger keinen Ph D-Abschluss haben, so heisst dies nicht, dass es ihnen an Verstand gebricht‘.

Ebenso geht es bei diesen Aussagen von Scheu und Strahm um keine Kritik am kritischen bzw. intellektuellen Denken. Man kann dies sicherlich so wie Strahm interpretieren, dass es sich hier um primär um einen Aufstand von unten gegen die intellektuelle und politische Elite handelt. Obwohl ich eher sagen würde, es handelt sich um eine Verteilungs- Repräsentations- und Identitätskrise.

Wird hier ein Normalbürger oder sogar das Volk konstruiert?

Schutzbach schreibt

Ein solch pauschalisierender Fokus auf die ‚echten Probleme‘ der ‚kleinen Leute‘ suggeriert, diese hätten nichts mit Kultur, nichts mit Bewusstsein oder Ideologie zu tun. Als wäre ökonomische Prekarität eine von Rassismus oder Sexismus getrennte Angelegenheit, als könnte nicht auch ‚der kleine Mann‘, der ‚Arbeiter‘ schwul, migrantisch, schwarz oder weiblich sein. Der ‚Normalbürger‘ wird konstruiert als eine bestimmte, angeblich homogene Gruppe (das ‚Volk‘), zu der viele offensichtlich nicht gehören.

Was genau Schutzbach mit dem ersten Satz genau aussagen will, ist mir unklar: Die echten Probleme der ‚kleinen Leute‘ haben ihrer Ansicht nach also etwas mit Kultur, Bewusstsein und Ideologie zu tun; nur was genau, das erklärt sie leider nicht?! Ich gehe nicht davon aus, dass Scheu und Strahm davon ausgehen, dass diese kleinen Leute nicht sogenannt mehrfach diskriminiert sein können (Klassismus, Rassismus oder Homophobie etc.), aber Scheu und Strahm wollen offenbar damit sagen, dass die politische und intellektuelle Elite, wie sie u.a. Clinton verkörpert, für Probleme wie Arbeitslosigkeit, Abstiegsängste, prekäre Beschäftigungsverhältnisse der weissen Unterschicht bzw.  der weissen unteren Mittelschicht etc. zu wenig Feingefühl aufbrachte und diese deshalb in Trump den Heilsbringer sahen. Scheu und Strahm konstruieren außerdem keinen „Normalbürger“, gleichsam eine homogene Gruppe (das ‚Volk), der gewissermaßen aus der weißen Unterschicht bzw. weißen, unteren Mittelschicht besteht; diese zwei Populationen haben jedoch überdurchschnittlich Trump gewählt und sind nun einmal nummerisch eine größere Population als die der Afroamerikaner, Hispanics, Homosexuellen etc. und somit für die US-Präsidentschaftswahl von enormer Bedeutung; mit der Unterstellung der Konstruktion eines Normalbürgers bzw. einer homogenen Gruppe (‚Volk‘) baut Schutzbach einen Strohmann auf.

Um Situationen zu verstehen, braucht es komplexe Gedanken und Theorien?

Franziska Schutzbach schreibt:

Vor allem aber unterstellt die Gegenüberstellung von Intellektuellen und ‚kleinen Leuten‘, Wissen werde ausschliesslich an Universitäten produziert und top-down dem ‚Volk‘ – wider dessen Vernunft und Erfahrung – übergestülpt. Nicht nur, dass man damit ‚kleine Leute‘ tatsächlich für dumm erklärt. Unterschlagen wird auch, dass kritisches Denken – und das ist eines der zentralen Merkmale von Intellektualität – eng verzahnt ist mit sozialen Bewegungen. Viele herrschaftskritische und emanzipatorische Impulse kommen von Minorisierten, von Prekarisierten und Ausgebeuteten. Diese können sehr wohl komplex und theoretisch denken – das müssen sie sogar, um ihre Situation zu verstehen, um zu überleben.

Strahm unterstellt keine Gegenüberstellung von Intellektuellen und ‚kleinen Leuten‘, wie dies Schutzbach insinuiert, sondern eine Gegenüberstellung von intellektuellen und politischen Eliten mit „kleinen Leuten‘. Strahm kritisiert folglich nicht kritisches bzw. intellektuelles Denken, wie Schutzbach unterstellt, sondern er kritisiert die Population bzw. Gruppe der politischen und intellektuellen Elite. Zudem behauptet Strahm auch nicht, dass Wissen gewissermaßen ausschliesslich von den Universitäten produziert und top-down dem ‚Volk‘ appliziert wird; das sind alles Erdichtungen von Schutzbach, die sie Strahm quasi in den Mund legt und die Strahm so nie explizit gesagt hat; was Strahm diesbezüglich denkt, kann Schutzbach nicht wissen., weil er sich dazu nicht geäussert hat. Ob kritisches Denken bzw. Intellektualität eng mit sozialen Bewegungen verzahnt ist oder herrschaftskritische bzw. emanzipatorische Impulse vielfach von Prekarisierten bzw. Minorisierten kommen, ist möglich, wäre jedoch eine empirische Fragestellung und müsste durch empirische Untersuchungen beantwortet und nicht einfach proklamiert werden, wie dies Schutzbach tut. Strahm und Scheu haben auch niemals behauptet, die „kleinen Leute“ könnten nicht komplex denken; alles Strohmänner, die Schutzbach hier aufbaut!

Wissen fliesst weder von unten nach oben noch von oben nach unten?

Schutzbach schreibt:

Es geht darum zu verstehen, dass Wissen weder von unten nach oben noch von oben nach unten fliesst. Solche Unterscheidungen gilt es in Bezug auf die Entstehung und Verbreitung von Wissen aufzubrechen. Gesellschaftliche Verhältnisse zu hinterfragen und zu analysieren, ist nicht primär Elfenbeinturmbillard privilegierter Intellektueller, sondern ist ebenso eine Denkleistung des ‚kleinen Mannes‘.

Vorab wäre einmal zu klären bzw. zu definieren, was unter Wissen verstanden wird und erst dann könnte man der Frage nachgehen, von wo aus Wissen produziert wird; auch dies wäre jedoch eine empirische Frage und wird nicht valider, wenn man einfach „freihändig“ Behauptungen aufstellt.

Schutzbach schreibt:

Anders ausgedrückt: Das Entstehen von Theorie ist ein komplexer Prozess, an dem ganz unterschiedliche AkteurInnen beteiligt sind. Erfahrungen und Perspektiven der kleinen Leute sind an den Universitäten sehr wohl vertreten und gerade in Theorietraditionen zunehmend verankert, denen das Wechselverhältnis von sozialer Bewegung, Betroffenheit und Theorie besonders wichtig ist: in feministischen, materialistischen, queeren und postkolonialen Perspektiven auf die Gesellschaft.

Auch diese Behauptungen können schlussendlich nur mithilfe umfangreicher empirischer Untersuchungen beantwortet werden und nicht einfach dadurch, dass man gleichsam „freihändig“ Behauptungen aufstellt. Welche „kleinen Leute“ sind denn an den Universitäten vertreten? Diejenigen Personen,  die im Bereich der Lehre und Forschung eine Stelle besitzen bzw. tätig sind, müssen zumindest über entsprechende Bildungstitel (kulturelles Kapital) verfügen, sonst ist eine Arbeit im akademischen Bereich der Universität ein Ding der Unmöglichkeit.

Wahrheit ist immer relativ. Ist das eine wahre Aussage?

images-6

Schutzbach schreibt:

Und es bedeutet zu akzeptieren, dass Wahrheit immer relativ ist und der wissenschaftliche Blick nicht universell und schon gar nicht unschuldig oder neutral.

Jetzt muss man die Autorin fragen, ob ihre Aussage, dass Wahrheit immer relativ ist, eine wahre Aussage ist, folglich unabhängig von bestimmten Bedingungen?! Sollte sie der Auffassung sein, dass es sich um eine wahre Aussage handelt, die absolut ist, dann könnte man dies wohl performativer Widerspruch nennen. Wenn sie der Auffassung ist, dass diese Aussage ebenfalls nur relativ ist, also quasi kontingent, infolgedessen einmal wahr und ein andermal wieder unwahr, demnach relativ, dann ist diese Aussage nicht viel mehr als Nonsens. Und es würde sich dann die Frage stellen, was Nonsens von Wissenschaft unterscheidet?!

Schutzbach schreibt:

Denn das denkende Subjekt steht nicht jenseits von Herkunft, Sozialisation, Sexualität oder Hautfarbe. Und schon gar nicht jenseits von Machtverhältnissen. Wissensproduktion geschieht von einem Standpunkt aus, und dieser muss mitbedacht werden. ‚Wessen Blut wird vergossen, damit meine Augen sehen können?‘, fragte die feministische Erkenntnistheoretikerin Donna Haraway. Anders ausgedrückt: Welche Stimmen oder Erkenntnisse werden ignoriert, damit sich eine bestimmte Sicht durchsetzt? Haraway und vielen anderen geht es darum, eine Kultur des Zuhörens, des Aufnehmens zu etablieren; darum, durch Offenheit gegenüber vielfältigen Einflüssen die eigenen Positionen immer wieder zu überdenken. Kurzum: Das Verständnis eines neutralen, distanzierten und abgehobenen Forschers – einer «intellektuellen Elite» – kann nicht länger aufrechterhalten werden.

Ist die Aussage, dass sich Schutzbach mit Strahm und Scheu in einem Text auseinandergesetzt hat eine wahre Aussage oder ebenfalls bloß eine Aussage, die eine relative Wahrheit besitzt? Was hat beispielsweise die Aussage „ein Buch ist vom Tisch gefallen“ mit Machtverhältnissen, Sozialisation, Herkunft, Sexualität, Hautfarbe zu tun, wenn es darum geht, eine wahre Aussage zu tätigen?

Könnte es nicht sein, dass Schutzbach die Erkenntnistheoretikerin Donna Haraway ein bisschen missverstanden hat? Ich selbst bin z.B. der Auffassung, dass Haraway zwischen Entdeckungs-, Begründungs- und Verwertungszusammenhang unterscheidet und sie beim Begründungszusammenhang keine Relativität zulässt, weil sonst Wissenschaft kaum noch von Nonsens zu unterscheiden ist.

Identifikationsangebot führt zu Faschismus?

Schutzbach schreibt:

Wenn Leute von links – wie Rudolf Strahm – gegen „intellektuelle Eliten“ schiessen, mag das mit einer eingeschränkten Vorstellung von Intellektualität zu tun haben.

Noch einmal: Kritisches Denken bzw. Intellektualität und „intellektuelle und politische Elite“ sind zwei verschiedene Dinge. Schutzbach kann offensichtlich nicht zwischen eigener Dichtung (man legt Strahm einfach mal Sachen in den Mund, die er nicht gesagt hat) und Wahrheit (was Strahm tatsächlich gesagt hat) unterscheiden.

Schutzbach schreibt:

Die verbreitete Erzählung, das Volk werde automatisch faschistisch, wenn man ihm den Traum vom Einfamilienhaus wegnehme, ist ein Identifikationsangebot, das genau dies will: Menschen faschistisch machen. Oder neoliberal. Oder beides.

Es dürfte um Einiges zu kurz greifen, die Ursachen von Populismus oder Faschismus einfach auf kulturelle bzw. diskursive oder symbolische Praktiken zu reduzieren, im Sinne von: „Man muss dem Volk nur ein gewisses Narrativ immer wieder erzählen, und dann wird es populistisch oder faschistisch.“

Populismus steht nicht nur im Zusammenhang einer Identitätskrise, sondern vielfach im Kontext einer Repräsentations- und Verteilungskrise.

Müssen Bücher und Theorien kompliziert sein?

Schutzbach schreibt:

Die Meinung, keine ‚gescheiten Bücher‘ zu brauchen, keine ‚komplizierten Theorien‘, beinhaltet die Vorstellung, die eigene Perspektive sei vollkommen ausreichend. Man müsse anderen nicht zuhören, nichts Neues lernen. Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn auf Alltagserfahrungen oder den «gesunden Menschenverstand» gepocht wird und Theorie nur dann akzeptiert wird, wenn sie die Vertrautheit des Anekdotischen, das unmittelbar Nachvollziehbare und bereits Gewusste bestätigt.

Wie bereits weiter oben wiederholt dargelegt, redet Schutzbach größtenteils an der Sache vorbei. Dennoch kann es sinnvoll sein, sich mit ihrer Argumentation auseinanderzusetzen:

Strahm hat vermutlich nichts gegen gescheite Bücher. Ich könnte mir jedoch gut vorstellen, dass er etwas gegen unnötig komplizierte Bücher hat. Auch ein Buch, das lesefreundlich geschrieben ist, kann neue Perspektiven vermitteln, kann eigene Alltagserfahrungen hinterfragen oder reflektieren oder den „gesunden Menschenverstand“ in Frage stellen, dazu braucht es jedoch keinen unnötig komplizierten Satzbau oder unzählige Fremdwörter.

In diesem Zusammenhang ist Noam Chomsky sehr interessant, der u.a. wie folgt rezipiert und zitiert wird:

Komplizierte und unverständliche Theorien über die Gesellschaft und Politik haben für Chomsky nicht die Aufgabe, die politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse besser zu erklären. Vielmehr dienen sie den Intellektuellen dazu, sich einen Namen als Experten zu machen, damit sie sich im Wissenschaftsbetrieb eine berufliche Stellung erobern und sichern können, die Prestige, Privilegien, Zugang zu Macht, Einfluss und ein hohes Einkommen ermöglicht.[26] Für diesen Zweck muss man sich als Intellektueller „seine Unverständlichkeit hart erarbeiten“.[27]

Antiintellektualismus als Wegbereiter für Fremdenfeindlichkeit?

Schutzbach schreibt:

In einer solchen Selbstreferenzialität liegt aber die eigentliche Arroganz, das eigentlich Elitäre. Denn sie weist alles Fremde und nicht unmittelbar Verstehbare zurück. Die Vermutung drängt sich auf, der in der Schweiz besonders ausgeprägte Antiintellektualismus stehe in einem engen Zusammenhang mit der Verweigerung gegenüber dem ‚Fremden‘.

Fremdenfeindlichkeit hat viele Ursachen wie z.B.:

  • Einflüsse sozialer Bedingungen;
  • relative Deprivation;
  • wenig Kontakte mit anderen ethnischen Minderheiten (Kontakthypothese)
  • und das eigene mittels Sozialisation und aktiver Aneignung erworbene Überzeugungssystem.

Wir sehen: Antiintellektualismus ist nicht dabei; ausser man würde es unter das eigene Überzeugungssystem subsumieren.

Ein zusätzlich spezifischer Faktor für Populismus in der Schweiz dürfte allerdings die halbdirekte Demokratie sowie die Konsensdemokratie sein.

Sind die Macher starrsinnig?

Schutzbach schreibt:

Der viel beschworene Schweizer Sonderweg ist vom Starrsinn geprägt, sich nichts von anderen sagen zu lassen. Ein Starrsinn, der sich nicht zuletzt mit einer stark idealisierten Vorstellung vom «Machen» verbindet, von der Idee also, Taten seien besser als Worte, es brauche keine komplizierten Reflexionen, sondern vor allem konkretes und beherztes Handeln.

Ich finde den Spruch „ausser man tut es“ genial. Worte können natürlich auch Taten sein. Aber wenn ich wählen müsste, dann würde ich den Taten den Vorrang vor den Worten geben. Wie bereits bei Chomsky gesehen, braucht es keine komplizierten Reflexionen, demnach Reflexionen mit unnötig kompliziertem Satzbau, gespickt mit unzähligen Fremdwörtern.

Jegliche Praxis von Theorie geleitet?

Schutzbach schreibt:

Gegen Praxis ist im Prinzip nichts einzuwenden. Aber Fakt ist auch, dass jegliche Praxis von Theorie geleitet ist. Sich dem zu verschliessen, heisst, Reflexion als etwas zu sehen, das dem Handeln entgegensteht, angeblich weltfremd, ja unnütz ist, Handeln gar verhindert. Eine solche Trennung von Theorie und Praxis bemisst Reflexion daran, ob sie einen unmittelbaren Dienst an der Praxis leistet. Wenn aber die bereits bekannte und vorherrschende Praxis festlegt, was gedacht werden darf, was nützlich ist und was nicht, dann wird es unmöglich, die Praxis einer kritischen Analyse zu unterziehen. Anders gesagt: Der vorherrschende Istzustand erscheint damit als nicht hinterfragbar.

Da haben wir noch einmal Glück gehabt, dass gegen Praxis nichts einzuwenden ist, sonst würde gegebenenfalls alles still stehen auf dieser Welt. Vielleicht könnte es auch so sein, dass es eine praktische Praxis und eine theoretische Praxis gibt und sich diese beiden Praxen doch grundlegend unterscheiden. Was für Theorien hat wohl ein fünfjähriges Kind im Kopf, wenn es seinen Alltag praktisch bewältigt? Den Historischen Materialismus, die Strukturationstheorie, die Systemtheorie, die Praxistheorie, den methodischen Individualismus, eine Handlungstheorie? Für die praktische Praxis (Handeln unter Zeitdruck) reicht es vielfach vollständig aus, wenn wir das gelernte Wissen gleichsam im impliziten Handlungsmodus, gewissermaßen automatisch, anwenden

Ebenso sind Reflexion und Theorie zwei verschiedene Dinge: Bei Theorien geht es um Abstraktionen, um Erklärungen, um Modelle, also um eine Komplexitätsreduktion, um Verallgemeinerungen, Regelmäßigkeiten etc. Bei der Reflexion geht es um das Nachdenken, Überprüfen, Überlegen, ohne dass explizit auf Theorien zurückgegriffen werden muss oder Theorien entworfen werden.

Schutzbach schreibt:

Der Jurist und Publizist Matthias Bertschinger hat darauf hingewiesen, dass das Problem nicht abgehobene Intellektuelle seien, sondern vielmehr, dass kritisches und auch utopisches Denken nicht als ein Recht für alle betrachtet werde. Gekämpft werden müsse wieder für einen Bildungsbegriff, der mehr als betriebswirtschaftliche Logiken bediene, der Reflexion nicht auf technokratische Anwendbarkeit verkürze.

Die politische und intellektuelle Elite wird dann zum Problem, wenn sie gewisse Bevölkerungsteile nicht mehr genügend repräsentiert bzw. diese sich nicht mehr genügend repräsentiert fühlen im politischen System: Ihre Bedürfnisse, Sorgen, Ängste und Nöten etc. nicht mehr wahrgenommen werden oder Politik nur noch von oben herab proklamiert und kein Dialog mehr geführt wird etc.  Wie gesagt: Schutzbach argumentiert größtenteils an den Kernthesen von Strahm vorbei.

Fazit

Anstatt sich substanziell mit der Kritik von Strahm an der intellektuellen und politischen Elite auseinanderzusetzen, die besagt, dass diese Elite versagt hat und deshalb mitverantwortlich ist für einen erstarkten Rechtspopulismus, zumal sie für soziale und ökonomische Verwerfungen der „kleinen Leute“ kein Gehör mehr hat, zündet Schutzbach Nebelkerzen und baut eine Vielzahl von Strohmännern auf, um nicht auf diese Kritik eingehen zu müssen. Was hilft es wohl diesen Menschen, die kaum ökonomisches, politische und kulturelles Kapital besitzen, wenn Schutzbach davon spricht, dass Wahrheit relativ, sämtliche Praxis theoriegeleitet und jegliche Wissensproduktion mit Machtverhältnissen gekoppelt ist und es ihr primär darum geht, ihre postmoderne Weltsicht zu rechtfertigen?! Vermutlich nicht viel und vor allem geht es vollständig am Kern der Sache vorbei und bestätigt so gleichsam die These von Strahm.

 

 


Einsortiert unter:Uncategorized

Viewing all articles
Browse latest Browse all 356