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AfD und Neonazismus

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Nie geraten die Deutschen so sehr außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen. Kurt Tucholsky

Die AfD war auch hier im Blog war immer mal wieder Thema, in Artikeln wie in Kommentaren. Ich selbst hatte gerade erst skizziert, warum die AfD in meinen Augen überhaupt keine seriöse Option ist.

Nun hat Björn Hocke, Sprecher der AfD in Thüringen, in Dresden eine Rede gehalten, die von der Bild-Zeitung sogleich als „Nazi-Rede“ geführt wurde. „Kein Einfluss für das Neonazipack!“, forderte ebenso schnell der SPD-Politiker Ralf Stegner. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschlands, formulierte im Ton ziviler, aber inhaltlich ebenso scharf:

„Die AfD zeigt mit diesen antisemitischen und in höchstem Maße menschenfeindlichen Worten ihr wahres Gesicht“.  

Auch aus der AfD-Spitze selbst aber wurde Höcke deutlich kritisiert.

Ich habe mir die Rede, die über einen Facebook-Account zugänglich ist, angehört (einige Passagen können in stellenweise etwas ungenauen, aber nie verfälschenden Transskriptionen hier nachgelesen werden).

hoeckebaertchen

Schatten können manchmal etwas gemein sein.

Tatsächlich bezieht Höcke Positionen, die so oder ähnlich schon lange Teil der deutschen Diskussion über den richtigen Umgang mit der Vergangenheit sind. Er spitzt sie aber in wesentlichen Punkten zu, und, mehr noch: Er versucht sie in den Mittelpunkt einer politischen Bewegung zu stellen, die mit den Traditionen des bundesdeutschen Selbstverständnisses radikal bricht. Der Vorwurf, dass er Nazi-Positionen beziehen würde, ist in diesem Fall nicht einfach nur Rhetorik zur Diffamierung eines politischen Gegners.

 

Schande, Schuld und Selbstmitleid

„Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten. Man wollte unsere Wurzeln roden. Und mit der nach 1945 systematischen Umerziehung hat man es auch fast geschafft.“

So Höcke in seiner Dresdner Rede über den Bombenangriff auf Dresden. Auffällig ist nicht die Kritik an dem Angriff, sondern die Unterstellung der Motive eines diffus bleibenden Feindes („man“). Er setzt den Bombenangriff mit der „nach 1945 systematischen Umerziehung“ parallel, als ob beides für ihn zum selben Versuch der Auslöschung gehörte: einmal als Auslöschung des „Elbflorenz“ und seiner Menschen, einmal als Auslöschung des moralischen Selbstbewusstseins der Deutschen.

Die erscheinen in dieser Rede als gewaltsam unterworfenes Volk:

„Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung, unser Gemütszustand immer noch der eines brutal (total?, LS) besiegten Volkes. Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Für Höcke haben die Deutschen ihre eigene Unterdrückung verinnerlicht, und das Berliner Holocaust-Mahnmal wird ihm zum zentralen Symbol dieser Internalisierung.

Das ist weniger eine sachliche Kritik als der Ausdruck eines wütenden Ressentiments. Kritik wurde 2010 beispielsweise auch von Paul Spiegel geäußert, damals als Vorsitzender des Zentralrats: Das Mahnmal würde sich der Frage nach den Ursachen der Verbrechen entziehen.

Um eine solche Auseinandersetzung aber geht es Höcke gar nicht. Wenn er von „Schande“ spricht, dann schließt er sich damit dem Sprachgebrauch einer anderen Rede zum deutschen Gedenken an, die 1998 zu erheblichen Diskussionen geführt hatte. Ausgerechnet in seiner Rede zum „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ hatte Martin Walser sich über die „Dauerrepräsentation unserer Schande“, über die „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ beklagt und das geplante Holocaust-Mahnmal als „fußballfeldgroßen Alptraum“ bezeichnet, als „Monumentalisierung unserer Schande“. 

Das Wort „Schuld“ hingegen wird von Walser in der Rede ganz anders verwandt: Er gebraucht es mehrfach in dem Begriff „Beschuldigung“ oder ironisiert es, indem er über „zeitgenössische schuldunlustige Finsterlinge“ redet. Schon hier also sind nicht die Deutschen schuldig geworden, sondern sie werden von außen beschuldigt und müssen mit dieser Beschuldigung leben.

Die Rede von der „Schande“ wiederum ist, anders als das Eingeständnis einer „Schuld“, ganz selbstbezogen. Bei der „Schande“ geht es um das eigene Ansehen der Deutschen, um ihr Selbstgefühl – bei der Schuld hingegen geht es um das, was sie anderen getan haben.

Noch weiter ging im Anschluss an Walser der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Er schreibt 1998 in seinem Magazin über das geplante Holocaust-Mahnmal:

„Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität.“ 

Hier wandelt sich schon der Bezug des wegen seiner Egozentrik ohnehin unpassenden Begriffs der „Schande“. Bei Walser ist der Begriff immerhin noch eindeutig auf die deutschen Verbrechen bezogen – bei Augstein kann es schon auf die Tatsache bezogen werden, dass überhaupt ein Mahnmal errichtet wird: Es sei eine Schande, wie Deutschland hier mit sich selbst umgehe.

Augstein verknüpft dieses Ressentiment mit einer kaum kaschierten antisemitischen Anspielung – denn dass die amerikanische Ostküstenpresse von Juden kontrolliert werde, ist Standardannahme eines judenfeindlichen Ressentiments. Ähnliches gilt für die New Yorker Anwaltschaft.

Von solchen antisemitischen Spitzen findet sich, immerhin, bei Höcke nichts – es sei denn, ich habe es überhört. Bei ihm allerdings bezieht sich der Begriff Schande ganz offenkundig nicht mehr auf die deutschen Verbrechen, sondern auf das Mahnmal selbst.

Während Augstein durchaus klar macht, welche Kräfte gegen das „sich neu formierende Deutschland“ agierten, bleibt Höcke wie Walser bei diffusen Beschuldigungen. Gemeinsam ist allen Dreien, dass sie Deutsche rundweg als Opfer präsentieren.

Gleichwohl kann Höckes Rede nicht einfach als eine späte Wiederholung vom Walsers und Augsteins Positionen verstanden werden – sie ist schlimmer.

 

Was Hitler Versailles war, ist Höcke das Holocaust-Mahnmal

Einer der Hauptgegner Höckes in seiner Rede ist ein im Jahr 2015 verstorbener Politiker: Richard von Weizsäcker. Dessen berühmte Rede zum vierzigjährigen Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 findet Höcke zwar sprachlich gekonnt – es sei aber eine „Rede gegen das eigene Volk und nicht für das eigene Volk“ gewesen.

Nun ist Weizsäckers Rede kein heiliger Text der Bundesrepublik und kann gewiss in einigen Teilen kritisiert werden – aber darum geht es Höcke gar nicht. Was ihn an der Rede stört, erklärt er nicht einmal, er lässt es aber erkennen.

Weizsäcker betont, dass die Erinnerung an die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus Voraussetzung für eine Versöhnung der Deutschen mit ihren Nachbarn und eine Versöhnung mit den Juden sei. Die Erinnerung steht hier nicht im Widerspruch zu einer deutschen Identität, sondern ist Voraussetzung für ein integres Deutschland.

Eben diese Haltung greift Höcke frontal an. Das Volk werde – so betont er im Anschuss an Franz-Josef Strauß – durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gelähmt. Die deutsche Geschichte werde „mies und lächerlich“ gemacht – es gäbe aber „keine moralische Pflicht zu Selbstauflösung“.

Die Idee, dass das Volk der Deutschen klein gemacht worden sei, zieht sich durch die Rede, in der er gleich zwei Mal an unterschiedliche Stellen Menschen als „Zwerge“ bezeichnet, die sich an diese Bedingungen angepasst haben. Die Solidargemeinschaft werde aufgelöst unter der „Herrschaft der Finanzmärkte“, das Volk einer „vollständigen Ökonomisierung“ ausgeliefert. Die „einst geachtete Armee“ – hier bleibt wohl absichtlich unklar, ob der Redner die Bundeswehr meint, die NVA oder die Wehrmacht – sei „zu einer durchgegenderten multikultisierten Eingreiftruppe im Dienste der USA verkommen.“

Die Fremdherrschaft, die Höcke beschreit, würde organisiert durch deutsche Politiker wie Merkel, die ein „gutmütiges Volk heimtückisch hintergangen“ hätten. Die Regierung sei „zu einem Regime mutiert“.

Tatsächlich ist Höcke die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Erinnerung an die deutschen Verbrechen also herzlich egal. Ihm geht es darum, die Deutschen als ein großes, aber klein gemachtes, verratenes, niedergedrücktes, an diffus bleibende internationale Mächte ausgeliefertes Volk zu beschreiben. Die Erinnerung ist für ihn lediglich ein Instrument dieser Unterdrückung.

Nötig ist für ihn eine „Erneuerung“, und die wäre nur im Bruch mit dem Bestehenden möglich – wenn die AfD die absolute Mehrheit erreiche oder als Seniorpartner eine Koalition mit einer geläuterten Altpartei  führe. Unausgesprochene Alternative dazu ist für ihn die Gewalt – die AfD sei „die letzte evolutionäre, friedliche Chance für unser Vaterland.“

Dass „wir uns wieder selber finden“ müssten, dass Deutschland sich erneuern, die Fremdherrschaft abschütteln und wiederauferstehen müsse – das ist nicht allein ein Bruch mit der Erinnerungskultur, sondern ein direkter Anschluss an nationalsozialistische Ideologie. Was Hitler Versailles war, ist Höcke das Holocaust-Mahnmal: Ein Symbol für eine unterstellte bösartige, heimtückische, aber von verräterischen deutschen Politikern geduldete und unterstützte fremde Unterdrückung eines großen, aber auch allzu großmütigen und allzu gutmütigen Volkes.

Die Phantasie, dass ein Bruch mit dem bestehenden demokratischen System nötig sei – der Drang, allein an die Macht zu kommen, und die kaum unterschwellige Drohung mit Gewalt – die Selbstinszenierung als Opfer und die Unempfindlichkeit für eigene Schuld – die Phantasie bösartiger internationaler Mächte, die übrigens auch bei Höcke an antisemitische Klischees (nämlich des raffenden Finanzkapitals) anknüpft – die völkische Vorstellung einer Wiederauferstehung Deutschlands: Die Parallelen sind so deutlich und vielfältig, dass es naiv wäre, in Höcke keinen Neonazi zu sehen.

 

Geburtshelfer eines erfolgreichen Rechtsradikalismus?

Dass jemand wie Höcke überhaupt eine Chance hat, bundespolitisch bedeutsam zu werden, ist allerdings auch den Bundestagsparteien vorzuwerfen.

Der Spiegel veröffentlichte vor einem knappen Jahr, Ende Februar 2016, eine Umfrage, nach der fast 80% der Deutschen weiterhin bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen. Nach der Implosion der Willkommenskultur in der Kölner Silvesternacht und angesichts der Tatsache, dass die Regierung schon seit Monaten keine Kontrolle mehr über die Einwanderung nach Deutschland hatte, ist das eine beachtliche, überzeugende Mehrheit.

Allerdings war auch nur ein gutes Zehntel der Bevölkerung dafür, Flüchtlinge weiterhin ohne eine Obergrenze aufzunehmen – alle anderen sprachen sich, wenn sie nicht generell gegen jede weitere Aufnahme waren, für Obergrenzen von 200.000 (38%), 500.000 (17%) oder einer Million (3%) aus. Das aber bedeutet: Sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien repräsentierten in dieser zentralen Frage gerade einmal 11 Prozent der Bevölkerung.

Natürlich ist eine solche Gemengelage für außerparlamentarische Alternativen günstig.

Angela Merkels Regierungsstil einer inszenierten Alternativlosigkeit forciert dies noch. Als „asymmetrische Demobilisierung“ beschreiben Politikwissenschaftler  einen solchen Politikstil, dem es vor allem darum geht, den politischen Gegnern keine Themen zu überlassen und den offenen Diskurs zu meiden.

In der Einwanderungspolitik wurde diese Vermeidung zudem stark moralisch grundiert. Merkel und ihrer Regierung fiel es gar nicht ein, den großen demokratischen Konsens zu nutzen und eine offene Diskussion darüber zu führen, wie Einwanderung am besten gestaltet und wie Flüchtlingen am besten geholfen werden könnte. Statt dessen erweckte die Bundesregierung – und mit ihr eine merkwürdig unkritische Medienlandschaft – den Eindruck, dass jemand, der die pragmatische Frage nach dem Wie stelle, die Hilfe für Flüchtlinge insgesamt inhuman verweigern wolle.

Zugleich beschädigen, bis heute, auch rot-grüne Parteien offene Debatten, indem sie viel zu beliebig mit dem Vorwurf des Rechtsradikalismus umgehen. Ob Menschen, die das muslimische Kopftuch als frauenfeindlich wahrnehmen – oder Männer und Frauen, die Schwierigkeiten mit dem Feminismus haben – oder Eltern, die eine rot-grüne schulische Sexualpädagogik ablehnen – oder Menschen, die behaupten, auch Weiße könnten Opfer von Rassismus werden – oder auch einfach klassische Konservative: Beliebig tun rot-grüne Akteure bis heute die Positionen solcher Menschen als reaktionär, als rechtsradikal, als Hate Speech ab, gern auch in steuermittelfinanzierten Kampagnen.

Akteure, die sich als „links“ verstehen, haben damit den Vorwurf des Rechtsradikalismus durch seinen beliebigen Gebrauch für die Diskreditierung von Gegnern  inflationiert – so weit, als ob sie gar nicht mehr damit gerechnet hätten, dass ihnen irgendwann auch einmal echte Rechtsradikale begegnen könnten.

Merkels Vermeidung demokratischer Debatten in der inszenierten Alternativlosigkeit und die rot-grüne Betonierung demokratischer Debatten in inszenierten Freund-Feind-Bildern legen es nahe, dass sich Alternativen dazu dann eben außerhalb demokratischer Debatten formieren. So können, wenn wir Pech haben, alle zur Zeit im Bundestag vertretenen Parteien zu Geburtshelfern eines neuen, erfolgreichen Rechtsradikalismus werden – nicht aus Sympathie für Rechtsradikale, aber aus kalkulierendem Desinteresse gegenüber demokratischen Debatten.

Die Inszenierungen Merkels  und der rot-grünen Akteure demonstrieren jeweils ein grundlegendes Desinteresse an Strukturen, die eben jenes Deutschland so stark gemacht haben, das Höcke verachtet: an einem demokratischen Konsens über unterschiedliche politische Positionen hinaus, der sich auch in kontroversen öffentlichen Diskussionen immer wieder neu bilden kann.

Sollte der Schrecken über Höckes ungehemmten, realen Rechtsradikalismus das Interesse an einem solchen demokratischen Konsens und an offenen demokratischen Debatten wieder wecken, dann hätte selbst seine Rede, ganz aus Versehen und ganz gegen die Absicht des Redners, positive Folgen gehabt.


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