Whit Stillmans Jane Austen-Verfilmung Love & Friendship spiegelt unsere Geschlechterpolitik überraschend gut wieder
Ohne ihn wäre ich ganz allein unter Frauen gewesen. Er saß im Kinosessel direkt vor mir, ein älterer Herr, der vielleicht – einfach schon zu schwach zur Gegenwehr – einfach mit ins Kino gezerrt worden war. Ansonsten saßen vor, hinter und neben mir nur Frauen.
Das ist eigentlich schade. Jane Austen hat bei manchen Deutschen den Ruf, eine frühe Version Rosamunde Pilchers zu sein, aber in der englischen Literaturwissenschaft sind ihre Romane längst als grundlegend anerkannt. „Lady Susan“ allerdings ist ein kaum bekannter Briefroman, den Austen vermutlich als sehr junge Frau geschrieben hat. Er ist mit Kate Beckinsale in der Titelrolle als „Love & Friendship“ verfilmt worden und im vergangenen Monat in die Kinos gekommen.
Bei näherer Betrachtung ist es sehr seltsam, dass lauter Frauen und nicht lauter Männer im Kinosaal saßen.
Im Mittelpunkt des Filmes steht nämlich eine Frau, die so bissig, zynisch und ironisch präsentiert wird, als wäre sie der Fantasie eines ganz besonders schlecht gelaunten Männerrechtlers entsprungen. Eines ihrer zentralen Themen – das ökonomische Kalkül romantischer Liebe – hat Austen wohl an keiner anderen Figur mit einer solchen Schärfe durchgespielt wie an ihrer Lady Susan.
Universelle Wahrheiten und schrecklich störende Fakten
„It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune, must be in want of a wife.“
Es wäre eine universell anerkannte Wahrheit, dass ein unverheirateter und vermögender Mann notwendig auf der Suche nach einer Ehefrau sein müsse: Das ist der wohl berühmteste Satz von Austen und der Eingangssatz von Pride and Prejudice.
Mrs Bennet hofft dort gleich zu Beginn, sie würde eine der fünf unverheiraten Töchter gewinnbringend an den neuen Nachbarn Mr. Bingley verehelichen können. Allerdings nimmt sie diese Hoffnung als einen Wunsch Bingleys wahr und erhebt diese Projektion dann auch noch in den Stand eine universell anerkannten philosophischen Wahrheit.
Vor allem: Genau im Mittelpunkt des Satzes steht der Begriff possession, Besitz. Kern der romantischen Heiratsträume und des damit einhergehenden Philosophierens ist ein ökonomisches Kalkül.
Das prägt die Ironie von Austens Texten: Die ehrenwerte Selbstdarstellung der Personen, beständig zum Moralisieren bereit, ab und zu in romantische Katastrophen abstürzend – und direkt darunter, kaum verborgen, ein primitives, rohes Bedürfnis nach Besitz und Status. In ihrem Briefroman Lady Susan hat Austen dieses materialistische Skelett ihrer romantischen Figuren besonders zynisch ausgestellt. Das gilt auch für die Verfilmung Whit Stillmans.
Lady Susan (Kate Beckinsale), Mitte dreißig, frisch verwitwet und Mutter der sechzehnjährigen Frederica (Morfydd Clark), quartiert sich in der Residenz von Charles und Catherine Vernon ein, dem Bruder ihres Mannes und dessen Ehefrau.
Catherines jüngerer Bruder Reginald (Xavier Samuel) kommt dazu und verliebt sich schnell in die als gewissenlose Verführerin verschriene Susan. Die zieht ihrerseits eigentlich den verheirateten Mr. Manwaring (Lochlann O’Mearáin) vor, was aber ihrem umsichtigen Flirt mit Reginald keinen Abbruch tut.
Auch Frederica trifft unerwartet ein – sie ist aus dem Internat, in das Susan sie verfrachtet hatte, geflohen, um den Heiratsplänen zu entgehen, die ihre Mutter für sie geschmiedet hat: Sie soll die Frau des pompös-dummen, aber vermögenden Sir James Martin (Tom Bennett) werden.
Am Ende ist es Susan selbst, die Sir James heiratet. Ganz offensichtlich ist sie nämlich von Manwaring schwanger geworden. Der aber, gerade von seiner vermögenderen Frau getrennt, kann sie nicht ernähren – und so erzählt sie dem gutgläubigen Sir James gleich am Morgen nach der Hochzeitsnacht, dass er sie geschwängert habe.
Frederica wiederum heiratet Reginald, in einem deutlich romantischeren Rahmen.
Diese Wirrungen wären langweilig, wenn nicht Susans offener, zynischer Materialismus mit ihrer steifen Umgebung frontal kollidieren würde. Für Andreas Busche in der Zeit fehlen ihr, wie anderen Figuren des Regisseurs, „jegliche soziale Filter, die in Alltagskonversationen ihrem Narzissmus und ihrer blasierten Ignoranz vorgeschaltet wären“. Beckinsale verkörpere
„Lady Susans obsessives Statusbewusstsein und ihren unreflektierten Snobismus mit verschlagener Ahnungslosigkeit, hinter der immer wieder blanke Niedertracht zum Vorschein kommt.“
„Er ist bereit, das Wichtigste zu geben, was er besitzt: sein Vermögen.“ Das schärft Susan zum Beispiel ihrer Tochter ein, deren Ankunft auf dem Landgut der Vernons ihr sichtlich auf die Nerven geht: Sie solle nun doch bitteschön bald Sir James heiraten und sich durch ihre Verachtung für ihn nicht irritieren lassen. Dass die Ehe doch ein lebenslanger Bund sei, wie Frederica einwendet, beeindruckt Susan nicht: „Nicht nach meiner Erfahrung.“
Ihre Vertraute und Freundin, Mrs. Johnson (Chloë Sevigny), habe mit ihrem Ehemann allerdings einen schweren Fehler gemacht: „Er ist zu alt, um lenkbar zu sein, und zum Sterben zu jung.“
Von der Fixierung auf eigene Bedürfnisse lässt sie sich weder durch moralische Bedenken noch durch störende Tatsachen abbringen. „Fakten sind etwas Schreckliches.“
Der Donald Trump der romantischen Komödie
Dass sie damit nicht einfach nur als Monster inmitten liebenswerter Menschen erscheint, hat einen einfachen Grund: Susan tut in ihrer egoistischen Beschränktheit eigentlich nichts Anderes als das, was andere um sie herum auch tun – sie tut es nur ungehemmter, offener, schamloser und ohne moralisierende Umkleidung. Susan ist gleichsam der Donald Trump des romantischen Historienkomödie.
Sir James zum Beispiel räsonniert wichtigtuerisch und ahnungslos über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen und erklärt, dass nur Männer zum Betrug in der Ehe neigen und Frauen dazu gar nicht fähig wären. Vermutlich werden es ihm viele gönnen, dass Susan ihm ein Kuckuckskind unterschiebt.
Lucy Manwaring reagiert auf die Affäre ihres Mannes mit Susan nicht wie eine traurige oder wütende Frau, sondern wie ein verzweifeltes, trotziges Kleinkind, dem jemand ein Spielzeug geklaut hat.
Catherine wiederum trägt es Susan bleibend nach, dass diese kurzzeitig versucht hatte, sich Catherines eigener Heirat mit Charles in den Weg zu stellen.
Ihr sympathischer Bruder Reginald ist hingerissen und verliebt angesichts von Susans oberflächlicher Flirterei mit ihm, und er nimmt die unscheinbare, aber offen verliebte Frederica kaum wahr.
Die sympathische Frederica wiederum versucht, Reginald einzuspannen, um ihre Mutter davon abzubringen, sie mit Sir James zu verheiraten. Natürlich erscheint Frederica dabei nicht als manipulativ, sondern als hilflos und hilfsbedürftig. Sie versichert dem jungen Freund der Mutter bei dieser Gelegenheit auch, dass sie eigentlich gar nicht heiraten, sondern selbstständig sein und als Lehrerin arbeiten wolle.
Allerdings tut sie den ganzen Film über nichts mehr, um dieses Vorhaben zu realisieren, und mündet schließlich stimmig und hoffnungsvoll in der versorgenden Ehe mit dem wohlhabenden Reginald.
Nicht nur die materielle Versorgung, sondern auch und vor allem die Zugehörigkeit zu einem gehobenen Stand wird hier den Frauen durch ihre Ehen – Susan mit Sir James, Frederica mit Reginald, Susans Vertraute Alicia mit Mr. Johnson – garantiert.
Warum aber haben die wohlhabenden Männer eigentlich ein Interesse an einer solchen Ehefrau? Schließlich treffen sie kein Arrangement wie in einer der späteren kleinbürgerlichen Ehen, in denen der Mann das Geld verdient und die Frau dafür Haus und Kinder versorgt. Dafür haben die Familien hier Bedienstete. Die Frau hat eigentlich nichts zu tun – und ihre entsprechende Selbstbezüglichkeit und Realitätsferne karikiert Austen genüsslich in Figuren wie der Mrs Bennett aus Pride and Prejudice.
Gerade der fehlende Nutzen dieser Frauen aber ist geeignet, eine Zugehörigkeit zu einem gehobenen Status deutlich zu signalisieren. Dass jemand selbstverständlich einen anderen erwachsenen Menschen mitversorgen kann, ohne eine reale Gegenleistung dafür verlangen zu müssen – das setzt eben beachtliche Ressourcen voraus. Der weitaus größte Teil der zeitgenössischen Männer konnte sich eine Ehe wie die, die bei Austen geschlossen werden, gar nicht leisten – und der weitaus größte Teil der zeitgenössischen Frauen hatte niemals die Möglichkeit, ein solches gepflegt unnützes Leben zu führen.
Diese Art der asymmetrischen Versorgerehe mag als deutliches Statuszeichen sehr aussagekräftig gewesen sein – dadurch allein aber konnte sie den Beteiligten in ihrer unmittelbaren Lebenswelt wohl kaum als überzeugendes Modell erscheinen. Dafür war es nötig, sie mit Phantasien einzukleiden, sie mit einer Bedeutung zu versehen, die über das bloße Statussignal hinausreichte.
Anders formuliert: Die romantischen Phantasien, die wir heute bei Austen genießen können, sind gleichsam das Fleisch auf dem Skelett des ökonomischen und statusfixierten Kalküls, das für sich allein genommen kaum reizvoll wäre.
Die Frau wird dann, gerade weil sie durch das Vermögen des Mannes aus der Logik der materiellen Reproduktion herausgehalten wird, zum Inbegriff eines unschuldigen Menschseins. Weil sie aber unschuldig in einer zynischen Welt ist, braucht sie auch den Schutz des Mannes, der sich in dieser Welt besser auskennt: Der Damsel in Distress entspricht als Gegenstück der ehrenwerte, welterfahrene Mann, der sie ausnutzen könnte, der sie aber stattdessen beschützt und umsorgt. Mr. Darcy.
Warum aber sind diese antiquierten Geschlechterphantasien noch heute reizvoll? Mehr noch: Warum ist ein heutiges Kinopublikum an Protagonistinnen interessiert, die so lebten wie bestenfalls zwei Prozent der damaligen Frauen – aber deutlich weniger an den übrigen 98 Prozent?
Der Staat als Super-Mr. Darcy
Möglicherweise haben Austens Geschlechterbilder eben mehr mit unseren eigenen Bildern zu tun, als wir es wissen wollen. Wir amüsieren oder ärgern uns über den eng korsettierten, blasierten, heuchlerisch moralisierten Umgang zwischen Männern und Frauen bei Austen – und merken darüber gar nicht, dass wir uns dort selbst zusehen.
Es wirkt pompös, wichtigtuerisch und komisch, wenn Sir James, Kuckucksvater mit Ansage, darüber räsonniert, dass eine Frau unfähig zum Betrug sei. Seine Position entspricht aber den Positionen, die heute in der politischen Diskussion um Scheinvaterschaften von Männern vertreten werden, die nicht etwa den Betrug von Frauen, sondern das Misstrauen von Männern verurteilen.
Dass Frederica davon redet, Lehrerin und selbstständig werden zu wollen, ist nicht Austens Text entnommen, sondern wird im Film hinzugefügt. Sie möchte sich gern als selbstständige junge Frau sehen, ohne aber etwas dafür zu tun – genauer: Wir möchten sie heute als selbstständige junge Frau sehen, sind aber gar nicht so genau daran interessiert, was für diese Selbstständigkeit eigentlich nötig ist.
Das ist dann schon eine Projektion heutiger Geschlechterphantasien in Austens Kosmos, die dort aber gut hineinpasst. Der Wunsch ist ja wichtig, Frauen ebenso wie Männer als selbstständige Menschen sehen zu wollen – nur gehört eben die Frage nach der realen, ökonomischen Basis dieser Selbstständigeit dazu.
Das Bundesfamilienministerium hat beispielsweise gerade eine Studie veröffentlicht, nach der im Durchschnitt ein Mann im Laufe des Lebens etwa doppelt so viel Geld erarbeitet wie eine Frau.
Das Ministerium kommt gar nicht auf die Idee, zu diesem Anlass nach der ökonomischen Basis der Selbstständigkeit zu fragen. Statt dessen werden die Daten dort im Sinne des romantischen Damsel in Distress-Motivs interpretiert und als Hinweis als Diskriminierung von Frauen in einer feindlichen Männerwelt interpretiert.
Heute wie zu Austens Zeiten spiegeln solche Geschlechterbilder die Lebenswirklichkeit nur eines Teiles der Bevölkerung – sie prägen aber weitgehend die Politik. Wenn staatliche Institutionen zu Tausenden, in Gleichstellungsstellen, Frauenhäusern oder Gender Studies-Lehrstühlen, mit der Sorge für Frauen befasst sind, die Männer aber für sich selbst sorgen lassen: Dann agiert der Staat wie ein Super-Mr.Darcy.
Wenn ein Ministerium familiäre Gewalt gegen alle seriösen Studien allein als Gewalt von Männern gegen Frauen interpretiert, dann reproduziert es damit eben die Geschlechterbilder, die bei Austen noch Karikaturen waren: die Frau als hilflos-zerbrechliches Geschöpf, der Mann als unempfindlicher tumber Tor.
Es täte dieser Politik offenbar gut, wenn sie nicht nur die Gesellschaft verändern wollte, sondern ab und zu auch einmal misstrauisch gegenüber sich selbst wäre – wenn sie also ab und zu überprüfen würde, ob sie nicht an eben den romantischen Geschlechterbildern kleben geblieben ist, die sie mit überlegenem Gestus auf das Konto einiger rückständiger, ewiggestriger und anti-emanzipatorischer alter weißer Männer verbuchen möchte.
Es täte ihr auch gut, sich weniger auf Repräsentationen zu konzentrieren (Wie werden Frauen in der Werbung dargestellt? Ist die grammatikalische Struktur unserer Sprache sexistisch? …) und stärker auf die ökonomische Basis, auf der Menschen leben und die sie sich fortlaufend erarbeiten müssen.
Ganz gewiss täte es ihr gut, einmal den Gedanken durchzuspielen, dass diese ökonomische Basis nicht allein von Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterdrückung, sondern von pragmatischen Zwängen strukturiert wird, denen die so starken Männer nicht weniger unterliegen als die Frauen, die des staatlichen Schutzes angeblich so dringend bedürfen.
Ganz knapp formuliert: Die Geschlechterverhältnisse, über die sich Jane Austen schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts lustig gemacht hat, werden heute in Deutschland – und nicht nur dort – als unverzichtbare Orientierungen einer progressiven, emanzipatorischen Politik verkauft. Es wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nützlich, wenn sich daran einmal etwas ändern würde.
Einsortiert unter:Filme, Männer Frauen, Politik, Satire
