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Darf sich ein Mann Feminist nennen?

Männer.ch hat vor ein paar Tagen ein Statement auf ihrem Facebook-Profil veröffentlicht, das sich insbesondere damit auseinandersetzt, ob sich ein Mann ebenfalls Feminist nennen darf. Für mich hat männer.ch vielfach etwas Schwammiges in ihren Texten und deshalb wieder einmal ein paar Fragen.

Wer ist männer.ch?

In Deutschland ist männer.ch ev. noch nicht so bekannt und deshalb kurz eine Selbstbeschreibung bzw. –verortung durch männer.ch.

männer.ch schreibt über sich selbst u.a. folgendes:

männer.ch vereint die regionalen Männerinitiativen, interessierte Einzelpersonen und Paare sowie die Fachleute der Buben-, Männer- und Väterarbeit in der Schweiz. Als Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen engagiert sich männer.ch seit 2005 dafür, dass Männer den Gleichstellungsprozess nicht verschlafen – oder dabei vergessen gehen. Wir sehen Emanzipation als historische Chance, um Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit für alle zu realisieren. Für uns ist klar: Gleichstellung öffnet auch Buben, Männern und Vätern ganz neue Horizonte, ihr Leben jenseits von Ernährerzwang und Leistungskorsett zu gestalten. Nutzen wir die Chance – gestalten wir die Veränderung mit!

männer.ch schreibt:

DER Feminismus existiert nicht.

Queerfeminismus, Gleichstellungsfeminismus, Differenzfeminismus… Es gibt eine Vielzahl von Feminismen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Werten, Strategien.

Wenn ein Mann ohne weitere Differenzierung von sich sagt, er sei «Feminist», ist das deshalb erst mal eine ziemlich lose Ansage. Etwa so trennscharf wie die Selbstbezeichnung als «Konservativer» oder «Progressiver». Eine grobe Verortung. Ein Hinweis auf ein Zugehörigkeitsbedürfnis. Vielleicht Ausdruck von Solidarität. Aber ohne Erklärung und Tatbeweis eine ziemliche Leerformel, die uns aus Erfahrung erst mal hellhörig macht.

Weshalb sollte dies „sicherlich“ ein Hinweis auf ein Zugehörigkeitsbedürfnis sein, aber bloß „vielleicht“ ein Ausdruck von Solidarität?

Wie steht es beispielsweise mit einer Frau, wenn sie von sich sagt, sie sei Feministin, muss sie dann ebenfalls einen Tatbeweis bzw. Rechenschaft abliefern, am besten bei männer.ch? Und wenn nein, warum nicht? Wenn jemand sagt, er sei ein Demokrat oder für den Rechtsstaat oder für die Menschenrechte, muss er sodann speziell betroffen sein, damit er das überhaupt sagen darf? Muss er dann desgleichen bei männer.ch einen Tatbeweis abliefern, damit er sich dieses Etikett umhängen darf? Und warum sollte mich das a priori hellhörig machen, wenn mir jemand sagt, er sei ein Demokrat oder ein Sozialist? Ist es meine Aufgabe, nun nachzuprüfen, ob er sich ev. mit fremden Federn schmückt?

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Bild zeigt einen Mann mit einem T-Shirt mit Aufschrift Feminist.

Ein selbsternannter Feminist

männer.ch schreibt:

Feminismus ist sowohl Erfahrung wie Erkenntnis.

Die Sache wird noch komplizierter. Es gibt ja nicht nur eine Vielzahl von Feminismen, sondern auch unterschiedliche Verständnisse darüber, was dieser –ismus überhaupt sei.

Für manche ist Feminismus eine Erfahrungstatsache: nämlich die Erfahrung, als Frau nicht einfach als Mensch, sondern eben als Frau behandelt zu werden. In diesem Verständnis ist es logisch unsinnig (oder unglaublich anmassend), wenn sich ein Mann als «Feminist» bezeichnet, fehlt ihm doch eben gerade diese persönliche Betroffenheit.

Wie wird ein Mensch behandelt und wie wird eine Frau behandelt? Was ist der Unterschied bei der Behandlung eines Menschen und einer Frau? Gibt es den typischen Menschen? Und gibt es die typische Frau? Und was ist der Unterschied bei der Behandlung eines Menschen und eines Mannes? Noch einmal: Darf ich mich nur dann Menschenrechtsaktivist nennen, wenn ich selbst gefoltert wurde oder mir sonstige elementare Menschenrechte verweigert wurden? Darf ich nur dann Sozialist sein, wenn ich selbst unter der Brücke schlafe und sonst dem Prekariat angehöre?

männer.ch schreibt:

Für andere ist Feminismus ein Werkzeug, eine analytische Herangehensweise. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass Geschlechterverhältnisse keineswegs «natürlich» gegeben, sondern immer Ausdruck von (Macht-)Interessen sind. In dieser Lesart können Männer sehr wohl Feministen sein, wenn sie sich dem Kampf gegen ungerechte Geschlechterverhältnisse anschliessen.

Gibt es eine Gesellschaft, in der keine Macht-(interessen) vorhanden sind? Kann es überhaupt eine Gesellschaft geben, in der keine Macht-(Interessen) vorhanden sind? Ich vermute nein, somit dürfte diese Aussage, dass die Geschlechterverhältnisse ein Ausdruck von (Macht-)Interessen sind eine Binsenweisheit sein. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass Geschlechterverhältnisse eben nicht bloß auf (Macht-)Interessen beruhen, aber das müsste an anderer Stelle diskutiert werden.

männer.ch schreibt:

Profeministisch ist gut genug.

männer.ch hat nach 12 Jahren Existenz und Arbeit eine klare Identität: Wir sind das Dach der progressiven Männer und Väter. Wir vereinen unter diesem progressiven Dach sowohl profeministische wie emanzipatorische Kräfte.

Diese Selbstdefinition beinhaltet eine doppelte Differenzierung: Wir verstehen uns explizit nicht als Feministen, sondern als Profeministen. Und wir schaffen auch Platz für jene Männer, denen die Selbstbezeichnung Profeminist zu weit geht, weil ihnen die Emanzipation der Männer (von patriarchalen Rollenkorsetten und Machtstrukturen) um ihrer selbst willen am Herzen liegt.

Warum sind wir Profeministen statt Feministen?

(…)

Um etwas Demut und Vorsicht walten zu lassen. Wir haben ja durchschaut, welche Illusionen uns eingeimpft wurden, damit wir uns männlich fühlen. Zum Beispiel die Illusion, dass unser Wort mehr Gewicht und unsere Meinung mehr Wert hat als die aller Nicht-Männer.

Stellt sich allemal die Frage, woher männer.ch weiss, dass die Bevölkerung oder die Männer den Eindruck haben, dass  die Meinung der Männer mehr Wert hat als die aller Nicht-Männer? Gibt es dazu empirische Untersuchungen, die immer zum gleichen Ergebnis kommen? Vor allem: Es wird ja hier bloß das geschlechtsspezifische symbolische Kapital berücksichtigt, Interaktionen hängen jedoch gewiss noch von ganz anderen Kapitalarten ab, die Menschen besitzen oder eben nicht besitzen: politisches, soziales, ökonomisches, sonstig symbolisches, kulturelles etc.

männer.ch schreibt:

Wir finden es aber keine schöne Vorstellung, wenn männliche Feministen Frauen zu erklären beginnen, wie Feminismus besser geht. Wir müssen auch nicht dabei sein, wenn Männer zu wetteifern beginnen, wer der noch bessere Feminist ist. Da nehmen wir uns lieber von Beginn weg aus diesem Rennen der Macker mit pinken Kappen.

Das dürfte diesen Männer vermutlich gleich gehen, die sich Feministen nennen, wenn männer.ch ihnen erklären möchte, was ein wirklicher Feminist sein könnte und was nicht. Aber ganz allgemein: Weshalb Sprechverbote einrichten? Wenn eine Frau denkt, sie könne der Väterrechtsbewegung etwas mitteilen, was dieser ev. nützen könnte, weshalb nicht? Dürfen Betroffene nur mit Samthandschuhen angefasst werden? Sind diese gleichsam metaphorisch gesprochen in einem Naturschutzreservat?

männer.ch schreibt:

Um Raum zu schaffen für einen Mehrwert männlicher Beteiligung am Gleichstellungsprozess: Wir wissen als Männer doch am besten, wie das Patriarchat funktioniert und welchen Schaden es anrichtet.

Warum sollten Männer am besten wissen, wie ein Patriarchat funktioniert? Übrigens: Was versteht eigentlich männer.ch genau unter einem Patriarchat in Westeuropa (Definition, Operationalisierung, empirische Befunde)?

männer.ch schreibt:

Das Patriarchat ist für uns keine Herrschaft der Männer. Sondern die Herrschaft eines männlich geprägten Leistungsprinzips, das Fremd- und Selbstausbeutung zur Norm und Qualität erklärt.

Von welchem Leistungsprinzip spricht hier männer.ch und weshalb sollte dieses männlich geprägt sein? Und wer genau hat dieses Leistungsprinzip männlich geprägt und zur Norm und Qualität erhoben? Und was genau ist in diesem Zusammenhang mit Fremd- und Selbstausbeutung gemeint? Wer beutet wen aus und auf welche Weise geschieht das? Und das weiblich geprägte Leistungsprinzip wäre dann vollständig anders?

männer.ch schreibt:

Die Herrschaft eines Systems von Abwertung und Spaltung, das uns kranke Bonsai-Männer als «echte Kerle» verkaufen will. Dieses Knowhow nutzen wir. Wir sind Whistleblower. Wir sind lustvolle Verräter des Patriarchats. Eine noble Aufgabe, finden wir. Und vor allem eine Aufgabe, für die es Menschen braucht, die zu Männern gemacht wurden. Weil nur diese Menschen wissen, wie die Tricks und Incentives funktionieren, mit denen wir zu Männern gemacht wurden und mit denen wir bei Laune gehalten werden auch wenn in unserer Seele die Wüste beginnt.

Hört sich in meinen Ohren alles irgendwie kryptisch an: Welche Herrschaft von welchem System? Wer sind sie kranken Bonsay-Männer, die als echte Kerle verkauft werden? Und wiederum: Wie wäre es mit einer Definition von Patriarchat (plus Operationalisierung und empirische Befunde)? Von welchen Tricks redet hier männer.ch, also welche Tricks wurden angewendet, um die Männer von männer.ch zu Männern zu machen? Um es klar zu sagen: Ich verstehe nicht, von was hier genau männer.ch redet.

männer.ch schreibt:

Aus Respekt. Emanzipation ist eine Riesenaufgabe für alle. Wir schicken uns an, Strukturen und Normen zu verändern, die den Interessen der Mächtigen entsprechen und über mehrere Generationen streng eingeübt wurden. Das kann ja nicht schmerzfrei gehen. Um diesen Kampf zu fechten und als Männer Wege ins Offene zu finden, braucht es unsere ganze Aufmerksamkeit und Kraft. In dieser Situation den Frauen ritterlich zur Seite stehen zu wollen, ist für uns Ausdruck einer völligen Selbstüberschätzung und einer ziemlichen Ignoranz gegenüber der Aufgabe, die wir Männer zu lösen haben: uns selbst zu befreien.

Die Frage wäre nun auch wieder, was genau versteht männer.ch unter Emanzipation? Und welche Strukturen und Normen möchten sie denn gerne verändern, die den Mächtigen entsprechen und über mehrere Generationen streng eingeübt wurden? Und wer sind überhaupt die Mächtigen? Also könntet ihr hier mal diese Mächtigen genau benennen und beschreiben und lokalisieren? Und von was genau will sich nun männer.ch befreien? Und wollen das überhaupt alle Männer?

Fazit

Dieses Statement hört sich in meinen Ohren ziemlich nebulös, kryptisch und teilweise pathetisch an. Es ist quasi eine Rede über Alles und Nichts, also das Meiste ist ziemlich schwammig und „waschi-waschi“, wo man überhaupt nicht weiß, um was es geht oder was Sache ist. Und es wäre natürlich schön, wenn männer.ch ein paar Fragen von mir beantworten würde, insbesondere das mit dem Patriarchat würde mich schaurig interessieren.


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