Quantcast
Channel: man tau
Viewing all articles
Browse latest Browse all 356

Jammerlappen und die Politik der Ungleichheit

$
0
0

Dieser Text sollte eigentlich am letzten Samstag erscheinen. Ich hatte ihn am Abend zuvor fertig geschrieben, eingestellt und mit passendem Bild versehen, so dass ich am Samstagmorgen nur noch auf „Publish“ hätte drücken müssen.

Als ich an diesem Morgen aber ins Netz ging, erfuhr ich von den Massenmorden in Paris, und der Text passte nicht mehr. Ich schrieb dann einen weiteren Text, über diese Morde, den ich in wenigen Tagen hier einstelle. Heute aber erst einmal verspätet, aber passend zum International Men’s Day der folgende Text, der eigentlich schon vor einigen Tagen hier erscheinen sollte.

Oliver Flesch betreibt das Blog „Wahre Männer“ und verlor gerade ein wenig die Contenance. Er beschimpfte Tristan Rosenkranz, der wesentlich für den Aufbau der wichtigen und anerkannten Initiative „Gleichmaß“ verantwortlich ist, als „Deppen“, „Lappen“, „Stricher“, „Schande für die Männerwelt, ach was, für die gesamte Menschheit“. Was war passiert?

Gleiche_Rechte_Gleiche_Pflichten

Ein SPD-Plakat von 1919. Für den frechen Satz über “gleiche Rechte, gleiche Pflichten” bekämen die Verantwortlichen heute vermutlich Ärger mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Klingt er nicht irgendwie rechtsradikal?

Tristan Rosenkranz hatte sich die allerdings schwer begreifliche Provokation erlaubt, einen Text von Flesch nicht so gut zu finden, und sogar kommentiert, es sei ein „armseliger Text eines ewig Unerwachsenen“. Da wahre Männer nun einmal, wie wir alle wissen,  auf Provokationen jeglicher Art mit aufgeregten und hysterischen Tritten gegen den Gegner reagieren, hatte Rosenkranz  sich selbstverständlich alles Folgende selbst zuzuschreiben.

Was aber hatte er denn nun eigentlich an Fleschs Text auszusetzen?

Die Tragödien der Jammerlappen

Flesch hatte den „Männertag“ am 19. November als „Feiertag für Jammerlappen“ verhöhnt. Das Ziel des Tages, auf Probleme der Männergesundheit und etwa auf die deutlich niedrigere Lebenserwartung von Männern aufmerksam zu machen, sei lächerlich. Männer führten nämlich im Vergleich zu Frauen das exzessivere, bissigere, interessantere und produktivere Leben – und es gäbe keinen vernünftigen Grund, sich darüber aufzuregen, dass sie zum Ausgleich „beschissene vier Jahre“ weniger im Altersheim zu verbringen hätten.

Das jemand ein  kürzeres und interessanteres Leben einem längeren und langweiligeren vorzieht, ist ja grundsätzlich völlig nachvollziehbar. Allerdings zeigt die Argumentation eben auch, wie schwer es sein kann, mit statistischen Daten umzugehen.

Dass Männer im Durchschnitt fünf Jahre kürzer leben als Frauen, ist als statistische Größe eine sehr hohe Zahl. Sie ergibt sich eben nicht allein daraus, dass Männer rundweg weniger Zeit in Alterheimen dahinsiechen müssen – sondern, unter anderem, daraus, dass viele Männer noch deutlich eher sterben. Werden die fünf statistischen Jahre auf  reale Jahre für alle Männer hochgerechnet, dann ergibt sich daraus allein für Deutschland, dass die heute lebenden Jungen und Männer hier insgesamt fast zweihundert Millionen Jahre weniger Lebenszeit zur Verfügung haben werden als die heute hier lebenden Mädchen und Frauen.

Diese große Summe wird eben nicht gleichmäßig zwischen allen Männern aufgeteilt. In der Zahl finden sich sechzehnjährige Jungen, die sich selbst getötet haben – Jungen habe eine mehrfach höhere Selbstmordrate als Mädchen – und neunzehnjährige junge Männer, die in einem Autounfall gestorben sind, Familienväter, die mit 35 Jahren bei einem Arbeitsunfall – bei den gefährlichsten Berufen ist der Frauenanteil „extrem niedrig – oder mit 50 an einem Herzinfarkt sterben.

Es verbergen sich also unüberschaubar viele persönliche Tragödien hinter den fünf Jahren Unterschied. Umso seltsamer sind die Aggressionen gegen jemanden, der sich dafür einsetzt, an dieser Situation etwas zu ändern.

Flesch ist mit diesen Aggressionen nicht allein. Das Blog „Der Jüngling“ vergleicht dessen Wutausbruch mit zwei Zitaten aus einer ganz anderen politischen Richtung. Die ehemalige Taz-Chefredakteurin Bascha Mika habe den MANNDAT-Vorsitzenden Eugen Maus in einer Rundfunksendung als „Jammerlappen“ lächerlich gemacht, und die Autorin und Journalistin Thea Dorn habe höhnisch reagiert („Ich weine gleich!“), als Maus 2007 in einer Sendung der SWR-Reihe Quergefragt die prekäre Situation von Jungen in der Schule angesprochen habe.

Die fast wortgleichen Positionen von Flesch, Mika und Dorn verbindet die gemeinsame, aber unausgesprochene Überzeugung, dass Verantwortung zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt sein müsse: Dass Menschen die Empathie und Sorge anderer versagt bleibt, wird hier jeweils mit ihrer männlichen Geschlechtszugehörigkeit begründet – sogar dann, wenn es sich dabei um Kinder handelt.

Sicherlich folgt eine solch unterschiedliche Zuweisung von Verantwortungen längeren Traditionen, möglicherweise auch evolutionsbiologischen Prägungen. In einer modernen, also funktional – und nicht nach Geschlechtern – ausdifferenzierten Massengesellschaft ist sie allerdings fremd und dysfunktional. Zudem verträgt sich die Vorstellung unterschiedlicher Verantwortungen nicht mit der Überzeugung, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sein sollten – denn gleiche Rechte passen mit prinzipiell ungleichen Verantwortungen offensichtlich nicht zusammen.

Gleiche Rechte, gleiche Verantwortung

In einer Hinsicht allerdings ist die Position von Flesch durchaus richtig und stimmig, wenn sie auch nicht nur für ein Geschlecht formuliert werden sollte: Kein Modell von sozialer Verantwortung ist sinnvoll, wenn es nicht grundsätzlich auf der Verwantwortung von Menschen für sich selbst aufbaut. Denn die Verantwortung, die Menschen für sich selbst tragen können, lässt sich nicht sinnvoll durch andere ersetzen. Ein Modell der Verantwortung, dass einer modernen Gesellschaft angemessener ist als das von Flesch, Dorm oder Mika, lässt sich dann in drei Sätzen so formulieren:

1. Menschen sind grundsätzlich für sich selbst verantwortlich. Auch die Verantwortung von Menschen füreinander ist eben dann sinnvoll, wenn sie auf der Verantwortung von Menschen für sich selbst aufbaut, sie aber nicht zu ersetzen versucht.

2. Menschen geraten allerdings immer wieder auch in Situationen, in der sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Vor allem aber leben Menschen nicht in als isolierte Robinsons, sondern in starken, unüberschaubaren und nicht vollständig lösbaren gegenseitigen Abhängigkeiten. Daher sind Menschen auch füreinander verantwortlich.

Da diese Verantwortung, siehe oben, noch immer in vielen Traditionen zwischen den Geschlechtern unterschiedlich aufgeteilt wird, lässt sich das auch so formulieren: Männer sind für Frauen in gleichem Maße verantwortlich, wie Frauen für Männer verantwortlich sind. Männer sind für andere Männer in gleichem Maße verantwortlich, wie sie für Frauen verantwortlich sind. Frauen sind für andere Frauen in gleichem Maße verantwortlich, wie sie für Männer verantwortlich sind.

Kurz lässt sich das so zusammenfassen: Menschen sind unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit füreinander verantwortlich – unabhängig von ihrer eigenen Geschlechtszugehörigkeit und der der anderen.

3. Allein bei Kindern ist es sinnvoll, sie aufgrund ihrer deutlich geringeren Handlungsmöglichkeiten von dieser gegenseitigen Verantwortung auszunehmen. Hier gilt dann: Erwachsene tragen eine grundsätzliche Verantwortung für Kinder und ihr Wohlergehen, die Verantwortung der Eltern ist – entsprechend der besonderen Bedeutung, die Eltern für Kinder haben – besonders herausgehoben. Dabei sind Eltern unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit prinzipiell in gleicher Weise und in gleichem Umfang für ihre Kinder verantwortlich.

Die Gleichheit der Verantwortung bedeutet keine „Gleichmacherei“ – sie bezieht sich schließlich nicht auf jeden einzigen Aspekt des Lebens, sondern auf Grund- und Menschenrechte und grundlegende Lebensbedürfnisse. Die Gleichheit von Verantwortung und die rechtliche Gleichheit schaffen so erst den Rahmen, in dem Menschen unterschiedlich sein können, ohne dabei in grundsätzliche Rechten verletzt zu werden.

Auf der Basis gleicher Verantwortung können Eltern sich also beispielsweise natürlich darauf einigen, auf unterschiedliche Weise für ihre Kinder zu sorgen. Illegitim aber ist es, diese Unterschiede prinzipiell zu fassen und gar gesetzlich festzuschreiben – also beispielweise, wie weite Bereiche des deutschen Kindschaftsrechts das tun, den Müttern die Kindessorge durch persönliche Präsenz und den Vätern die Kindessorge durch finanzielle Versorgung zuzuteilen.

Das ist nicht nur ein theoretischer Satz, sondern tägliche Erfahrung als Lehrer: Eltern können ihre eigene Verantwortung für ihre Kinder nicht sinnvoll an staatliche Institutionen übertragen. Ein Staat, der sich wesentliche Entscheidungen über die Kindessorge vorbehält und sie zwischen Männern und Frauen unterschiedlich aufteilt, geht in seiner Staatsgewalt also keineswegs vom Volke aus, legitimiert sich nicht von unten nach oben, sondern betreibt eine Politik der Ungleichheit, die in einer modernen Gesellschaft dysfunktional ist.

Solche staatlichen Übernahmen der Kindessorge können Notlösungen in extremen Situationen sein, aber als allgemeine Regelungen sind sie schädlich und nicht legitimierbar. Dass diese Regelungen also beständig stille Tragödien produzieren, hat seinen Grund nicht allein in der fehlenden Kompetenz oder Überforderung der jeweils Verantwortlichen, sondern ist ein Fehler im System: Staatliche Institutionen ziehen sich hier eine Verantwortung zu, die sie sinnvoll gar nicht tragen können.

Warum die Männerherrschaft kein Ende hat

Insgesamt lässt sich an  den drei Punkten zur Verantwortung, unter anderem, zeigen, warum die heute dominierenden Spielarten des Feminismus moralisch und intellektuell so diskreditiert sind: Sie legitimieren sich durch die Berufung auf das Ziel der Gleichberechtigung, begründen aber eine Politik ungleicher Verantwortungen und ungleicher Rechte. So sind die regelmäßig entdeckten neuen Wellen des Feminismus, die „neue F-Klasse“ (Dorn) oder der „Feminismus von heute“ (Wizorek), jeweils substanzlos: Sie bleiben in den unlösbaren Widerspruch verstrickt, eine Politik der Ungleichheit mit einer Rhetorik der Gleichberechtigung zu vertreten.

Das gilt so für ganz unterschiedliche Ebenen einer feministisch inspirierten Politik.

Die Rhetorik des „Gender Pay Gaps“ beispielsweise ignoriert die Bedeutung persönlicher Verantwortungen, etwa der Entscheidung für Berufe mit schlechten Verdienstmöglichkeiten oder der Entscheidung, nicht in einer Vollzeitstelle zu arbeiten. Eine UNO-Initiative wie die „He-For-She“-Kampagne ignoriert die Gegenseitigkeit von Verantwortungen und betont, dass Verantwortung einseitig von Männern für Frauen getragen werden müsse. Das deutsche Kindschaftsrecht greift in die gemeinsame Verantwortung von Eltern ein und zieht, zur Belastung für alle Beteiligten, prinzipielle geschlechtsspezifische Unterschiede ein.

Allen diesen Beispielen – die beliebig ergänzt werden können – ist gemein, dass sie nicht nur an dem irrationalen Ideal einer prinzipiellen Ungleicheit der Verantwortung zwischen den Geschlechtern folgen, sondern dass sie auch Beispiele staatlichen Handelns sind. Die Politik der Ungleicheit wird aus öffentlichen Mitteln betrieben.

Der offenkundige Widerspruch, dass sich die dafür Verantwortlichen zugleich routiniert und durchweg auf das Ideal der Gleichberechtigung berufen, lässt sich nur mit behelfsmäßigen Zusatzannahmen notdürftig verdecken. Erst mit der Vorstellung, wir würden in einem „Patriarchat“, einer „Männerherrschaft“ leben, kann eine Politik der Ungleichheit mit dem Ideal der Gleichberechtigung versöhnt werden. Die Fiktion, die Gesellschaft sei sauber, umfassend und ungleich zwischen den Geschlechtern aufgeteilt, erfordert  dann auch ungleiche staatliche Förderungen, um endlich eine Gleichheit herzustellen.

Diese Politik lässt sich also nur halten, wenn die Fiktion eines „Patriarchats“ unangetastet bleibt. So erklärt sich dann auch die Wut auf Menschen, die versuchen, auf spezifische Probleme von Männern aufmerksam zu machen: Die Beispiele, die sie dafür anführen, sind jeweils zugleich Belege dafür, wie unrealistisch die Idee einer umfassenden „Männerherrschaft“ ist.

So lässt sich dann beispielweise auch die heftige Stimmungmache gegen den Gender-Kongress in diesem November erklären: Allein schon der Versuch, in gleicher Weise über die Nachteile von Männern und Frauen, Jungen und Mädchen zu sprechen, gefährdet die ideologische Grundlage einer Politik der Ungleichheit.

Eine moderne, nicht nach Geschlechtern sortierende Vorstellung von Verantwortung steht offenbar im Widerspruch zu früh erworbenen und lange verfestigten Dispositionen. Gleich reihenweise finden sich im Internet soziale Eperimente, die zeigen, wie einer von einem Mann angegriffenenen Frau sogleich durch zufällige Passanten geholfen wird – wie aber umgekehrt ein von einer Frau angegriffener Mann möglicherweise gar mit Häme rechnen muss.

Wer als Mann im Internet eine Frau gegen Angriffe von Männern verteidigt, kann sich als Held fühlen. Wer als Mann einen Mann gegen Angriffe von Frauen verteidigt, kann damit rechnen, als „Masku“, als „Nazi“ oder gleich als „Abschaum“ tituliert zu werden – von einem anderen Mann zum Beispiel, der dann später ganz ironiefrei durch die Friedrich Ebert Stiftung als Experte für Hate Speech im Internet eingeladen wird.

So tief Dispositionen der Ungleichheit aber auch sein mögen – eine systematische Politik der Ungleichheit lässt sich nicht durch Dispositionen erklären, sondern nur durch Interessen. Natürlich haben Nutznießer dieser Politik Sorge um ihre Positionen und Einnahmen. Männer können sich zudem durch die Rede vom „Patriarchat“ in der Illusion bestätigt fühlen, stark und mächtig zu sein und damit ein klassisches männliches Selbstverständnis auch dann aufrechterhalten, wenn ihre eigene Lebenserfahrung vorwiegend von Erfahrungen des Verlusts oder der Niederlage geprägt ist. Selbst Frauen, denen – wie zum Beispiel getrennt erziehenden Müttern –  die Politik der Ungleichheit objektiv schadet, können ihr trotzdem zustimmen, weil sie dadurch wenigstens einem Mann, dem Partner oder Ex-Partner gegenüber deutliche rechtliche Vorteile haben.

Die Beispiele von Flesch, Mika und Dorn zeigen, dass machistische und feministische Positionen einander viel näher sein können, als die Vertreter beider Seiten das wahrhaben möchten – zu Lasten von Männern UND Frauen. Wer Humanität aufspaltet und Männern nur eine begrenzte Menschlichkeit zugesteht, engt dann eben auch Frauen in komplementären Begrenzungen ein. Flesch etwa stellt sie als „Wackelarsch auf Stöckelschuhen“ hin. Wer Männer für alles verantwortlich macht und ihnen keine Empathie zugesteht, beschreibt damit eben implizit Frauen zugleich als Wesen, die zwar beständigen Beistand brauchen und bekommen sollten, aber zu keiner eigenen Verantwortung fähig sind.

Eine ungleiche Verantwortung ist aber prinzipiell nur zwischen Erwachsenen und Kindern schlüssig. Wer also in „He-For-She“-Modellen die Verantwortung stattdessen zwischen Männern und Frauen ungleich verteilt, infantilisiert damit zwangsläufig Frauen. Thea Dorn macht das beispielhaft: Dass die erwachsene Frau den Hinweisen auf die prekäre schulische  Situation von Jungen allein mit Hohn begegnen kann, ist nicht nur ein Beispiel von Verrohung. Darin drückt sich auch die Weigerung aus, gegenüber Kindern und Jugendlichen, die in Not geraten, eine erwachsene Verantwortung zu übernehmen.

Die Tränen Dorns brauchen diese Kinder nicht. Aber sie brauchen Erwachsene, die sachlich und fair mit ihrer Verantwortung umgehen können.

Und: Erwachsene brauchen solche Erwachsenen auch.


Einsortiert unter:Männer Frauen, Politik

Viewing all articles
Browse latest Browse all 356