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Nazis, überall Nazis

Über die Konjunktur von Nazivergleichen und das Verschwinden der Zivilität

Justizminister Heiko Maas hatte die Situation gewohnt umsichtig durchschaut.

„Zumindest die, die auf der Bühne standen und bedauert haben, dass die KZs nicht mehr in Betrieb sind, das sind Nazis”.

Was war passiert? Akif Pirinçci hatte auf einer Pegida-Demonstration im Oktober wie gewohnt Amok geredet, von „Moslemmüllhalden“ gesprochen und einen Satz formuliert, der dann später häufig und empört zitiert wurde: „Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.”

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Nur einer sehr oberflächlichen Betrachtung scheinen diese beiden Gesten ähnlich zu sein, tatsächlich sind sie natürlich fundamental unterschiedlich. Die eine Geste ist ein verrohter Ausdruck von Hass, von Feindschaft, antizivil und repressiv – die andere ist eine im Kern zivile Geste der Emanzipation, der Auflehnung gegen inhumane und antidemokratische Strukturen. Sehr leicht zu unterscheiden – wenn man es erst einmal weiß.

Im Zusammenhang seiner Rede wird deutlich: Pirinçci hatte Bedauern in dem Wort „leider“ Angela Merkels Regierung unterstellt und angedeutet, sie würde, wenn möglich, gern Konzentrationslager für Gegner ihrer Flüchtlingspolitik bauen.

Pirinçcis Gegner wieder sahen den Satz als Bestätigung dafür an, dass er und andere Pegida-Aktive selbst gern Konzentrationslager bauen würden.

Eine Situation, die albern wäre, wäre sie nicht so bitter – und die sich als Sinnbild für politische Debatten im Deutschland des Jahres 2015 eignet: Deutsche verschiedener politischer Richtungen, unter ihnen ein Bundesminister, unterstellen sich hier gegenseitig grund- und sinnlos die Absicht zum Bau von KZs.

In Diskussionen um die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wird schon seit Langem die Frage gestellt, was aus dieser Erinnerung werde, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind und sie nur noch von Nachgeborenen weitergegeben werde. Die deprimierende und hoffentlich bloß vorläufige Antwort: Die Erinnerung an die Verbrechen Deutschlands wird zu einem beliebigen Instrument, um beliebige politische Gegner willkürlich, aber so massiv wie möglich diffamieren zu können.

Mit Nazi-Keulen gegen Nazi-Keulen

Der Pegida-Organisator Lutz Bachmann vergleicht Justizminister Heiko Maas mit Joseph Goebbels, und die damalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi bezeichnet Bachmann im Gegenzug als „wahnsinnigen Faschisten“. Ob nun ein Pegida-Poster mit Merkel in Nazi-Uniform  oder gleich ein Vergleich Merkels mit Hitler: „Nazi-Vergleiche haben bei Pegida Konjunktur.“ 

Im Spiegel hingegen erklärt Sascha Lobo von der anderen politischen Richtung her, warum die Nazi-Keule ein angemessenes Instrument der demokratischen Auseinandersetzung sei: Es habe erzieherischen Wert, Menschen, die Verständnis mit Pegida-Positionen signalisieren, sogleich als „Nazis“ zu bezeichnen.

„Die (…) Mitläufer, die Frustrierten, die Ängstlichen, die Aufgehetzten, die vielleicht noch erreichbaren Latenz-Nazis – die muss man dort packen, wo es schmerzt, also bei ihrem Wunsch, kein Nazi zu sein.“

Gerade wer kein Nazi sein will, kann effektiv als einer beschimpft werden: Der Begriff „Nazi“ ist auf diese Weise weitgehend abgelöst von seiner historischen Bedeutung zu einer Chiffre geworden, zu einem Synonym für „ein Mensch, dessen politische Meinung mir nicht passt“.

Wichtig ist jedenfalls: Mit Nazis kann und soll kein vernünftiger Mensch reden, weil es bei ihnen ohnehin keinen Sinn habe und sie nur unnötig aufwerte. Der Begriff „Nazi“ markiert so, in seiner heute üblichen Verwendung, tiefe soziale und politische Spaltungen: Er steht dafür, dass politische Meinungsverschiedenheiten nicht mehr moderiert, dass unterschiedliche Perspektiven nicht mehr miteinander abgeglichen werden.

Dabei richtet sich die Nazi-Beschimpfung weniger an den Beschimpften als an Dritte: Denen signalisiert der Sprecher, dass der als „Nazi“ Betitelte – im Unterschied zum Sprecher selbst, natürlich, der ja in jedem Fall ein aufrechter Demokrat ist– kein Umgang sein könne für einen vernünftigen, humanen Menschen. Jemanden willkürlich als „Nazi“ zu bezeichnen, beginnt kein Gespräch, sondern beendet es – weil der so Bezeichnete eines Gespräches nämlich auch gar nicht wert sei.

Wer jemanden als Nazi bezeichnet, sagt damit also: Der muss weg! Als ob sich alle anderen Probleme ganz von selbst lösen würden, wenn nur die Flüchtlingsfeinde verschwinden würden, oder die Flüchtlinge, oder die Linken, oder die Rechten, oder die „Maskus“, oder die „Feminazis”. Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur von c’t/heise-Online hat jedenfalls eine klare Botschaft an ganz unterschiediche Gruppen, die für ihn aber alle irgendwie Nazis sind, „die PegidistInnen und die Maskulinisten, die Identitären, Reichsdeutschen und Antifeministen“ :

„Verpisst Euch. Wir brauchen Euch nicht. Nicht in Deutschland. Nicht in Europa. Nirgends auf der Welt.“ 

Ganz einfach lässt sich das auch so ausdrücken: Die beliebige Assoziation anderer mit Nazis markiert den Unwillen, zivile Regeln anzuerkennen. Denn für diese Regeln ist es wichtig zu akzeptieren, dass ein anderer Mensch überhaupt erst einmal da ist – auch wenn er stört.

Lechts und rinks

Der Soziologe Norbert Elias hat den von ihm so gründlich untersuchten „Prozeß der Zivilisation“ auch mit einem Begriff skizziert, der sperrig wirkt, aber sehr nützlich ist: mit dem der „Formalitäts-Informalitäts-Spanne“. Formalität steht für den Bereich der etablierten Insitutionen, mit klar geregelten Verhaltensweisen, durchaus bestimmt von „zeremonieller Härte“. Informalität steht für eine Distanz dazu – eine Distanz zu den Institutionen, zu den gesellschaftlichen Machtzentren, aber auch zu den strikten Regelungen des Verhaltens.

Im Prozess der Zivilisation, so Elias, werde die Entfernung zwischen beiden Bereichen verkleinert, und es würden Vermittlungen zwischen ihnen etabliert. Einerseits würden die Institutionen zugänglicher, offener, die Regelungen des Verhaltens würden weniger streng, die formelle Seite „verflüssige“ sich – andererseits bildeten sich im Bereich des Informellen größere soziale Strukturen aus, die auch das Verhalten der Einzelnen ordnen und die ihrerseits Zugänge zu den Bereichen gesellschaftlicher Macht schaffen. Die Etablierung von Arbeiterbildungsvereinen und Arbeiterparteien ist ein einschlägiges Beispiel für diese stärkere Strukturierung informeller Bereiche.

Wichtig daran ist: Zivilisierung bedeutet bei Elias eben nicht, dass sich die Verhaltensweisen von sozial privilegierten, in den Institutionen verankerten Schichten auf die gesamte Gesellschaft ausbreiten und keine Alternative zulassen. Zivilisierung ist eine Vermittlung zwischen den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, eine Moderation der Konflikte, ein Abbau von Zugangsblockaden zu Machtpositionen, auch ein Abbau von Fremdheit.

Wenn Zivilisierung also im Kern eine gesellschaftliche Vermittlung bedeutet, dann erleben wir heute Tendenzen einer entschlossenen Ent-Zivilisierung.

Die Verrohung politischer Auseinandersetzungen, die Enthemmung des Verhaltens in Facebook-Kommentaren oder in politischer Gewalt ist nur eine Seite dieser Ent-Zivilisierung. Die andere, ebenso wichtige ist eine Verhärtung und ein Verschließen der bestehenden Institutionen, für gewöhnlich legitimiert durch einen moralisierend-herablassenden Blick auf die Menschen, die von dort aus als unzivilisierter Pöbel erscheinen. Jede dieser Seiten kann aus der Perspektive der anderen, irgendwie, mit „Nazis“ assoziiert werden: Die Seite der Formalität, weil sie totalitär sei, die Seite der Informalität, weil die Menschen dort aus der Geschichte nichts gelernt hätten und von dumpfen Feindseligkeiten bestimmt seien.

Wenn ich heute beispielsweise feministische Positionen kritisiere, dann auch, weil der heutige Feminismus wesentlich dazu beigetragen hat, mir und unserem Kind das Recht auf väterliche Sorge vorzuenthalten – die Väterbewegung ist eine der wesentlichen Quellen maskulistischer Strömungen, die Kuri so umstandslos mit Rechtsradikalen identifiziert. Mir dann, nur weil ich das nicht stillschweigend akzeptiere, offen und vom Redakteurssessel aus ein schroffes „Verpiss dich von dieser Welt“ zuzurufen, ist von einer verrückten Verrohtheit. Kuri selbst ist das wohl gar nicht bewusst, weil er gar nicht auf die Idee kommt, die Situation probeweise auch einmal aus der Perspektive der Beschimpften zu betrachten.

Kuri ist damit gleichwohl harmlos im Vergleich zu der „Politikwissenschaftlerin und Autorin“ Julia Schramm von der Amadeu Antonio Stiftung „für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur“. Dass Schramm dort als „Fachreferentin für Hate Speech“ arbeitet, wirkt angesichts ihrer öffentlichen Äußerungen (über Alles Evolution) wie ein schwer verständlicher Scherz.

Außenminister Steinmeier verbreitet für sie  „nationalistischen Dreck“, der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel ist für sie, was auch sonst, ein „Fascho“. Neben weiteren Beschimpfungen feiern ihre Tweets bei Twitter vor allem die Freude an massiver Gewalt.  So macht sie sich beispielsweise über die Kinder, Männer und Frauen lustig, die bei den Bombenangriffen auf Dresden getötet wurden: „Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei!“ („Kartoffel“ ist eine abschätzige Bezeichnung für Deutsche). Gleichgültig ist ihr, unter anderem, dass es in Dresden auch deshalb so viele Todesopfer gab, weil Stadt am Ende des Krieges von Flüchtlingen überfüllt war

Als „Hass“ nimmt Schramm nicht etwa ihre eigene Gewaltfreude wahr – sondern die Mühe, die sich einer ihrer Gegner gemacht hat, um Tweets von ihr zusammenzutragen und Vorwürfe an sie so auch belegen zu können. Der nämlich sei selbstverständlich, was auch sonst, ein „Hater“.

Auch das ist ein praktischer Effekt willkürlicher Unterstellungen des Hasses und willkürlicher Nazi-Vergleiche: Wer den anderen rundweg als Fascho, als Nazi oder als Hater sieht, muss die eigenen faschistoiden Aspekte und die eigenen wirren Aggressionen nicht realistisch wahrnehmen, kann sie gar veredeln zu einem Akt des Widerstandes gegen das Böse. Andere beliebig als Nazis zu beschimpfen ist so auch ein Akt der Selbstreinigung.

Damit aber arbeiten dann Julia Schramm, Akif Pirinçci, Jürgen Kuri, Lutz Bachmann oder Sascha Lobo an derselben sozialen Spaltung, nur eben auf unterschiedlichen Seiten. Sie eint der Glaube, dass hemmungs- und schamlose Aggressionen ganz in Ordnung seien, wenn sie nur die Richtigen träfen. Der einzige Unterschied: Wer in etablierten Institutionen agiert, kann seine Aggressionen als Ausdruck entschlossener „linker“ Politik hinstellen – wer sie außerhalb der Institutionen austobt, präsentiert sich als „rechts“.

Zu traditionellen Vorstellungen von „rechts“ und „links“ hat das keine nachvollziehbare Verbindung mehr.

Mehr noch: Eine Politik, der es konsequent um die Sicherung von Privilegien geht und die einmal eindeutig als „rechts“ eingeordnet worden wäre, geht heute als links durch. Wer „Safe Spaces“ (über Genderama) einfordert, hat sich schon von der Idee verabschiedet, dass der öffentliche Raum für alle sicher sein und die Beteiligung aller an gemeinsamen Angelegenheiten erlauben müsse. Stattdessen wird dieser Raum in sichere und unsichere Bereiche geteilt, Sicherheit nur wenigen zugestanden – und dies dann legitimiert mit der Fantasie, die Ausgeschlossenen seien eben eine Bedrohung und hätten ihren Ausschluss selbst zu verantworten.

Tatsächlich ziehen hier Angehörige eines akademisch geprägten Milieus Grenzen zu denen, die sie als Pöbel wahrnehmen. Wer „Trigger Warnings“ am Beginn von Texten erwartet, der signalisiert, dass ihm Auseinandersetzungen mit beunruhigenden Teilen der sozialen Realität nicht zuzumuten seien. Wer immer kompliziertere Sprachregelungen einführt, nach denen dann Schwarze als PoCs, oder umgekehrt, und Professorinnen als „Profx“ anzusprechen seien – wer sich zudem in Diskussionen verliert, warum selbst Gender-Sternchen* oder Unter_striche als sprachliche Mittel gegen Diskriminierungen nicht ausreichten – der diskriminiert seinerseits entschlossen, baut akademische Wagenburgen und markiert nach alter universitärer Praxis durch immer rätselhaftere Sprachregelungen diejenigen, die nicht dazugehören.

Hier bricht sich ein vormodernes, adliges Selbstverständnis Bahn, das eine Hypersensibilität für das eigene Befinden mit dem Anspruch auf beliebige Rohheit gegenüber anderen verbindet. Eine brachiale Sprache, Beschimpfungen und Beleidigungen lassen sich dabei trotz aller sonstigen Empfindlichkeit für sprachliche Verletzungen als Akte der Selbstverteidigung gegen die bedrängende und ungerechte soziale Wirklichkeit verkaufen.

Das Verweigern einer zivilen Sprache, das Schramm, Kuri und Lobo mit Bachmann und Pirinçci gemein haben, hängt eng mit der Ablehnung eines gemeinsamen zivilen Raums zusammen: Denn ein solcher Raum braucht eben eine zivil disziplinierte Sprache, die allen Betroffenen die Möglichkeit zur Beteiligung gibt.

Wenn Parteien, die sich diffus als „links“ präsentieren, von diesen Tendenzen nicht deutlich abgrenzen, dann können ihre Vertreter auch nicht erklären, was an ihnen eigentlich „links“ sein sollte. So haben Sozialdemokraten oder Grüne dann ein starkes Motiv, Gegner als „Rechte“ oder als „Nazis“ hinzustellen: Erst im Kampf gegen die rechte Bedrohung kann sich ihre Politik noch als „links“ beglaubigen.

Das Ende der Sozialdemokratie – und das der Medien

Das ist bei der SPD gravierender als bei den Grünen, die ohnehin immer schon eine tief bürgerliche Partei waren. Die Sozialdemokraten aber erfüllen heute eine Funktion nicht mehr, die sie einmal unverzichtbar gemacht hat. Den Ausgegrenzten, Zu-Kurz-Gekommenen und Ausgebeuteten haben Sozialdemokraten einmal glaubhafte Perspektiven für einen Erfolg im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung geboten. Gerade diejenigen, die allen Grund hatten, bestehende soziale Strukturen radikal abzulehnen, wurden so für die Unterstützung dieser Strukturen gewonnen.

Dass Sozialdemokraten diese wesentliche Funktion gesellschaftlicher Vermittlung heute nicht mehr erfüllen, und dass auch niemand sonst diese Funktion übernimmt: Das trägt dazu bei, politische Widersprüche zu unlösbaren, wütend artikulierten Freund-Feind-Strukturen zu machen.

Die Flüchtlingskrise ist also keineswegs verantwortlich für soziale Spaltungen in Deutschland, sie lässt sie nur sichtbarer werden. Wenn Sigmar Gabriel Menschen, die gegen Flüchtlinge hetzen, seinerseits als „Pack“ beschimpft, oder wenn seine ehemalige Generalsekretärin Fahimi dekretiert, dass mit Pegida-Anhängern nicht geredet werden dürfe – dann treffen beide damit eben auch Menschen, die einmal zum Stamm der Sozialdemokraten gezählt haben.

Dabei ist es ja eigentlich naheliegend, dass die Millionen Menschen, die nun einwandern und die für deutsche Verhältnisse meist schlecht ausgebildet und arm sind, mit eben den Menschen konkurrieren werden, die in Deutschland schlecht ausgebildet und arm sind: auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, auch auf dem Partnermarkt. Das entschuldigt keine Hetze – aber es wäre Grund, zuzugestehen, dass einige Menschen sich tatsächlich reale Sorgen machen und dass diese Sorgen für sie nicht nur ein Vorwand sind, um rassistische oder fremdenfeindliche Positionen herauszuschreien.

Schon lange vorher aber hat die SPD diese Menschen verloren: Die Mitgliederzahl ist auf die Hälfte geschrumpft, bei Wahlen ist die SPD von einer 40+%- zu einer 20+%-Partei geworden. Die rot-grüne Politik unter Schröder war nicht nur deshalb eine Politik der sozialen Spaltung, weil sie Menschen etwas abverlangte – sondern weil sie völlig unvermittelt exekutiert wurde und nicht in demokratischen Diskussionen, sondern in kleinen und abgeschotteten Expertenzirkeln entwickelt worden war. Eine skurrile, aber dazu passende Konsequenz von Hartz4: Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das sein Sozialsystem nach einem vorbestraften Automobilmanager benannt hat.

Dass die Bereitschaft zur Vermittlung fehlt, hat die SPD mit eben den Institutionen gemein, deren eigentliches Kerngeschäft die gesellschaftliche Vermittlung ist: mit den Medien.

Die tiefe Fremdheit zwischen Journalisten und ihren Lesern zeigt sich vor allem in den weit verbreiteten Ressentiments gegen die Kommentarspalten der Artikel. „Internet-Kommentare sind zum Symbol geworden für ungefähr alles, was an der Welt falsch ist (…)“, schreibt Sascha Lobo und erklärt die „faschistoide Trump-Eskalation in den USA“ mit Parallelen „zwischen den Radikalen und den empörten Netzkommentatoren.“

Gleichlautend sieht auch Michael Morstedt in der Süddeutschen Zeitung Trump als „Personifizierung einer Kommentarspalte“, weil sich im wilden informellen Netzgeschehen „der Hass der Menschen“ entlade.

Beunruhigend ist hier nicht allein, wie selbstverständlich deutsche Journalisten die Selbstinszenierungen des Mulitmilliardärs Trump als Stimme des Volkes übernehmen. Problematisch sind für sie nicht etwa die gesellschaftlichen Spaltungen, die wütende und ungehemmte Stellungnahmen erleichtern – problematisch ist für sie ganz im Gegenteil der Eindruck, dass die Distanz nicht groß genug sei. So fantasieren sie sich Trump als Wiederkehr des Verdrängten, als Durchbruch des Pöbels in die geschlossenen Reihen der Institutionen – anstatt die Positionen dieses hochprivilegierten Hetzers sachlich analysieren zu können.

Gleichlautend beklagten Spiegel und Süddeutsche Zeitung am vergangenen Wochenende dann, dass Deutschland seine gesellschaftliche Mitte verliere, dass Auseinandersetzungen immer verbissener und gewalttätiger würden. Gleichermaßen auch kommt keiner der Autoren auf die Idee, dieses Verschwinden der Mitte auf die eigene Profession zu beziehen.

Der Begriff „Medium“ bedeutet ja eigentlich „Mitte“, als Ort einer Vermittlung verschiedener Positionen und als Sammlung von Informationen, die – nicht in einer einzelnen Publikation, aber in ihrem Gesamtbild – grundsätzlich vertrauenswürdig sind.

Das ist offenbar vorbei. Statt zu einem Ort der Vermittlung wird die Öffentlichkeit, die von den Medien gestaltet wird, zu einem Ort politischer Instruktion. Wenn Journalisten mitten darin aber die Verschärfung und Verrohung politischer Konflikte beklagen, kommen sie trotzdem nicht auf die Idee, dass sie daran auch selbst beteiligt sind.

So ist es denn auch kein Thema für sie, dass die Zivilgesellschaft nicht nur auf Pegida-Demonstrationen angegriffen wird, sondern auch in Ministerien, etablierten Parteien und Universitäten – nicht nur in Facebook-Kommentaren, sondern auch in Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Sender, der Süddeutschen Zeitung oder des Spiegel.


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