„Es herrscht ein Krieg der Männer gegen die Frauen. Scheinbar wahllos bewegen sich Männer wie Wahnsinnige durch die Landschaft um an nichtsahnenden, wehrlosen Frauen die grausamsten Verbrechen zu verüben. Manchmal sind es Beziehungstaten, bei denen wenigstens noch das Fünkchen eines Motives aufblitzt, ein winziger Anhaltspunkt der es dem fassungslosen Beobachter ermöglicht, sich das Unerklärbare zu erklären.
Manchmal sind es keine Beziehungstaten. Übrig bleibt der pure Hass auf Frauen, gepaart mit einer Blutrünstigkeit, einer Willkür, einer rasenden Mordlust, die rational nicht erklärbar ist.“
Der Text, aus dem dieses Zitat stammt, wurde vom Blogaggregator rivva der Süddeutschen Zeitung sogleich als „Neu und lesenswert“ empfohlen: „Der Krieg der Männer gegen die Frauen“, den der Journalist Martin Niewendick (Tagesspiegel, Zeit) beim angesehenen Blog der Ruhrbarone veröffentlicht hat.
Männliche Gewalt ist hier kaum noch einmal motiviert, scheint grundlos und allgegenwärtig. Der Begriff „Männer“ steht so nicht einmal mehr für Rücksichtslosigkeit, für bedenkenlosen Egoismus oder Machtgier, sondern wird zu einer Chiffre des absoluten Bösen: Das Böse hat hier gar keinen anderen Zweck mehr als sich selbst.

Eigentlich gar kein Mensch mehr, so ein Mann, nur noch ein Körperteil, das Gewalt ausübt…
Niewendicks Text ist gleich in doppelter Hinsicht radikal verkorkst, damit aber auch interessant. Erstens, und das ist offensichtlich, ist er ein Beispiel für eine Geschlechterdebatte, die sich an die Wand gefahren hat. Zweitens – und das wird auf den zweiten Blick deutlich – ist er ein Beispiel dafür, dass eine postmoderne identitäre Linke vollkommen die Fähigkeit verloren hat, auf Ressentiments von rechts angemessen und klar zu reagieren.
Er ist ein irrationaler Gegner, dieser Mann
Arne Hofmann kommentiert Niewendicks Text:
„Man stelle sich vor, dass mit derselben Demagogie gegen Zuwanderer Stimmung gemacht werden würde und hätte einen lupenrein rechtsradikalen Text.“
Trotz ihrer Härte geht diese Kritik noch sanft und abgewogen mit dem Text um.
Niewendick beginnt ihn mit einer Liste von sieben verrückt wirkenden Gewalttaten von Männern gegen Frauen. Allen, die schon einmal über diese Taten gelesen haben, wird an der Zusammenstellung vermutlich schnell etwas auffallen: Der weitaus meisten der aufgeführten Täter, fünf von sieben, sind offenbar Muslime oder Migranten aus Nordafrika bzw. arabischen Staaten.
Die einzige eindeutige Ausnahme ist offenbar ein Mann, der im Jobcenter in Hamburg seine Frau mit Säure übergossen hatte und dessen Name mit Arnim B. angegeben wird. Bei einem weiteren Mann, der in Berlin von einem Fahrrad aus Frauen mit einer offenbar säurehaltigen Flüssigkeit besprühte, ist die Identität nicht bekannt. Abgesehen davon hat Niewendick eine Liste zusammengestellt, die jederzeit auf jeder rechten Webseite erscheinen könnte.
Der Mann, der in Kronshagen bei Kiel seine Frau mit Benzin übergoss und anzündete, stammt aus Nordafrika.
Der – übrigens ebenfalls psychisch kranke – Mann, der in Berlin eine junge Frau vor die U-Bahn stieß, ist der Sohn von Migranten aus dem Iran.
Der Mann, der in Hameln seine Frau niederstach, ihr einen Strick um den Hals band, den Strick am Auto befestigte und sie über 250 Meter weiter schleifte, ist kurdischer Abstammung.
Der Name des Mannes, der in einer Hamburger Bäckerei seine Frau niederstach und mit kochendem Wasser überschüttete, wird als „Mustafa A.“ angegeben.
Der Mann schließlich, der in der Berliner U-Bahn offenbar wahllos eine junge Frau eine Treppe hinuntertrat, passt nach Ansicht des Videos ebenfalls gut in das Bild des südländischen Täters.
Niewendicks Liste wirkt so gleich doppelt zwanghaft. Ihre Zusammenstellung legt zunächst den Gedanken nahe, dass muslimische Männer weit überproportional häufig schwere und schwerste Gewalttaten an Frauen begehen – um dann aber in der Darstellung sorgfältig jeden Hinweis auf einen muslimischen und/oder Migrations-Hintergrund zu löschen.
Hätte Niewendick etwas Arbeit investiert, dann hätte er seine Liste in religiöser oder ethnischer Hinsicht gewiss auch weniger tendenziös zusammenstellen können. Stattdessen bestätigt das Ende des Textes diese Tendenz noch.
„Die Gewalt ist allgegenwärtig. Erschreckend ist die Abgebrühtheit, mit der die Männer ihre Taten begehen. Sie lächeln. Gehen weg, aber flüchten nicht. Bleiben ruhig. Er ist ein irrationaler Gegner, dieser Mann. Er hat keine Forderungen, die man erfüllen könnte. Mit ihm ist nicht zu verhandeln. Hilflose Maßnahmen bleiben. Selbstschutz. Zivilcourage. Bald ist Silvester.“
Die Täter – das sind hier die ganz Anderen, Fremden, deren Gewalt für normale zivilisierte Menschen nicht nachvollziehbar ist. Dieser Mann. Aber welcher denn nun eigentlich?
Die Silvester-Pointe im letzten Satz des Textes ist unschwer als Anspielung auf die massenhaften sexuellen Übergriffe durch Flüchtlinge in der vergangenen Silvesternacht zu verstehen. Auch diese Anspielung aber ist nicht einfach auf Männer generell fokussiert, sondern auf muslimische männliche Migranten.
Würde ich zum Psychologisieren neigen, dann würde ich Niewendick unterstellen, dass sich in seinem Text eine starke Angst vor muslimischen Männern ausdrückt – dass er die öffentliche Darstellung dieser Angst aber in politisch korrekte Bahnen lenkt, indem er sie auf Männer allgemein projiziert.
Weil uns aber ja die Psyche von Herrn Niewendick eigentlich gar nichts angeht, sind die politischen Schlussfolgerungen viel interessanter, die sich aus diesem Text und seiner seltsamen Verkorkstheit ziehen lassen.
Von guten und von bösen Ressentiments
Denn wie ist es eigentlich möglich, dass es als politisch korrekt durchgeht, wenn einfach ein bösartiges Ressentiment durch ein anderes ersetzt wird?
Niewendick reiht sich damit bereits in einer längeren Tradition ein, in denen Sexual- und Gewaltklischees vom muslimischen Mann schlicht durch Sexual- und Gewaltklischees vom Mann im Allgemeinen ausgetauscht wurden.
Dazu gehört der willkürliche und durch Zahlen nicht belegbare Vergleich der Übergriffe vom Kölner Hauptbahnhof mit dem Oktoberfest – dazu gehört auch die ausnahmslos-Kampagne, die von Massenmedien und Regierungsmitgliedern gefördert wurde.
Ein neueres Beispiel lieferte Margarete Stokowski im Spiegel. Um die Vergewaltigung und Ermordung einer neunzehnjährigen Freiburgerin durch einen syrischen Flüchtling zu relativieren, stellte sie fest, dass im Jahr 2015 „in Deutschland 331 Frauen von ihrem Partner getötet“ worden seien. Erst nach geduldigen Protesten aus der Leserschaft änderte Spiegel-Online seine Darstellung: Stokowski hatte der Einfachheit halber versuchte und vollendete Tötungen zusammengezählt und so die Zahl der getöteten Frauen nach oben getrieben.
Diese Beispiele machen schon deutlich, warum eine heutige postmoderne und identitäre Linke so große Schwierigkeiten damit hat, angemessen und selbstbewusst auf Ressentiments von rechts zu reagieren: Diese Linke hat sich selbst ganz auf die Arbeit mit Ressentiments verlegt.
Anstatt sich der Politik mit Klischees in den Weg zu stellen, bestehen ihre Vertreter darauf, dass doch – bitteschön – nur die richtigen Klischees verwendet werden sollten. Als ob böswillige Ressentiments immer schon ganz in Ordnung wären, solange sie sich nur die Richtigen träfen.
Wer politische Auseinandersetzungen auf Auseinandersetzungen von Gruppenidentitäten reduziert, wer Frauen gegen Männer, People of Color gegen Weiße, Homo- und Transsexuelle gegen Heterosexuelle, Migranten gegen „Biodeutsche“ und schließlich die Vertreter der Liebe gegen die des Hasses ausspielt: Der agiert eben zwangsläufig selbst mit Klischees und verliert die Fähigkeit zu ihrer Kritik.
Fakten ansprechen, Ressentiments vermeiden – und einfach weniger bescheuert sein
Dabei liegt es eigentlich nahe, wie die Auseinandersetzung mit den moslemfeindlichen Klischees aussehen könnte, die unterschwellig auch Niewendicks Text prägen. Sinnvoll wäre es, Fakten offen anzusprechen, sich aber Ressentiments entgegenzustellen: Also eben das Gegenteil dessen zu tun, was Niewendick tut.
Als die Tagesschau vor einigen Tagen die Meldung von der möglichen Aufklärung des Freiburger Verbrechens nicht sendete, wurden ihr „politische Gründe“ unterstellt. Der Gedanke lag nahe, dass die Meldung nur deshalb nicht gebracht wurde, um keine weitere Feindseligkeit gegen Flüchtlinge zu bedienen.
Der Pressekodex, der die Nennung der Herkunft oder Religion bei Straftätern als irrelevant kategorisiert, hat heute den gravierenden Nachteil, dass eben diese Informationen für viele Leser und Zuschauer sehr relevant sind.
Im Jahr 2015 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts etwa zwei Millionen Zuwanderer nach Deutschland gekommen, bei etwa 800 000, die das Land verließen. Es ist einfach erwartbar, dass eine so große Zuwanderung – zudem zu einem großen Teil aus Gebieten, in denen Krieg, Gewalt und Terror herrschen – auch mit der Angst verbunden ist, Unsicherheit oder gar Kriminalität zu importieren.
Ob diese Angst Realitäten trifft oder nicht, sie selbst ist nun einmal real. Reale Ängste aber verschwinden nicht einfach schon dadurch, dass sie als politisch unkorrekt gekennzeichnet werden. Die massiven Übergriffe von Köln wirkten zudem als eine fatale Bestätigung dieser Befürchtungen. Es ist nicht hinreichend, aber notwendig, in einer solchen Situation mit offenen Karten zu spielen und den Eindruck zu vermeiden, dass Menschen wesentliche Informationen vorenthalten werden.
Mir kam es schon mehrfach so vor, als setzte mittlerweile bei jeder öffentlich bekannt gewordenen Straftat irgendjemand bei Twitter oder Facebook die Vermutung in die Welt, sie sei von einem Moslem begangen worden. Diese Verbreitung von Gerüchten legitimiert sich eben durch das Gefühl, dass Regierungen, staatliche Organisationen und etablierte Medien wichtige Informationen verschweigen würden.
Das Problem aber sind nicht die Informationen selbst: Was Linken ebenso fehlt wie Rechten, ist die Fähigkeit, mit ihnen auch seriös umzugehen. Es ist kein selbstverständlich geteiltes Wissen mehr, dass einzelne Taten – auch mehrere ähnliche Taten – sinnvoll nicht einfach verallgemeinert werden und auf alle Angehörigen einer Gruppe bezogen werden können.
Wer zu Recht erwartet, dass ein Verbrechen durch einen Flüchtling nicht auf alle Flüchtlinge projiziert werden sollte – der muss dann eben auch darauf verzichten, alle Männer als potenzielle Vergewaltiger zu bezeichnen.
Wer sich Überfremdungsphantasien entgegenstellt, macht sich unglaubwürdig, wenn er zugleich von Patriarchat und Männerherrschaft fabuliert.
Wer Sensibilität für Diskriminierungen von Zuwanderern einfordert, aber zugleich verkündet, dass es keinen Sexismus gegen Männer und keinen Rassismus gegen Weiße geben könne – der formuliert Slogans für seine eigene Filterblase, verzichtet aber darauf, irgend jemanden außerhalb davon überzeugen zu können.
Niewendicks Text führt in seiner tiefen Verkorkstheit mit dankenswerter und aufopferungsvoller Deutlichkeit vor, in welchen bescheuerten Widersprüchen diese Positionen münden.
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