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Der WDR und der Hass auf Jungen

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Hass? Ist das nicht sehr übertrieben? Selbst wenn eine journalistische Sendung mal danebenliegt, muss doch sicher nicht gleich von „Hass“ geredet werden?

Das stimmt. Nur ist die Rede von der Hassrede zur Zeit so einflussreich, wird institutionell so stark gefördert und wird sogar so weit und bis in die Gesetzgebung hinein getrieben, dass es sich lohnt, ihre Maßstäbe auch einmal an eine Positionen anzulegen, die nach ihrem Selbstverständnis des Hasses ganz unverdächtig sind.

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Laien sehen hier lediglich zwei freundliche Kinder. Dem Experten aber bleibt die arrogante Neigung zur Faulheit nicht verborgen.

Nur 8,7 % aller Lehrkräfte an den Grundschulen Nordrhein-Westfalens sind nach Angaben des statistischen Landesamts zum vergangenen Jahr männlich – ein neues Rekordtief. Im Morgenecho des WDR hat die Journalistin Annika Franck in der Sendung Kleine Helden in Not Ursachen und Folgen davon auf eine Weise erläutert, die ihre Sendung tatsächlich als „Hassrede“ qualifiziert. Diese Zuordnung würde selbst selbst sicher überraschen – nach einschlägigen Definitionen dieses Begriffs ist sie aber zwingend.

Unterrichten Männer nicht in den Grundschulen, weil ihnen der Beruf nicht männlich genug ist?

Das behauptet jedenfalls der Wissenschaftler Marcel Helbig, der seit Jahren erklärt, dass Jungen an ihren offensichtlichen schulischen Schwierigkeiten selbst Schuld seien. Das hat ihn mittlerweile sogar für eine Professur qualifiziert.

Wie auch in vielen seiner anderen Erklärungen gibt er damit eine Vermutung als überprüften Sachverhalt aus. Die These hätte allerdings auch dann Schwächen, wenn er sie ehrlich als Vermutung darstellen würde. Denn wie sollte damit erklärt werden, dass der Anteil der Männer im Grundschullehramt kontinuierlich gesunken ist? Liegt Männern heute mehr als Männern aller anderen Zeiten besonders viel daran, nur männliche Berufe zu ergreifen?

Ich habe vor einer Weile einmal mit einem Schüler und seiner Mutter gesprochen – er würde gern Kindergärtner werden, die Mutter findet auch, dass ihm das liegen würde – aber sie befürchtet, dass er damit Verdächtigungen auf sich ziehen könnte. Möglicherweise meiden einige Männer den Beruf unter anderem also auch, weil sie Angst davor haben, scheel angeschaut oder als pädophil verdächtigt zu werden: Das erklärt zumindest, warum die Zahl der Männer im Beruf seit Jahren zurückgeht.

Eine Ursache für den schlechten Leumund männlicher Grundschul- und Kindergartenpädagogen sind sicher die realen Missbrauchsskandale bei der katholischen Kirche, bei den Grünen oder in der Odenwald-Schule. Eine andere ist das Klischee, dass jeder Mann, der sich mit Kindern beschäftigt, ein potenzieller Kindesvergewaltiger wäre.

Für Helbig ist die Kritik solcher Klischees, die erst in den letzten Jahrzehnten kräftig verbreitet wurden, kein Thema. Sein eigenes Generalthema hat er gefunden:  Die Probleme, die Männern oder Jungen in der Schule begegnen, seien auf überholte Männlichkeitsbildern in ihren Köpfen zurückzuführen.

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Leider geben Väter ihre eigenen Männlichkeitsbilder oft ungeprüft an die Jungen weiter.

Hat der massive Männermangel in Kindergärten und an Grundschulen tatsächlich keinen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern?

Das Geschlecht habe eindeutig keinen Einfluss, behauptet Franck, und sie bezieht sich wohl auch damit auf Helbig. Der wiederum begründet seine Meinung mit Studien, in denen Schulen, die einen sehr großen Frauenüberschuss haben, und Schulen, die einen extrem großen Frauenüberschuss haben, miteinander verglichen werden. Er stellt in diesen Vergleichen – was niemanden ernsthaft überraschen kann –  fest, dass er keine nennenswerten Unterschiede feststellt. Daraus zieht er dann den Schluss, dass das Geschlecht der Lehrkräfte keine Rolle spiele.

Tatsächlich aber kann er daraus lediglich den Schluss ziehen, dass es keinen großen Unterschied macht, ob Kinder von einem einzelnen Lehrer oder einer einzelnen Lehrerin unterrichtet werden. Das behauptet aber eigentlich auch niemand. Thomas Gesterkamp beschreibt das Problem in einer anderen Sendung, die am selben Tag bei WDR2 ausgestrahlt wurde: Kinder würden insgesamt in ihren ersten zehn Lebensjahren ein erhebliches „Defizit an Männlichkeit“ erleben, hätten oft weder in ihren Familien noch in den Bildungsinstitutionen verlässlich vorhandene männliche Bezugspersonen.

Ob ein solches Defizit an Männlichkeit eine Rolle spielt, könnte Helbig nur überprüfen, wenn er Grundschulen mit einem starken Frauenüberschuss mit Grundschulen vergleichen würde, in denen Männer und Frauen zahlenmäßig ausgeglichen unterrichten – und am besten auch noch mit Grundschulen, die einen starken Männerüberschuss haben.

Seine Argumentation ist also ungefähr so stichhaltig wie die eines Menschen, der den Klimawandel mit dem Hinweis leugnet, dass es im Winter schließlich immer noch kälter werde. Das stimmt – es hat nur mit der These, die widerlegt werden soll, nicht viel zu tun.

Zugleich räumt Helbig übrigens seltsamerweise ganz selbstverständlich ein, dass in der Mathematik und in Naturwissenschaften weibliche Lehrkräfte für Mädchen sehr wichtig wären. Der naheliegende Gedanke hingegen, dass die offenkundigen Nachteile von Jungen in den Schulen etwas mit dem Mangel an männlichen Lehrkräften zu tun haben könnten, kann beruhigt bei Seite gelegt werden.

Für die Nachteile von Jungen finden sich nämlich ganz andere Gründe.

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Und dann auch noch heulen! Jungen verstehen oft nicht, dass sie für ihre Schwierigkeiten selbst verantwortlich sind.

Ist tatsächlich die „Faulheit der Jungen“ für die Bildungsmisserfolge von Jungen verantwortlich?

Auch das behauptet Franck ausdrücklich, wohl ebenfalls mit Bezug auf Helbig, der mit dieser These schon seit Jahren durch Massenmedien tingelt. Anstrengungsbereitschaft passe in den Augen der Jungen nicht zu ihrer Geschlechterrolle, Streber würden verächtlich angesehen.

Jemandem „Faulheit“ nachzusagen, ist aber natürlich nicht einfach eine wertfreie sachliche Feststellung, sondern ein moralisierender Vorwurf. Ich habe in pädagogischen Bereichen – und eigentlich auch außerhalb davon – noch nie eine Situation erlebt, die durch moralisierende Vorwürfe erheblich verbessert worden wäre, aber schon viele, die sich durch solche Vorwürfe verhärteten. Wenn überhaupt, dann könnte ein solcher Vorwurf an einen einzelnen Schüler einen Sinn ergeben. Wenn aber eine ganze Gruppe von Menschen ein bestimmtes Verhalten zeigt, dann ist die sachliche Frage nach den Bedingungen davon wesentlich sinnvoller als das pauschale Moralisieren.

Helbig entdeckt solche bedingenden Strukturen allein in den Köpfen der Jungen selbst: Traditionelle Männlichkeitsbilder, nach denen Anstrengung irgendwie unmännlich sei. In all den Jahren, in denen er diese These schon vertritt, ist dem Wissenschaftler allerdings noch nie aufgefallen, dass er sich diese traditionellen Männlichkeitsbilder selbst ausgedacht hat.

Anstrengungslose Wirkung jedenfalls ist in der Tradition weiblich, nicht männlich konnotiert: als Schönheit oder, noch einschlägiger, als Anmut. Schiller zum Beispiel stellt dieser die männliche „Würde“ gegenüber, die anders als die Anmut von Anstrengung und Selbstüberwindung geprägt sei.

Typische männliche Kleidung betont die Funktionalität für verschiedene Arbeitszusammenhänge – typisch weibliche Kleidung hingegen signalisiert eher, dass eine Frau nicht unbedingt körperlich arbeiten muss: Unpraktisch lange Haare, Schmuck, Ketten, lange Fingernägel, Röcke, die den Beinen keinen Schutz bieten. Das Mädchenideal der Prinzessin wiederum ist ein Mensch, der selbst nicht arbeiten muss, sondern der von anderen bedient wird.

Wer das für die Ebene der Klischees feststellt, kann deswegen noch lange nicht behaupten, das Frauen oder Mädchen tatsächlich fauler wären als Männer oder Jungen. Dasselbe gilt dann natürlich auch umgekehrt. Helbig hat damit ein doppeltes Problem: Er macht erstens keinen Unterschied zwischen Klischees und realen sozialen Bedingungen, und zweitens bekommt er auch noch die Klischees durcheinander.

Tatsächlich projiziert er abfällige Männlichkeitsbilder – Männer würden viel von sich halten, gern auch eine große Klappe haben, hätten aber wenig zu bieten – schlankweg auf Jungen.

Wenn aber reale Jungen sich gegenüber anderen auszeichnen, sei es im Fußball, im Tanzen, in der Musik oder in anderem – dann eben nicht durch etwas, was anstrengungslos möglich ist. Das nämlich könnte jeder andere wiederholen und würde so gleichsam keinen Vorteil auf dem Markt bieten.

Jungen heben sich gegenüber anderen Jungen hervor durch ein Können, das nicht einfach reproduzierbar ist, weil lange Arbeit und Übung dafür notwendig ist. Bevor der Einwand kommt: Mädchen machen das auch – nur bei denen behauptet ja auch kein Wissenschaftler, dass die einfach das faule Geschlecht wären.

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Es ist Jungen bekanntlich sehr wichtig, sich nicht anstrengen zu müssen.

Woran liegen denn dann die schlechteren Leistungen der männlichen Schüler?

Ob männliche Schüler tatsächlich schlechtere Leistungen erbringen, ist gar nicht ganz klar. Tendenziell werden Jungen bei gleicher Leistung schlechter benotet als Mädchen und erhalten seltener eine Empfehlung für das Gymnasium. Das leugnet übrigens nicht einmal Helbig – er versucht lediglich zu erklären, dass diese Ungleichbehandlung irgendwie ja auch ganz in Ordnung sei, weil Mädchen nun einmal fleißiger wären. Womit sich sein Argument übrigens in den Schwanz beißt.

Eine Verachtung für Streber aber gibt es tatsächlich unter Schülern – und nach meiner Erfahrung als Lehrer hat Helbig recht damit, dass sie unter Jungen stärker ausgeprägt sei als unter Mädchen. Das muss aber nicht mit Faulheit erklärt werden – es ist vermutlich einfach Ausdruck einer geringeren Bereitschaft zur Anpassung an die Bedingungen der Institution. Jungen erbringen besondere Leistungen, auch – und nicht allein in Computerspielen – enorme Leistungen, nur eben nicht unbedingt gerade die Leistungen, die in der Schule von ihnen verlangt werden.

Das wiederum lässt sich sehr gut durch das Frauenmonopol des ersten Lebensjahrzehnts erklären. Mädchen wie Jungen erleben die Erwachsenenwelt als eine weibliche Welt – aber Mädchen können ihre Identität in der Identifikation mit dieser Erwachsenenwelt entwickeln, Jungen hingegen müssen dafür Distanz zur Welt der Erwachsenen aufbauen.

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Sind denn nicht trotzdem die Bildungsnachteile der Jungen ganz harmlos? Schließlich verdienen Männer doch im Schnitt später trotzdem mehr als Frauen.

Nach diesem Argument Francks sind Bildungsnachteile von bestimmten Kindern ganz in Ordnung, wenn diese Kinder es nur später schaffen, diese Nachteile irgendwie zu kompensieren. Vielleicht ist damit eigentlich auch nur gemeint: Es mag ein paar Bildungsnachteile von Jungen geben – aber die können vernachlässigt werden angesichts der gravierenden Nachteile, die Frauen gegenüber Männern haben.

Mehr noch: Für Helbig begründet sich die ihnen nachgesagte Faulheit der Jungen sogar wie von Zauberhand dadurch, dass sie Jahre später beim beim „Eintritt ins Berufsleben“ feststellen, „dass ihnen die Faulheit nicht grundsätzlich geschadet hat“.

Dabei ist das Verhalten von Kindern allerdings auf Strukturen zurückzuführen, in denen sie leben und die von Erwachsenen geprägt wurden – das Verhalten Erwachsener hingegen in viel größerem Maße auf eigene Lebensentscheidungen. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen die traditionelle Erwartung stabil erhalten hat, dass grundsätzlich der Mann für das Familieneinkommen verantwortlich sein sollte.

Männer arbeiten daher nach der Geburt von Kindern mehr als vorher und stecken mehr Energie in die Erwerbsarbeit, als sie für sich allein bräuchten – bei Frauen ist es tendenziell umgekehrt. Die Bundesärztekammer führt beispielsweise den deutlichen Ärztemangel unter anderem darauf zurück, dass Ärztinnen deutlich weniger arbeiten als Ärzte, der Arztberuf aber mittlerweile zu einem weiblichen Beruf geworden sei.

Auch das bedeutet nun nicht, dass Frauen fauler als Männer wären – sondern nur, dass sich traditionelle Aufteilungen der Arbeit in Partnerschaften trotz oder gerade wegen einer modernen Familienpolitik bemerkenswert stabil gehalten haben. Weil aber damit Männer weiterhin im Schnitt die wesentliche Last der finanziellen Reproduktion ihrer Familien tragen, wäre es erst recht wichtig, dass die Bildung und Ausbildung von Jungen ebenso ernst genommen wird wie die von Mädchen.

Während jedoch Präferenzen erwachsener Frauen umgehend in politische Appelle umgemünzt werden („Vereinbarkeit von Familie und Beruf“), sind Wissenschaftler wie Helbig und Journalistinnen wie Franck darum bemüht, die Bildungsnachteile männlicher Kinder als deren persönliches Problem hinzustellen, das keine Reaktion der Bildungspolitik nötig mache.

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Ist es nicht trotzdem sehr übertrieben, hier von Hate Speech zu sprechen?

Es gibt tatsächlich auch in meinen Augen gute Gründe dafür, die Mode nicht mitzumachen, jede stark abweichende politische Meinung öffentlich als Äußerung von „Hass“ zu qualifizieren. Allerdings wird diese Redeweise ja selbst aus der Bundesregierung heraus stark unterstützt – Hate Speech solle deutlichere Strafen nach sich ziehen als bisher. Daher lohnt es sich, einmal einen Blick in eine einschlägige Definition zu werfen.

Der Linguist Anatil Stefanowitsch schreibt für die Amadeu Antonio Stiftung über „Hassrede“:

„Im einfachsten Fall ist die Herabwürdigung/Verunglimpfung ein expliziter Teil der Aussage, z.B. in ‚(Alle) Griechen sind faul’.“

Politische Gruppen hingegen verwendeten die

„Strategie der impliziten Hassrede häufig: Wenn eine Partei etwa ständig betont, dass Migrant/innen willkommen seien, ‚solange sie sich an unsere Gesetze halten’, ist dies ja zunächst eine fast schon trivial harmlose Aussage, denn selbstverständlich sollen sich alle Menschen an Gesetze halten. Die Aussage wird aber dadurch zu einer Verunglimpfung von Migrant/innen, weil sie nur dann einen Sinn ergibt, wenn wir annehmen, dass Migrant/innen sich normalerweise nicht an Gesetze halten.“

Im Vergleich dazu ist also die ausdrückliche Rede von der „Faulheit der Jungen“ ein eindeutiger Fall der expliziten Hassrede. Franck wiederholt die am selben Tag noch in einer anderen Sendung des WDR2.

Dass es Frauen und Männer an den Schulen gibt, ist für Franck vor allem wichtig, um „Stereotype abzubauen“ – auch wenn Helbig es gar nicht so leicht findet, Kinder zu „ent-stereotypisieren“. Wie beide es schaffen, innerhalb weniger Minuten engagiert für den Abbau von Geschlechterstereotypien einzutreten und zugleich mit dem Gestus größter Selbstverständlichkeit von der Faulheit der Jungen zu sprechen, ist mir bis heute noch nicht ganz klar.

Doch selbst für einen solchen eindeutigen Fall, der nach den derzeit gängigen Maßstäben zweifellos als Hassrede zu werten ist, hielte ich eine Bestrafung der Urheber für übertrieben. Mir würde es schon reichen, wenn diese Hassrede nicht auch noch aus Gebühren (im Radio) oder aus Steuermitteln (an den Universitäten) gefördert würde. Wie lässt es sich denn zum Beispiel gegenüber Eltern von Jungen rechtfertigen, dass sie die klischeehafte öffentliche Herabwürdigung ihrer eigenen Kinder, bitteschön, auch noch zu finanzieren hätten?

Schockierend ist dabei vor allem, wie sehr Erwachsenen ein Gefühl dafür verloren gegangen ist, dass sie Kindern gegenüber eine Verantwortung tragen. Denn in Stefanowitsch’ eindeutigem Beispiel wird immerhin noch gegen Erwachsene  (Griechen“) gehetzt – in der WDR-Sendung hingegen sind Kinder das Ziel. Mehr noch: Die Funktion solcher Beiträge ist offenkundig, Legitimationen dafür zu entwickeln, den betroffenen Kindern auch in Zukunft den nötigen erwachsenen Beistand zu verweigern, den sie  so offensichtlich brauchen.

In diesem Fall finde ich es daher nicht übertrieben, von „Hassrede“ zu sprechen.

 

 


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