Ein Faktencheck
Mit Genugtuung nehme ich zur Kenntnis, dass der WDR meinen Vorschlag aufgegriffen hat, die umstrittene Ampelmännchen-Folge der Talkshow „Hart aber fair“ einfach noch einmal zu inszenieren, um dieses Mal eine etwas fachlichere Diskussion von Gender, Gender Mainstreaming und Gender Studies zu ermöglichen. Ich möchte auch gar nicht darauf herumreiten, dass dieser Vorschlag eigentlich eher satirisch gemeint war.
Interessanter ist ohnehin die Frage, warum Gender-Themen eigentlich so heftig polarisieren – warum zum Beispiel Birgit Kelle als eine solche Provokation erlebt wird, dass es sogleich zu Programmbeschwerden führt, wenn sie in einer Diskussion nur ab und zu mal den Mund aufmacht – und warum dies alles eine solche Bedeutung hat in einer Zeit, in der wir uns angesichts der Angriffe auf Flüchtlinge oder der europäischen Krise durchaus auch mit anderem Wichtigem beschäftigen könnten. (Dazu mehr im nächsten Text.)
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Das ist nun wirklich ein wenig polemisch… Männer haben in den Gender Studies durchaus Zutritt, sie besetzen allerdings nur einen sehr kleinen Teil der Lehrstühle – und studieren meist andere Fächer. (Quelle)
Wenn ich Attacken mancher ihrer Gegner lese, merke ich oft, dass mir die Gender Studies ausgesprochen sympathisch werden. Sogar als Instrument zur Zerstörung der weißen Rasse sind sie mir schon vorgestellt worden. Wer aber so maßlos und überzogen angegriffen wird, hat es leicht, im Kontrast zu seinen Gegnern vernünftig und verteidigenswert zu erscheinen.
Das allerdings kann eine optische Täuschung sein. Deppen zu Feinden zu haben, bedeutet schließlich nicht zwangsläufig, dass man selbst kein Depp ist. Wenn mir nämlich die Seltsamkeiten mancher ihrer Gegner die Gender Studies recht sympathisch machen, machen die Seltsamkeiten mancher ihrer Verteidiger alles wieder zunichte.
Ein Text, der vor drei Wochen in der seriösen Wochenzeitung Die Zeit erschienen ist, hat ganz in diesem Sinne, aber auch ganz aus Versehen eine regelrecht vernichtende Wirkung: Marion Detjens „Gender Studies: Schafft doch gleich die Geisteswissenschaften ab!“ Der Text ist eine interessante Lektüre, weil er die Gender Studies offenbar grundlegend verteidigen soll – aber sie stattdessen aus noch nicht ganz geklärten Gründen frontal und mit beträchtlicher Lust an der Destruktivität angreift.
Jemand musste Ulrich K. verleumdet haben
Eine „Verweigerung gegenüber den Anliegen der Geschlechterfreiheit“ erkennt die Historikerin und Publizistin Detjen schon einleitend bei den Gegnern, und diese Verweigerung äußere sich unter anderem im
„groben, unfreundlichen Antifeminismus der Machos, die sich in der Defensive fühlten und aus Schwäche, aus Egoismus, aus Gleichgültigkeit, Überheblichkeit und Mangel an Souveränität und Erziehung (nicht aus Mangel an Bildung!) misogyn waren oder wurden“.
Persönliche Attacken auf Kritiker, grob psychologisierende Unterstellungen im Hinblick auf ihre Motive, moralisierende Wertungen: Hätten die hier skizzierten „Antifeministen“ bei Detjen ausdrücklich eine Darstellung bestellt, der schwungvoll das Vorurteil belegt, es ginge bei den Gender Studies um Ideologie und nicht um Politik – sie hätten sich kaum etwas Besseres wünschen können.
Nun habe der gegen die Gender Studies gerichtete Antifeminismus – denn dass diese Disziplin notwendig feministisch ist, steht für Detjen aus ungenannten Gründen außer Frage – eine neue Qualität bekommen.
„Mit dem Evolutionsbiologen und Lehrstuhlinhaber Ulrich K. hat vor drei Wochen zum ersten Mal ein Naturwissenschaftler versucht, einen Aufschlag zu landen, indem er mit der Autorität und im Namen der Wissenschaft die Gender Studies als den Fakten der Biologie widersprechend, als unwissenschaftlich diffamierte.“
Was genau Ulrich Kutschera gesagt habe und was genau ihm vorzuwerfen ist, erklärt Detjen kaum – gerade einen knappen Satz nimmt sie sich für die Wiedergabe seines halbstündigen Radio-Interviews, und wie selbstverständlich zitiert sie daraus nicht. Das reicht ihr für den massiven Vorwurf, dass Kutschera einen „Globalangriff von Wissenschaft auf Wissenschaft“ gestartet habe und, natürlich, durch „persönliche Ressentiments“ getrieben sei.
Ich habe ernsthaft überlegt, ob Detjen die offensichtliche Kafka-Anspielung in ihren diffusen, aber heftigen Attacken auf „Ulrich K.“ bewusst setzt, oder ob ihr möglicherweise ihr Unterbewusstsein vorsätzlich den Text sabotiert hat. Das unklar bleibende Vergehen des Kollegen ist jedenfalls so schlimm, dass sie ihm nicht einmal den vollen Nachnamen gönnt – womit sie dann aber aus „Ulrich K.“ schnurstracks eine Anspielung auf eine der berühmtesten Personen der Literaturgeschichte macht.
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet.“
In Franz Kafkas Roman „Der Prozeß“, einem Schlüsseltext der Weltliteratur, erfährt Josef K. niemals, was ihm eigentlich vorzuwerfen ist. Dafür, dass eine Schuld zugleich unlösbar diffus ist und gleichwohl unendlich schwer sei, hat sich in anderen Zusammenhängen der Begriff „Kafka Trapping“ (hier erklärt in einem Essay der anarchistischen Feministin Wendy McElroy) etabliert, und zwar ausgerechnet im Hinblick auf Vorwürfe des Gender-Feminismus an Männer: Die Weigerung, die eigene große und diffuse Schuld als Mann anzuerkennen, bestätige diese Schuld nur und mache sie umso größer.
Es ist schwer zu verstehen, warum Detjen hier eine verstörend treffende, aber ausgesprochen selbstverletzende literarische Referenz unterbringt, anstatt Kutschera einfach einmal zu zitieren und ihn dann – wenn möglich – auseinanderzunehmen.
Dessen Anliegen ist, kurz gefasst, die Gender Studies mit dem Kreationismus gleichzusetzen – also mit der christlich begründeten Ablehnung von Darwins Evolutionstheorie. Kreationisten und Vertreterinnen der Gender Studies gleichen sich aus dieser Perspektive darin, dass sie naturwissenschaftlich umfassend belegte Erkenntnisse zurückweisen – wobei sie allerdings selbst keine Belege für diese Zurückweisung liefern, sondern sich auf unbelegbare Überzeugungen stützen.
Damit bezieht sich Kutschera vor allem auf die in den Gender Studies grundlegende Annahme, dass – in Detjens Worten –
„Verhältnisse, in denen wir Menschen leben (vielleicht auch Delfine, Hunde und Schimpansen?), also auch die Geschlechterverhältnisse, also auch unsere geschlechtlichen Identitäten, also auch der Sex“, sozial konstruiert seien.
Damit sind sie für Detjen auch veränderbar, Wissenschaft sei „nicht unabhängig von Politik“, und die darin verwandte Sprache sei nicht objektiv, sondern an bestimmte Perspektiven gebunden – sie reproduziere nämlich „männliche Perspektiven“ .
Aus diesen basalen Annahmen zur sozialen, herrschaftsdienlichen Konstruktion allen Wissens ergibt sich für Detjen jedoch nicht,
„dass Gene, Fortpflanzungsorgane, Hormone und sonstige Materialitäten keine Rolle spielen würden, sondern nur, dass sie alleine nichts zwangsläufig festlegen und erst durch sozialen Umgang für die geschlechtliche Identität, für den Sex und die Geschlechterverhältnisse relevant werden.“
Angesichts dieser Darstellung wird tatsächlich nicht klar, worüber der Biologe Kutschera sich eigentlich so aufregt. Deutlicher würde es, wenn Detjen einfach einmal Beispiele dafür zitieren würde, wie grundlegend die Absage der Gender Studies an die Biologie ist – etwa in der Darstellung Judith Butlers, deren Schriften dort eine unverzichtbare Grundlage sind.
Ihre Schrift Gender Trouble (Das Unbehagen der Geschlechter) beginnt Butler mit Überlegungen dazu, wer denn eigentlich das „Subjekt“ des Feminismus sei. Die Annahme, dass Frauen es seien, sei trügerisch: Frauen nämlich würden, eben als Frauen, durch die bestehende Herrschaftsordnung überhaupt erst konstruiert. Wer Frauen als grundlegende Subjekte der Herrschaftskritik ansehe, reproduziere und verschleiere damit also eben diese Herrschaft, ohne sich dessen bewusst zu sein. In Butlers recht hermetischer Sprache klingt das so:
„Die Identität des feministischen Subjekts darf nicht die Grundlage feministischer Politik bilden, solange die Formation des Subjekts in einem Machtfeld verortet ist, das regelmäßig durch die Setzung dieser Grundlage verschleiert wird.“ (S. 22)
Das bedeutet: In Butlers Perspektive sind nicht einfach Frauen von Männern unterdrückt – sondern die Tatsache, dass es überhaupt Männer und Frauen gibt, ist schon Instrument der Herrschaft. Wer nun so tut, als ob „Mann“ und „Frau“ schlicht gegebene biologische Tatsachen seien, kaschiere diese Herrschaftsstrukturen und stelle sie als etwas natürlich Gegebenes dar.
Nicht nur das soziale Geschlecht (gender) ist damit Ergebnis sozialer Konstruktionen, sondern auch das biologische/anatomische Geschlecht (sex), aus dem sich das soziale nach verbreiteter Vorstellung ableite. Butler in ihrer bewundernswert klaren Sprache:
„Die Mechanismen aufzuweisen, durch die das anatomische Geschlecht (sex) in die Geschlechtsidentität (gender) verwandelt wird, bedeutet nicht nur, die Konstruiertheit der Geschlechtsidentität, ihren nicht-natürlichen, nicht-notwendigen Status darzulegen, sondern auch die kulturelle Universalität der Unterdrückung in nicht-biologistischen Termini zu formulieren.“ (S. 67)
Biologismus – das ist hier eben die Annahme, die Biologie würde sich mit natürlichen, empirisch nachweisbaren Gegebenheiten beschäftigen. Tatsächlich aber reproduziere sie, ohne dass sich ihre Akteure dessen bewusst wären, gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen. Eben diese Position formuliert die grundlegende Gender-Theoretikerin in ihrer grundlegenden Schrift, und von dem damit erhobenen Biologismus-Vorwurf sind die Gender Studies bis heute nicht abgerückt.
Dass es darauf von Biologen klare Reaktionen gibt, hat wenig mit Antifeminismus und viel mit hochschulpolitischen Manövern zu tun. Wie soll denn schließlich ein Biologe auf den Vorwurf reagieren, er glaube lediglich, sich mit Naturtatsachen zu beschäftigen, tatsächlich betreibe er Herrschaftsreproduktion? Dass er sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlägt und sich freudig-erregt dafür bedankt, endlich über den eigentlichen Charakter der eigenen Tätigkeit aufgeklärt worden zu sein – das ist zumindest unwahrscheinlich.
Gleichwohl könnten die Auseinandersetzungen der Gender Studies mit den Positionen der Biologie für beide Seiten sinnvoll sein – wenn diese Positionen nur überhaupt erst einmal zur Kenntnis genommen würden. Kutschera:
„Die Bemühungen mancher ‘Geistes’-Wissenschaftler, Erkenntnisse der Biologie aus ihrer Perspektive zu bewerten, sind lobenswert. Diese Schriften sollten allerdings auf den mühselig erarbeiteten Fakten der Life Sciences basieren, denn ‚Nichts in den Geisteswissenschaften ergibt einen Sinn außer im Lichte der Biologie’.“
Es ist also nicht überraschend, dass ein Evolutionsbiologe scharf auf Positionen der Gender Studies reagiert – überraschend ist bestenfalls, dass er es erst jetzt tut. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Entwicklung der Gender Studies eine der größten hochschulpolitischen Erfolgsgeschichten der letzten Jahrzehnte ist.
Wie man 174 Lehrstühle verschwinden lassen kann (ohne dass jemand etwas merkt)
189 Lehrstühle gibt es mittlerweile an Universitäten und Hochschulen in Deutschland, 215 im deutschsprachigen Raum mit Österreich und der Schweiz – so die Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin. Diese Lehrstühle wurden eingerichtet in einer Zeit, in der die Universitäten sparen müssen, in der sie Lehrstühle abbauen, Fakultäten schließen und den Mittelbau schleifen – was auch Detjen selbst skizziert.
Allerdings schreibt sie auch, dass es bundesweit nur „15 eigene Lehrstühle für die Geschlechterforschung“ gebe, repräsentiert durch ein „Trüppchen meist namenloser, auf sozial wackeliger Position befindlicher Menschen“, die es gegen die Angriffe von außen zu verteidigen gelte. Woher kommt die gewaltige Differenz zu den Zahlen der FU?
„Die Gender Studies sind nicht in einer einzigen disziplinären Tradition angesiedelt – im Gegenteil: Sie sind keine eigene Disziplin, sondern ein gegenstandszentrierter Forschungsbereich, der davon ausgeht, dass der eigene Gegenstand sowohl durch verschiedene Disziplinen geprägt als auch nur mit Hilfe verschiedener Disziplinen zu untersuchen ist. Daher sind die Gender Studies meist als interdisziplinäre oder transdisziplinäre Zentren institutionalisiert und nicht als eigene Universitätsinstitute.“
Das schreibt Sebastian Scheele in einer Schrift der Heinrich-Böll-Stiftung zur Verteidigung der Gender Studies. Aufgrund ihres programmatisch interdisziplinären Ansatzes sind Lehrstühle der Gender Studies, bzw. der Frauen- und Geschlechterforschung, also meist nicht in eigenen Instituten, sondern in anderen Fächern angesiedelt – im deutschsprachigen Raum die meisten in der Soziologie, gefolgt von den Erziehungswissenschaften und den Literaturwissenschaften.
Es mag für diese Interdisziplinarität gute wissenschaftliche Gründe geben, wissenschaftspolitisch war und ist sie gewiss äußerst günstig und geschickt. Hätten um die Gender-Lehrstühle jeweils eigene Institute aufgebaut werden müssen, anstatt sie einfach in bestehenden Instituten anzusiedeln, dann wäre ihre große Erfolgsgeschichte kaum möglich gewesen. Zudem begründet sie Möglichkeiten, auf diese Fächer Einfluss zu nehmen – in über 50 Fächern schreiben Vertreterinnen der Gender Studies an den Lehrplänen mit. Ein Beispiel aus der Wirtschaftswoche (dazu auch Genderama):
„Die ‘Lehrinhalte der Geschlechterforschung’ wurden für das Fach Biologie von fünf ‘Gender-Expertinnen’ erstellt – alle ohne Lehr- oder Forschungsexpertise in den Biowissenschaften!”
Anstatt aber stolz die beträchtlichen hochschulpolitischen Erfolge der Gender Studies vorzuführen, spielt Detjen diese Erfolge seltsamerweise herunter und rechnet die eingerichteten Lehrstühle mit einem Definitionskniff auf weniger als ein Zehntel der tatsächlichen Zahl. Anstatt zu zeigen, welche Forschungsleistungen durch die angewandten öffentlichen Mitteln möglich wurden, erweckt sie den irreführenden Eindruck, es seien eigentlich kaum Mittel aufgebracht worden.
Wie man Männer verschwinden lassen kann (ohne dass jemand etwas merkt)
Für Vertrauen in die Seriosität der jungen Disziplin kann sie damit ebenso wenig werben wir mit ihrer irreführenden Darstellung des seltsamen Verhältnisses von Frauen und Männern dort. Die Gender Studies beschäftigten sich mit Geschlechterverhältnissen, „von denen nicht nur Männer, sondern auch Frauen profitieren oder unter denen auch Männer leiden“.
Tatsächlich spielen männliche Perspektiven oder spezifisch männliche Probleme in den Gender Studies allerdings kaum eine Rolle. Ausgerechnet in dieser Disziplin, in der ein ausgewogenes zahlenmäßiges Verhältnis zwischen Männern und Frauen wichtiger wäre als in jeder anderen, ist nur ein Bruchteil der Lehrstühle von Männern besetzt – 95% von Frauen.
Wie man interdisziplinär andere Disziplinen ignorieren kann
Wie trügerisch zudem der hochschulstrategisch günstige interdisziplinäre Anspruch der Disziplin ist, macht Detjen nicht nur in ihrem wegwerfenden Desinteresse an der Biologie deutlich. Sie beendet ihren Text auch noch mit einem pauschalen Angriff auf die Wirtschaftswissenschaften. „Sollen die Ökonomen doch mal anfangen, zu begründen, warum wir sie brauchen.“
Tatsächlich ist es natürlich immer fragwürdig, wie eine tragfähige Analyse offener, hochkomplexer und dynamischer Systeme wie der Weltwirtschaft überhaupt möglich sein kann. Gleichwohl ist eben das eine zentrale Frage, vielleicht die zentrale Frage heutiger demokratischer Politik: Lassen sich Wirtschaftsprozesse überhaupt überschauen, vorhersehen, zumindest grundsätzlich beeinflussen – oder sind wir ihrer Eigendynamik weitgehend ausgeliefert, so dass politische Entscheidungen zweitrangig werden? Dass mit Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ eine umfangreiche ökonomische Schrift zu einem Beststeller wurde, signalisiert deutlich, dass viele sich der Bedeutung ökonomischer Analysen bewusst sind.
Für die Verteidigung der Gender Studies aber ist das wie selbstverständlich irrelevant. Detjen begründet ihren Pauschalangriff auf die Ökonomie nicht einmal inhaltlich, sondern – im Bezug auf ihren eigenen Großvater, der immer behauptet habe, Wirtschaftswissenschaft sei weder Wirtschaft noch Wissenschaft.
Wie man Herrschaftskritik durch das Establishment fördern lassen kann
Doch nicht allein mit dieser Mein-Opa-hat-gesagt-Logik belegt sie eben das Gegenteil dessen, was sie zu belegen vorgibt. Detjen versucht, Kritiker der Gender Studies als Hetzer hinzustellen, die von persönlichen Abneigungen motiviert seien und auf die nur Menschen hereinfallen könnten, die nicht ausreichend informiert seien. Tatsächlich aber ist ihr Text selbst irreführend.
Er kaschiert das hochproblematische Verhältnis der Gender Studies zur Biologie und ihr noch problematischeres Verhältnis zu Männern. Er spielt die Anzahl der öffentlich finanzierten Lehrstühle mit einem Definitionskniff weit herunter. Anstatt Kritikern rationale Argumente zuzugestehen, stellt er sie lediglich als ressentimentgeladene Hetzer hin, die von der „Angst“ um den Verlust ihrer Privilegien getrieben seien.
Niemals wird dabei wenigstens in einer Skizze deutlich, worauf sich der wissenschaftliche Anspruch der Gender Studies überhaupt stützen kann. Nirgends wird klar, wie sich die programmatische, strategisch so günstige Interdiziplinarität mit der selbstbewusst vorgeführten Ignoranz gegenüber anderen Disziplinen verträgt.
Es wird auch nicht erkennbar, welche Perspektive ein Abschluss der Gender Studies bietet. Was können denn Absolventen vorzuweisen, das für andere interessant und wichtig genug ist, ihnen Geld dafür zu bezahlen?
Eben deshalb ist diese Schrift zur Verteidigung der Gender Studies gegen ihre Verächter auch so verheerend: Sie erweckt den Eindruck, dieser Disziplin sei nur mit irreführenden oder falschen Informationen beizustehen. Als ginge es lediglich darum, ihren Vertreterinnen die Möglichkeit zu verschaffen, sich in akademischen Wagenburgen einzurichten, ohne für die dabei verbrauchten öffentlichen Mittel Rechenschaft ablegen zu müssen.
Bei allem Anspruch auf eine befreiende politische Wirkung stehen die Gender Studies, die Detjen vorstellt, so tatsächlich für eine autoritäre und elitäre Wissenschaft, die von einem demokratischen Wissenschaftsverständnis weit entfernt ist. Denn auch das ist eine Frage, die sich die Autorin selbstverständlich nicht stellt: Warum wird denn eigentlich ausgerechnet ein Fach, das doch angeblich so grundlegend herrschaftskritisch ist, vom politischen Establishment so entschlossen und unkritisch gefördert?
Die eingangs erwähnte Wut auf Birgit Kelle speist sich also möglicherweise nicht einmal daraus, dass sie Gender-Konzepte kritisiert: Wer sich selbst als progressiv und emanzipatorisch wahrnimmt, kann sich durch die Kritik eines katholischen CDU-Mitglieds schließlich erheblich bestätigt fühlen. Ein wichtigerer Grund für die Wut ist wohl, dass Kelle eine Frau ist – und dass sie daher die Behauptung erschwert, Kritik an Gender-Konzepten wurzele allein im Angst vor dem Verlust einer männlichen Herrschaftsposition.
Der wichtigste Grund für die Wut auf Kelle ist es aber wohl, dass sie Gender Mainstreaming und Gender Studies überhaupt zu Themen für eine breite Öffentlichkeit macht, und dass sie es so den Protagonisten schwerer macht, sich in Ruhe und ohne Nachfragen und Legitimationszwänge in staatlich finanzierten Institutionen zurückzuziehen.
So vertritt Detjen dann aber bei allem progressiven Anspruch tatsächlich reaktionäre Weiblichkeitskonstruktionen. Sie kopiert die längst überlebte Position einer gutbürgerlichen Ehefrau, die selbstverständlich Ansprüche auf die Versorgung durch andere erhebt, die es aber für skandalös hält, wenn sie diese Ansprüche auch schlüssig legitimieren soll. Statt dessen ruft sie vorwurfsvoll um Hilfe – andere Geistes- und Sozialwissenschaftler hätten den angegriffenen Gender Studies längst beistehen müssen.
Schon der titelgebende Hinweis, wer die Gender Studies attackiere, könne doch auch gleich die Geisteswissenschaften insgesamt abschaffen, folgt aber einer Eskalationslogik, die in der Konfliktdynamik dysfunktionaler Beziehungen nicht überraschend wäre, die jedoch in einem populärwissenschaftlichen Essay in einer seriösen Zeitung überraschend deplatziert ist.
Der Grüne Anton Hofreiter hat recht, wenn er in der so scharf kritisierten Plasberg-Talkshow darauf hinweist, dass eine Auseinandersetzung mit „unseren Geschlechterrollen“ wichtig ist. So könnten dann auch Geschlechterwissenschaften eine sinnvolle und wichtige Funktion erfüllen.
Die Gender Studies aber, die Monika Detjen in der Zeit vorstellt, sind weit davon entfernt, eine solche Funktion wahrnehmen zu können.
Literatur (soweit nicht verlinkt):
Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991
Vielen Dank an crumar und Gunnar Kunz für Gespräche, die in diesen Text eingeflossen sind.
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