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Reihe Rechtspopulismus (1): Erste Annäherung

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Rechtspopulismus ist das Schreckgespenst des liberal-demokratischen politischen Systems und seit Trump und Brexit allerorts diskutiert. Eine gute Gelegenheit, in einer mehrteiligen Serie auf man tau, ein wenig tiefer in die Materie einzusteigen.

Einleitung

Spätestens seit Donald Trump ist der Rechtspopulismus in aller Munde. Wenngleich dieses Phänomen bereits seit Mitte der 1980er Jahren in diversen westeuropäischen Ländern auftaucht: man denke nur an Jean-Marie Le Pen mit seinem Front National in Frankreich, Jörg Heider mit seiner FPÖ in Österreich, Christoph Blocher in der Schweiz mit der SVP oder Silvio Berlusconi mit der Forza Italia. Brexit, Donald Trump, Norbert Hofer, Beppe Grillo, AfD und Marine Le Pen sind die gegenwärtigen Schreckgespenster der liberal kosmopolitischen Elite in den USA und in Europa. Historische Analogien werden gezogen: beispielsweise mit den 1930er Jahren, als der Faschismus in Europa seinen Durchbruch erlangte. Das Phänomen Rechtspopulismus hat demzufolge in der Wissenschaft (als analytische Kategorie und Forschungsgegenstand) wie in der breiten Öffentlichkeit höchste Relevanz erlangt.

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Forza Italia – eine rechtspopulistische Partei in Italien

Im Zusammenhang des Geschlechterdiskurses ist Rechtspopulismus ebenso fortwährend ein Thema: Vornehmlich die Männerrechtsbewegung wird von bestimmten Kritikern gerne mit dem Rechtspopulismus in Verbindung gebracht: Männerrechtler und Maskulisten seien gleichsam die Klientel des Rechtspopulismus, zumal Männer überdurchschnittlich rechtspopulistische Parteien wählen und folglich zu den Modernisierungs- und Globalisierungsverlierern gehören würden. Mit der Gleichsetzung (und Askription) von Männerrechtlern und Rechtspopulisten exkulpiert man sich gewissermaßen von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit deren Anliegen. Rechtspopulismus demnach als probates Mittel, um Dämonisierung, Diffamierung, Diskreditierung und Ausgrenzung vorzunehmen.

Die Reihe über Rechtspopulismus ist in sechs Teile gegliedert, die m.E. einen ersten guten Überblick über diesen Untersuchungsgegenstand geben, um dieses Phänomen im Allgemeinen wie im praktischen Alltag identifizieren, einordnen und bewerten zu können.

Folgende Gliederung:

  1. Erste Annäherung
  2. Ideologie
  3. Politischer Stil
  4. Ursachen
  5. Die Wähler
  6. Gefahr oder nützliches Korrektiv

Konservative Gegenbewegung auf Schattenseite der Moderne

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Als konservative Gegenbewegung auf die Schattenseite der Moderne taucht der Populismus als politische Strömung am Ende des 19. Jh. auf. Als politische Kategorie erscheint der Populismus-Begriff in Westeuropa jedoch erst in den 1980er-Jahren; im Gegensatz zu den USA wird er in Europa meist mit negativen Zuschreibungen versehen.  (Bauer 2016: 7) Insbesondere in sozialen und ökonomischen Transformationen, die mit politischer Desillusionierung und dem Verlust des Vertrauens in die politischen Eliten einhergehen, werden populistische Tendenzen virulent. (Priester 2012: 11)

Populismus ist nicht allein eine Mobilisierungsstrategie von Eliten, um die Subalternen für ihre Sache einzunehmen, sondern eine sozialstrukturelle und ideologisch spezifische Erscheinung, die den von Modernisierungstransformationen (Globalisierung, Individualisierung, EU-Integration etc.)  Betroffenen, den ökonomisch wie sozial Zukurzgekommenen, von den Intellektuellen verfemten (kulturelle Praktiken als Distinktionsstrategien) und von den paternalistischen Eliten Gegängelten eine Ausdrucksmöglichkeit gibt. (Priester 2012)

Populismus hat dementsprechend ökonomische und rationale Ursachen, obwohl sich der Protest größtenteils in diffusen und widerstrebenden Feindseligkeiten äussert.

Auf die Verwerfungen fortschreitender Modernisierung (Globalisierung, Individualisierung, Verteilungs-, Repräsentations- und Identitätskrise), reagieren nun rechtspopulistische Akteure nicht reflexiv, sondern mit traditionalistischen Bewältigungsstrategien. Mit seiner typischen Theorie- und Intellektuellenfeindlichkeit verweigert sich der Rechtspopulismus einer reflexiven Problemlösung mit den Schattenseiten der Moderne. Stattdessen wird auf ein unreflektiertes Erfahrungswissen des „Volkes“, den common sense, abgestellt. (Priester 2012: 11)

Mega-Missstand = Einwanderung

Vom Rechtspopulismus werden nicht nur einzelne Missstände in bestimmten Politikfeldern (EU-Integration, Ausländerkriminalität, Sozialhilfemissbrauch, korrupte Eliten) angeprangert, sondern gleichsam ein epochaler Mega-Missstand konstatiert: die ethnische und kulturelle Überfremdung durch Einwanderung. Auf Einwanderung wird keineswegs nur mit geläufigen Phrasen wie „Ausländer raus!“ oder „zuerst kommt das eigene Volk“ reagiert, sondern es wird gleichsam antipolitisch eine Welt nach Harmonie, Konfliktfreiheit und Authentizität angemahnt. (Priester 2012)

Populismus als „dünne Ideologie“

Zumal  Rechtspopulismus vielfach als politischer Kampfbegriff verwendet wird, ist es für die Sozialwissenschaften zusätzlich schwierig, ihn einer wissenschaftlichen Analyse zuzuführen. Als autonomer Forschungsgegenstand und analytische Kategorie bleibt er aufgrund seines weitläufigen und mehrschichtigen Charakters innerhalb der Wissenschaft häufig umstritten und kontrovers diskutiert. (Bauer 2016: 7) Populismus wird von einigen Referenten vielfach bloss als ein Stilmittel (Politik-, Interaktions- und Kommunikationsform) verstanden und Gemeinsamkeiten zwischen rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien werden primär im formalen und erst sekundär im inhaltlichen Bereich gesehen; dabei wird ihm gleichsam eine vollwertige Ideologie im klassischen Sinne abgesprochen: viel eher wird er als „dünne Ideologie“ charakterisiert. (Bauer 2016: 7)

Anti-Establishment und charismatischer Führer

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Marine le Pen – Vorsitzende des Front National

Zwei herausragende Merkmale geben dem Rechtspopulismus seine Charakteristik: Einerseits ihre Anti-Establishment- und Anti-Parteien-Geisteshaltung und der daraus resultierende Bewegungseigentümlichkeit sowie andererseits die hervorgehobene Stellung eines autoritären Führers mit besonderer Ausstrahlungskraft. (Bauer 2016: 12) Neben der starken Personalisierung auf einen autoritären Führer ist ein klassenübergreifender Kollektivismus charakterisierend für den Rechtspopulismus. Vorausgesetzt wird ein kollektiver Volkswillen, demzufolge ein einheitliches Volk im Sinne einer Wir-Gruppe und einen unerbittlichen Antagonismus zu anderen Akteuren. Diese kulturell oder ethnisch einheitliche Gemeinschaft lässt alle anderen Gegensätze (Klassen, Schichten, Milieus etc.) innerhalb der Wir-Gruppe verschwinden; soziale Differenzierungen werden über Sekundärtugenden wie Fleiss, Ehrlichkeit, Anständigkeit etc. geltend gemacht. (Bauer 2016: 12)

Traditionalismus und Entschleunigung der Moderne

Hinsichtlich des gesellschaftlichen Wandels bevorzugt der Rechtspopulismus das organisch Gewachsene, gleichsam eine „natürliche“ Ordnung und verabscheut folglich mechanisch und künstlich hergestellte gesellschaftliche Transformationen. Abgelehnt werden deshalb Grossaggregate wie Grossstädte, Zusammenschlüsse in Handel und Industrie, grosse Organisationen, Institutionen oder Parteien mit einer riesigen bürokratischen Struktur. Für gesellschaftliche Veränderungen, die nicht im Sinne des Rechtspopulismus sind, werden Schuldige gesucht, die sich gegen das Volk verschworen haben. Rechtspopulisten sind jedoch nicht Antimodernisten, sie sind infolgedessen nicht gegen gesellschaftlichen Wandel, sie bevorzugen jedoch einen zeitlich verlangsamten bzw. entschleunigten Weg in die Moderne, der ihr das in der Lebenswelt erworbene Erfahrungswissen nicht durch Technokraten und Experten entwertet. (Priester 2012)


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