Fünf Gründe dafür, warum Manuela Schwesig nun ein Einsehen haben sollte
Ausgerechnet angesichts eines Gerichtsurteils wird die ehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung plötzlich sehr poetisch. Mit einer „Reihe von Donnerschlägen“ habe das Berliner Kammergericht dafür gesorgt,
„dass im Fall Gina-Lisa Lohfink nach nur anderthalb Stunden alles so klar ist wie Stadtluft nach einem Gewitter. Die Verurteilung der Dreißigjährigen zu einer Geldstrafe wegen falscher Verdächtigung ist damit rechtskräftig, allein über die Höhe der Tagessätze muss neu verhandelt werden.“
Politisch besonders brisant sind drei kleine Wörter, die der Richter Ralf Fischer in seiner Zurückweisung der Revision eines Amtsgerichtsurteils verwendet. Er lobt seine Kollegin vom Amtsgericht ausdrücklich dafür, dass sie das Verfahren „trotz politischen Drucks“ souverän geführt habe. Das bedeutet übersetzt: Es habe politischen Druck gegeben, um das Verfahren am Amtsgericht in Richtung auf ein offenkundiges Fehlurteil zu bewegen.
Die Politikerin, die sich damit besonders stark hervorgetan hat, ist die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Die hatte die Vergewaltigungs-Anschuldigungen Lohfinks genutzt, um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts zu begründen. Gegenüber Spiegel-Online hatte sie dabei den Fall schroff als „deutlich“ diagnostiziert – als ob Zweifel des Gerichts an der Glaubwürdigkeit der Beschuldigungen lediglich durch frauenfeindliche Ressentiments zu erklären wären.
„Wir brauchen die Verschärfung des Sexualstrafrechts, damit endlich in Deutschland die sexuelle Selbstbestimmung voraussetzungslos geschützt wird. (…) ‚Nein heißt nein‘ muss gelten. Ein ‚Hör auf‘ ist deutlich.“
Ausdrücklich hatte sie sich zudem mit dem „Team Gina Lisa“ solidarisiert, das seinerseits vor dem Gerichtsgebäude Druck auf das Gericht auszuüben versuchte, als dort der Strafbefehl gegen Lohfink wegen falscher Verdächtigungen verhandelt wurde.
Von dieser Solidarität ließ sich die Ministerin nicht einmal dadurch abschrecken, dass die Demonstrantinnen ausdrücklich „Hass Hass Hass (…) auf die deutsche Justiz“ äußerten und mit Symbolen des RAF-Terrors hantierten.
Nun hat die Entscheidung gegen eine Revision des Urteils endgültig deutlich gemacht, wie falsch das Team Gina Lisa und seine ministerielle Unterstützerin lagen. Dafür, dass Manuela Schwesig deswegen als Ministerin zurücktreten solle, sprechen gleich mehrere Gründe.
Erster Grund: Die SPD sollte ihre eigenen Maßstäbe ernst nehmen
Im September des vergangenen Jahres empörte sich die gesamte SPD-Spitze weitgehend geschlossen über den Finanzminister Wolfgang Schäuble. Der forderte nämlich, dass Heiko Maas zurücktreten müsse, weil er das Team Gina Lisa öffentlich unterstützt und damit in die Unabhängigkeit der Justiz eingegriffen habe.
Maas wurde aus der SPD wütend verteidigt. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley etwa stellte klar, „Heiko Maas habe sich nie zum Einzelfall Gina-Lisa Lohfink geäußert.“
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ereiferte sich auf Twitter:
Der rechtspolitische Sprecher Johannes Fechner wiederum sprach von „absurden und völlig haltlosen Rücktrittsforderungen“.
Aus der SPD wurde Maas also gegen Rücktrittsforderungen mit dem Hinweis verteidigt, dass er sich tatsächlich nie zum Einzelfall Lohfink geäußert und dort nie Partei bezogen habe.
Manuela Schwesig aber hat sich tatsächlich und offen nachvollziehbar klar auf die Seite von Lohfink geschlagen, sie hat zudem das Gericht mit öffentlichen Äußerungen unter Druck gesetzt. Rücktrittsforderungen gegen sie lassen sich nicht ebenso zurückweisen.
Wenn die Rücktrittsforderungen gegen Maas eben deshalb haltlos waren, weil er sich gar nicht zum Fall geäußert hatte – dann sind sie bei Schwesig berechtigt. Dies sind sie sogar nach den Maßstäben, die von der Spitzengenossen selbst klar formuliert wurden.
Zweiter Grund: Schwesig erweckt den Eindruck, Frauen wären zweitrangig
Allenfalls könnte Schwesig damit verteidigt werden, dass eine Einmischung in die Justiz nur bei einem Justizminister gravierend, bei Ministern anderer Fachbereiche aber eine lässliche Sünde wäre. Diese Verteidigung wäre hanebüchen – unabhängig vom Fachbereich ist ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz mit dem Amt eines Ministers natürlich nicht vereinbar.
So bleibt dann aus der Ungleichbehandlung von Maas und Schweisg notwendig nur ein anderer Eindruck zurück – nämlich der, dass an Frauen in der Politik nicht dieselben Maßstäbe angelegt werden könnten wie an Männer. Dieser Eindruck gefällt sicher einigen Menschen mit eher altertümlichen Geschlechterbildern – für alle anderen ist er ausgesprochen unschön.
Es mag ja sein, dass es manchmal ein Vorteil für eine einzelne Frau ist, wenn an sie deutlich geringere Maßstäbe angelegt werden als an männliche Kollegen. Für Frauen insgesamt aber sind solche ungleichen Maßstäbe fatal. Die Ungleichbehandlung signalisiert nämlich, dass von Frauen weniger erwartet werden können als von Männern, und dass es Frauen gegenüber unfair wäre, an sie dieselben Maßstäbe anzulegen wie an männliche Kollegen.
Für Frauen im Arbeitsleben, an denen Schwesig doch angeblich so viel liegt, ist dieses Signal ebenso nachteilig wie für Frauen in der Politik, wo ja die die öffentliche Wirkung von Entscheidungen immer eine besonders große Bedeutung hat.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war im Jahr 1996 als Bundesjustizministerin zurückgetreten, weil sie die Entscheidung zum „großen Lauschangriff“ nicht mittragen wollte. Das ist für Frauen wie für Männer ein Beispiel politischer Integrität.
Manuela Schwesig hingegen unterläuft nun sogar Mindesterwartungen an eine solche Integrität.
Dritter Grund: Bei Verbrechen geht es um keine Teamzugehörigkeit
Doch noch in anderer Hinsicht schädigt Schwesigs Verhalten Frauen in besonderer Weise. Richter Fischer macht Lohfink harte Vorwürfe über den Fall hinaus:
„Sie haben sich öffentlich als Verteidigerin der Frauenrechte geriert. Aber allen wirklichen Vergewaltigungsopfern haben Sie einen Bärendienst erwiesen.“
Lohfinks Verhalten sei, so gibt Julia Schaaf in der FAZ den Richter wieder,
„Wasser auf die Mühlen von Sexualstraftätern, die zu ihrer Verteidigung behaupteten, das Opfer habe sich die Tat nur ausgedacht.“
Es ist überhaupt nicht verständlich, warum sich das feministische Team Gina Lisa mit Anne Wizorek, Manuela Schwesig und anderen prominenten Unterstützerinnen ausgerechnet diesen Fall ausgesucht hat, um die Notwendigkeit eines verschärften Sexualstrafrechts zu demonstrieren. Wollten sie zeigen, dass auch einer unglaubwürdig auftretenden Frau wie Lohfink vor Gericht in jedem Fall geglaubt werden müsse, wenn sie Vergewaltigungsvorwürfe formuliert? Oder wollten sie grundsätzlich demonstrieren, dass es darauf ankäme, einer Frau prinzipiell zu glauben – unabhängig von allen Überlegungen hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit und unabhängig von allen sonstigen Indizien und Beweisen?
In jedem Fall sind die Unterstützerinnen Lohfinks ein hohes Risiko eingegangen und haben verloren. Verloren aber haben sie nicht allein auf eigene Kosten, sondern vor allem auf Kosten anderer Frauen.
Dabei wäre es natürlich irrational, nun anderen Frauen schlicht eine Tendenz zum Lügen zu unterstellen, nur weil Lohfink nachweislich gelogen hat. Darum aber geht es gar nicht.
Lohfinks Unterstützerinnen haben demonstriert: Es gibt bis in die Spitze von Ministerien hinein einen gewaltigen sozialen und politischen Druck, Frauen unbedingt zu glauben, wenn sie Vorwürfe der Vergewaltigung zu formulieren – und die, die diesen Druck ausüben, schrecken weder vor maßlos harten Beschuldigungen Andersdenkender noch vor unterschwelligen Gewaltdrohungen zurück.
Sie schaffen gezielt ein Klima des Misstrauens, in dem es eben nicht mehr darum geht, gemeinsam herauszufinden, was geschehen ist – sondern in dem es nur noch darauf ankommt, auf welcher Seite Menschen stehen und welchem Team sie sich zugehörig fühlen.
Es ist schlicht zu erwarten, dass sich dann andere Menschen im Team der Gegenseite einfinden. Die werden dann gegenüber Vergewaltigungsbeschuldigungen ebenso einen realitätsfernen und prinzipiellen Unglauben kultivieren, wie das Team Gina Lisa sich in einer realitätsfernen und prinzipiellen Zweifelsfreiheit einrichtet.
Vierter Grund: Das Team Gina Lisa schreckt Vergewaltigungsopfer aus politischem Kalkül vor Anzeigen ab
Besonders gravierend ist es dabei, dass das Team Gina Lisa mit politischem Kalkül einen falschen Eindruck des Verfahrens gegen Lohfink erweckt hat. Katja Dörner etwa, stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, äußerte gegenüber dem Spiegel:
„Der Umgang mit Gina-Lisa Lohfink ist erschreckend. Ein Opfer wird zur Täterin gemacht, öffentlich bloßgestellt, es wird ihr nicht geglaubt. Das nimmt anderen Frauen den Mut, eine Vergewaltigung anzuzeigen.“

Und was sagen Die Grünen nun eigentlich so zum Urteil des Kammergerichts?
Das erweckt den fatalen Eindruck, Lohfink habe den Strafbefehl wegen falscher Beschuldigungen nur deshalb erhalten, weil sie den Vorwurf der Vergewaltigung nicht beweisen konnte. Das aber stimmt nicht – das Amtsgericht war, ebenso wie nun das Kammergericht, zu dem eindeutigen Schluss gekommen, dass Lohfink bewusst gelogen habe. Auch der Spiegel zitiert nun den Richter Fischer:
„’Keine Staatsanwaltschaft in Deutschland wird ein Vergewaltigungsopfer allein deshalb anklagen, weil dem Täter die Vergewaltigung nicht nachgewiesen werden konnte.’ Im Fall Lohfink aber hätten die Videos den Vorwurf der Vergewaltigung klar widerlegt.“
Das bedeutet: Die Aktivistinnen des Team Gina Lisa, einschließlich der Familien- und Frauenministerin Schwesig, haben es aus politischem Kalkül billigend in Kauf genommen, dass ein falscher Eindruck juristischer Verfahren entsteht und dass Vergewaltigungsopfer nachhaltig davon abgeschreckt werden, eine Vergewaltigung anzuzeigen.
Fünfter Grund: Manuela Schwesig ignoriert die Verantwortung ihres Amtes
Das übrigens betrifft dann schon Frauen und Männer. Natürlich war Schwesigs Parteinahme geeignet, nicht allein Frauen, sondern auch Männern zu schaden. Die Männer, die von Lohfink beschuldigt wurden, mögen einen ausgesprochen unsympathischen Eindruck gemacht haben – dadurch aber werden sie ja noch nicht rechtlos.
Wären Lohfinks Lügen erfolgreich gewesen, dann wären diese Männer wohl für einige Jahre ins Gefängnis gekommen. Dass Lohfink dafür bestraft wird, ist im Interesse der Allgemeinheit, weil es deutlich macht, dass Lügen vor Gericht und falsche Anschuldigungen gravierende Vergehen sind. Es ist aber auch im besonderen Interesse dieser beiden geschädigten Männer.
Damit, dass sie mit politischem Druck einen Freispruch Lohfinks zu begünstigen versuchte, hat Schwesig den Eindruck erweckt, dass aus ihrer Sicht die Rechte dieser geschädigten Männer vernachlässigt werden können.
Das aber ist nicht legitim, auch nicht angesichts ihrer Position als „Frauenministerin“ – zumal sie ja ebenso Familienministerin und Ministerin für Senioren und Jugendliche ist und daher um die Interessen von Männern und Jungen auch bei allem guten Willen nicht ganz herumkommt.
Als Ministerin ist sie der gesamten Bevölkerung gegenüber verantwortlich. Wenn sie grundlegende Rechte Einzelner oder bestimmter Gruppen von Menschen missachtet, ist das also unweigerlich auch eine Missachtung ihres Amtes. Eine Ministerin aber, die ihr Amt offen missachtet – die es zudem noch nicht einmal über sich bringt, ihre Fehler einzugestehen und zumindest dadurch Respekt vor diesem Amt zu signalisieren – die beschädigt ihr Ministerium.
Einmal ganz abgesehen davon, dass sie vermutlich auch Menschen beschädigt.
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