Ein Offener Brief an die Bundeszentrale für politische Bildung
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit Jahren schon profitiere ich als Lehrer und als politisch interessierter Mensch davon, dass Sie in der Bundeszentrale für politische Bildung wichtige Schriften und Debattenbeiträge zu einem enorm günstigen Preis zur Verfügung stellen. Ich bin dabei schon mehrfach auf Bücher aufmerksam geworden, von denen ich profitieren konnte, die ich aber ohne dieses Angebot wohl nie gelesen hätte. Vor allem anderen möchte ich mich dafür erst einmal bedanken.
Gerade habe ich nun zu aktuellem Anlass in einem Blogbeitrag zu einem von Ihnen herausgegebenen Buch geschrieben, das ich sehr kritisch sehe. Allerdings müssen Sie nun gewiss nicht befürchten, dass ich wütend von Ihnen fordere, dieses Buch aus dem Angebot zu nehmen – ich habe am Ende aber einen anderen Vorschlag. Es freut mich, wenn Sie sich dafür die Zeit nehmen.
Das Buch, um das es mir geht, ist Michael Kimmels Angry White Men. Grundsätzlich verstehe ich, warum Sie dieses Buch im Programm haben. Der unerwartete und folgenreiche Wahlsieg von Donald Trump und andere Entwicklungen internationaler Politik sind erklärungsbedürftig. Kimmels Buch wiederum erweckt den Eindruck, eine solche Erklärung bereitstellen zu können. Es sei ein Buch über Männer, die sich „nur allzu bereitwillig von der äußersten politischen Rechten instrumentalisieren“ ließen, wie sie in Ihrer Ankündigung schreiben.
Nun ist es in meinen Augen aber offensichtlich, dass Kimmels Buch eben gerade diese Erklärung überhaupt nicht liefern kann, sondern lediglich Ressentiments der politischen Rechten reproduziert und sie als irgendwie linke Politik wiedergibt.
Vom Recycling der Ressentiments
Seine Hauptthese ist, dass Männer sich als Opfer wahrnehmen würden, weil sie selbstverständlich an Machtpositionen und Privilegien gewohnt gewesen wären und nun mit einer gekränkten Anspruchshaltung („aggrieved entitlement“ im Original) auf eine gerechter werdende Welt reagierten.
Ein Problem dieser These ist augenfällig: Sie lässt sich unschwer zur Abwehr von Kritik verwenden, auch von berechtigter und wichtiger Kritik. Denen ging es eben immer viel zu gut… Ob nun Männer wütend darüber sind, dass sie willkürlich den Kontakt zu ihren Kindern verlieren – oder ob sie häusliche Gewalt erleben, aber keine Hilfe finden – oder ob Jungen in der Schule seit Jahrzehnten schon offenkundig mit Nachteilen konfrontiert sind: Jeweils lassen sich ihre Schwierigkeiten bei Kimmel damit abtun, dass sie nun einmal überkommenen Männlichkeitsmodellen nachhängen würden und sich daher in einer modernen Welt nicht mehr zurecht fänden.
Da Kimmels These also offenkundig leicht als Instrument zum Ausschluss aus Diskursen verwendet werden kann, ist es wichtig, sie gut zu begründen und sie umsichtig zu formulieren.
Kimmel aber tut weder das eine noch das andere. Er begründet und belegt seine These an keiner Stelle, sondern setzt sie immer schon als gegeben voraus und interpretiert alles andere in ihrem Lichte.
Nirgendwo macht er beispielsweise deutlich, nach welchen Standards und mit welchen Methoden er die Interviews auswertet hat, die er nach seinen Angaben mit vielen Männern geführt hat. Er zitiert einfach immer gerade Aussagen, die dann erstaunlich gut zu seinen Grundannahmen passen, und gelangt zu irritierend pauschalierenden Aussagen. Zum Beispiel darüber,
wie diese Durchschnittsmänner Söhne aufziehen, die in der Schule auf schwächeren Kindern herumhacken, Kameraden applaudieren, die sich ihrer Angriffe gegen Frauen und Schwule brüsten (…) Dieselben Söhne suchen nachts im Netz nach Sprengstoff, um ihre Schule in die Luft zu jagen.“ (44)
Für diese pauschale Aburteilung liefert er keine Belege – „Ein Kollege erzählte mir“ (187) ist an anderer Stelle aller Beleg, den er bringt. Natürlich wird das wissenschaftlichen Standards nicht gerecht.
Das wäre alles noch nicht einmal weiter schlimm, und kein Grund für einen offenen Brief an Sie, wenn das Ergebnis nicht so ressentimentgeladen wäre. Besonders gravierend: Kimmel streift viele der realen sozialen Probleme westlicher Gesellschaften – er fokussiert sie aber regelmäßig auf ein einziges Thema, das einer angeblich typisch männlichen Gewalttätigkeit. Das ist gleichsam das Rückgrat des gesamten Textes.
Kimmel spricht schulische Nachteile von Jungen an – und konzentriert sich dann auf Schulamokläufer. Er spricht die prekärer werdende berufliche Situation von Männern an – und konzentriert sich auf Amokläufer am Arbeitsplatz. Er spricht die prekäre familiäre Situation von Männern an – und konzentriert sich auf Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben. Er spricht die Abstiegsängste einer weißen amerikanischen Mittelklasse an – und konzentriert sich auf rassistische Nazis.
Allerdings sind diese Nazis in seinen Augen dann immer noch sympathischer als „Männerrechtler“ (326) – was auch jemand absurd finden müsste, der ein Engagement für Männerrechte, was immer darunter zu verstehen ist, albern findet.
Was aber würden wir wohl von einem Wissenschaftler halten, der über die soziale Situation von Migranten schreibt – und der dabei durchgehend jedes Kapitel, wieder und wieder, auf Ausländerkriminalität und auf eine angeblich typische Gewalt von Migranten zuspitzt? Wir würden ihn mit guten Gründen nicht für einen Wissenschaftler, sondern für einen Hetzer halten.
Nun ist natürlich die Situation von Männern anders als die von Migranten, aber das ist hier gar nicht mein Punkt. Kimmel ist auf jeden Fall vorzuwerfen, dass er die so wichtige Auseinandersetzung mit gravierenden sozialen und politischen Problemen konsequent in die Formulierung einfacher Geschlechter-Ressentiments eng- und überführt.
Wir wissen beispielsweise, dass Jungen seit Jahrzehnten in Schulen Nachteile haben – und weder wir Lehrkräfte noch die Bildungspolitik werden diesen Kindern gerecht, wenn wir desinteressiert räsonnieren, dass nun einmal Fleiß „bei Männern immer als geschlechteruntypisch gilt“ (109). Damit schieben wir lediglich den Kindern eben die Verantwortung zu, die eigentlich wir selbst für sie tragen müssten.
Auch einem Text wie dem Kimmels aber würde ich selbstverständlich nicht das Recht auf Publikation absprechen. Seltsam ist es gleichwohl, dass ein Buch, das so satt von Ressentiments ist, aus Steuergeldern gefördert und mit dem Renommee der Bundeszentrale für politische Bildung vertrieben wird. Gerade daher ist es aber wichtig, dass es noch andere Perspektiven im Angebot gibt.
Eine Autobiographie des Feminismus als Heldengeschichte
Danach habe ich geschaut und wurde enttäuscht. Sie vertreiben beispielsweise ein Buch von Margret Karsch mit dem Titel „Feminismus. Geschichte-Positionen“: Einen Überblick über die Geschichte des Feminismus.
Solch eine übersichtliche Zusammenstellung ist in meinen Augen sehr hilfreich – allerdings liefert Karsch sie ganz ohne Distanz zu ihrem Gegenstand. Für sie ist, gleich zu Beginn,
Feminismus ein Projekt all derer, die nach mehr Gerechtigkeit und Freiheit streben und für ein gesellschaftliches Zusammenleben auf solidarischer Basis eintreten.“ (17)
Sie endet dann mit der Feststellung, dass der Feminismus „eine kritische Haltung gegenüber scheinbarer gesellschiftlicher Normalität“ wäre, dass dies „die Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik“ einschließe und „die Verbindung von Streben nach Freiheit bei gleichzeitigem gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein“ sei. (308)
Diese pauschalierend positive Zeichnung schließt Kritik aber gerade aus – denn wer will sich schon gegen Gerechtigkeit, gegen Freiheit, gegen Solidarität und Verantwortungsbewusstsein stellen?
Bezeichnend ist die Weise, wie Karsch zum Beispiel Valerie Solanas’ Schrift „SCUM“ darstellt. Vorausschickend: Ich finde den Begriff „Femifaschismus“ furchtbar und primitiv. Solanas’ Massenmordphantasie aber re-inszeniert sorgfältig den nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden als totale Vernichtung der Männer. Es ist tatsächlich eine faschistische Schrift, bei der viele Feministinnen, die ich kenne, darauf bestehen, dass sie nach ihrem Verständis keineswegs ein feministischer Text sei.
Karsch aber interpretiert SCUM distanzlos als „umfassende Kritik an den gesellschaftlichen Machtverhältnissen“ und attestiert dem Text eine „satirische Form“ (119) – ungeachtet der Tatsache, dass er nirgendwo irgendeine Markierung von Ironie enthält.
Das aber ist nur ein knappes Beispiel für die gesamte Tendenz des Textes. Karsch schreibt eine Geschichte des Feminismus ungefähr so, wie in der DDR eine Geschichte des Sozialismus geschrieben wurde. Es geht, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, um keine kritische Auseinandersetzung, auch nicht um eine abgewogene Darstellung, sondern um eine Selbstvergewisserung. Es ist gleichsam eine Autobiografie des heutigen Feminismus als Helden-(bzw. Heldinnen-)Geschichte.
Gleichwohl ist die Fülle, die Karsch präsentiert, beeindruckend, und wer das Buch liest, kann sicher von ihm profitieren und wird vieles erfahren. Er oder sie darf nur eben nicht alles für blanke Münze nehmen, sondern muss einkalkulieren, dass das Buch aus einer sehr spezifischen Perspektive geschrieben wurde und eine sehr begrenzte Funktion erfüllt.
Für einen offenen Diskurs und eine Vielfalt von Perspektiven
Allerdings kann diese Begrenztheit der Perspektive ja nur dann deutlich werden, wenn auch andere Perspektiven zugänglich sind. Zwischen den Texten von Karsch und dem – in meinen Augen weit schlimmeren – von Kimmel lässt sich aber nun selbst bei großem Wohlwollen kein Perspektivenreichtum erkennen.
Es ist, außer in extremen Fällen, nach meiner Überzeugung falsch, Positionen aus dem Diskurs einfach zu entfernen, oder zu verlangen, dass bestimmte Texte aus einem Sortiment genommen werden müssten. Statt dessen ist es wichtig, auch andere Perspektiven zugänglich zu machen, so dass sich überhaupt erst ein echter Diskurs entwickeln kann.
Daher möchte ich Ihnen vorschlagen, als eine solche andere Perspektive Arne Hoffmanns „Plädoyer für eine linke Männerpolitik“ in ihr Sortiment aufzunehmen. Hoffmann setzt sich in diesem Plädoyer ein für die Rechte Homosexueller und die Rechte von Migranten, er kritisiert auch feministische Positionen aus einer links-liberalen Perspektive – und er setzt sich sehr intensiv, kenntnisreich und mit unzähligen Belegen eben mit den sozialen Problemen auseinander, die Kimmel nur streift.
Ein „integraler Antisexismus“ (schon S. 7) würde geschlechterbedingte Nachteile von Frauen UND von Männern bekämpfen: Diese Kernposition Hoffmanns hat in meinen Augen den großen Vorteil, dass Männer und Frauen darüber wieder miteinander politisch ins Gespräch kommen können, anstatt zunehmend wütend übereinander zu reden. Auch die Texte von Kimmel und Karsch fördern leider eher dieses Reden über die Anderen als das Gespräch mit ihnen.
Hoffmanns Text bringt damit eine Perspektive hinzu, die gerade in heutigen Geschlechterdebatten oft fehlt. Dort reden Autoren wie Kimmel ebenso ressentimentgeladen über Männer, wie manche Kommentatoren in Internet-Foren über Frauen reden. Daher, und weil es sorgfältig belegt einen großen Reichtum an weithin unbekannten Informationen enthält, ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur politischen Bildung.
Wenn Ihnen aber schon der Titel zu tendenziös ist, als Plädoyer für eine linke Politik oder für eine Männerpolitik, dann gibt es das Buch auch in einer etwas gekürzten Version unter dem Titel „Not am Mann“.
In jedem Fall ist es eine dringend notwendige Korrektur zu den Ressentiments, die Michael Kimmel in seinem Text entfaltet.
Mit freundlichen Grüßen
Lucas Schoppe
Michael Kimmel: Angry White Men. Die USA und ihre zornigen Männer, Bonn 2016
Margret Karsch: Feminismus. Geschichte – Positionen, Bonn 2016
Arne Hoffmann: Plädoyer für eine linke Männerpolitik, Springen 2014
Ich habe die Bundeszentrale per Mail auf diesen Brief hingewiesen.
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