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Mütter im Gefängnis: Opfer und noch einmal Opfer

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Frauen dürfen in unserer Gesellschaft offenbar nie Täterin sein. Auch wenn sie verurteilt wurden und im Gefängnis einsitzen, sind sie primär einmal Opfer der Umstände bzw. der Gesellschaft. Der Dok-Film „Double peine über Mütter im Gefängnis und deren Kinder reproduziert wieder einmal dieses Narrativ. Die Frage stellt sich sogleich: wo sind denn nun die Unterschiede zu den Vätern, die im Gefängnis einsitzen?!

Interview mit der Filmemacherin Léa Pool in der Frauenzeitschrift „annabelle“

Die Journalistin Miriam Suter von der Schweizerischen Frauenzeitschrift „annabelle“ hat sich in einem Interview mit der schweizerisch-kanadische Regisseurin Léa Pool über deren neusten Dok-Film „Double peine“ unterhalten. In diesem Film porträtiert Léa Pool inhaftierte Mütter mit ihren Kindern in den USA, Kanada, Nepal und Bolivien. Das Interview dreht sich insbesondere auch um die Frage, was sich am Justizsystem ändern muss, damit die besondere Situation von Müttern im Gefängnis und deren Kindern adäquat berücksichtigt wird. Das Besondere an dieser Situation (Mütter im Gefängnis) soll laut der Filmemacherin Léa Pool darin liegen, dass wenn Mütter ins Gefängnis müssen, ihre Kinder oft mitbestraft würden, zumal sie von der Gesellschaft geächtet, vom Justizsystem nicht genügend begleitet und vom Vater verlassen werden.

Bild zeigt ein Gefängnis von innen.

Die Botschaft des Filmes „Double peine“

Die Filmemacherin sagt dazu im Interview:

Ich will den Kindern eine Stimme geben. Ihnen einen Platz geben und zeigen, dass sie sich nicht schämen oder verstecken müssen. Und ich versuche aufzuzeigen, dass große Missstände bestehen. Viele Kinder von inhaftierten Müttern werden allein gelassen mit der Situation. Das Problem ist, dass man eine Mutter, die ins Gefängnis muss, nicht gleich behandeln kann wie einen Vater.

(…)

Ich habe während der Recherchen und der Dreharbeiten gemerkt, dass es einen grossen Unterschied gibt zwischen Müttern und Vätern, die zurückbleiben, wenn der Partner oder die Partnerin inhaftiert wird: Geht der Vater ins Gefängnis, bleiben die Mütter bei den Kindern zuhause und sorgen weiterhin für sie, gehen den Vater besuchen und so weiter. Plakativ formuliert: Geht die Mutter ins Gefängnis, verschwinden die Väter und lassen die Kinder allein. Je nach Land kommen die Kinder dann in ein Heim oder bleiben sogar bei den Müttern im Gefängnis. Das führt dazu, dass sie sich mitschuldig fühlen. Und das fällt auch auf die Mutter zurück, die gleichzeitig den Schmerz der Inhaftierung trägt und die Sorge um ihr Kind. Darum habe ich den Film «Double peine», Doppelter Schmerz, genannt.

Also: Der einzige Unterschied zwischen den Vätern und den Müttern, die im Knast sitzen, scheint zu sein, dass Väter die Kinder verlassen, wenn die Mutter einsitzt und falls der Vater inhaftiert ist, die Mutter sich um die Kinder sorgt. Das ist eine Behauptung der Filmemacherin und müsste mit empirischen Untersuchungen verifiziert bzw. falsifiziert werden und falls dem wirklich so ist, wäre den Ursachen dieses Phänomens nachzugehen und wie dies ev. verändert werden könnte.

Die Kinder müssen folglich ins Heim oder sitzen sogar mit den Müttern im Gefängnis ein, wenn diese straffällig werden. Dass Kinder desgleichen mit den Müttern im Gefängnis bleiben, dürfte vermutlich weder in Kanada, noch in den USA, noch in Europa der Fall sein. Ich denke, das dürfte eine Besonderheit in Bolivien und/oder in Nepal sein.

Dieser behauptete Unterschied soll nun also rechtfertigen, dass das Justizsystem straffällige Mütter anders behandelt als straffällige Väter. Straffällige Mütter sollen dementsprechend eine Sonderbehandlung vom Justizsystem erhalten im Vergleich zu straffälligen Vätern. Dieser Unterschied zwischen inhaftierten Müttern und Vätern soll nun außerdem dafür verantwortlich sein, dass Kinder anders auf diese Situation reagieren: Bei inhaftierten Müttern sind Kinder ebenso besonders betroffen. Wie wir weiter unten noch sehen werden, dürften  in Europa hier kaum Unterschiede vorhanden sein, was die Betroffenheit der Kinder anbelangt, wenn die Mutter oder der Vater inhaftiert sind.

Anders als der Vater soll die Mutter einen „doppelten Schmerz“ (double peine) haben: (1) Der Schmerz der Inhaftierung (was beim Vater nicht anders sein dürfte) und (2) den Schmerz um das Kind (auch das dürfte beim inhaftierten Vater nicht anders sein). Der Film baut dementsprechend mit seinem Titel (doppelter Schmerz) bereits auf einem mythischen Narrativ auf, das Unterschiede zwischen inhaftierten Vätern und Müttern propagiert, die in der Realität kaum vorhanden sind.

Die größten Probleme der Kinder von inhaftierten Vätern bzw. Müttern

Die Filmemacherin sagt im Interview:

Eines haben alle gemeinsam: Sie vermissen ihre Mütter. Aber natürlich gibt es Unterschiede. Für Mädchen im Teenageralter ist es zum Beispiel wichtig, dass sie sich mit ihren Mütter über Themen austauschen können, die sie als weibliche Teenies beschäftigen. Egal, ob schwerwiegend oder nicht.

Das dürfte bei inhaftierten Vätern nicht anders sein: Alle Kinder werden vermutlich ihre Väter vermissen und für Jungs im Teenageralter wäre es genauso wichtig, dass sie sich mit ihren Vätern über Themen austauschen können, die sie als männliche Teenies beschäftigen, egal, wie schwerwiegend diese sind. Aber es ist schon interessant: Die gendersensible Filmemacherin ist mal primär für ein Geschlecht sensibel; das männliche Geschlecht, die Väter und Jungen, werden nicht thematisiert und Gemeinsamkeiten bei Vätern und Müttern bzw. Mädchen und Jungen werden überhaupt nicht gesehen.

Die Besonderheit der straffälligen Mütter und deren Kinder

Die Filmemacher sagt im Interview:

Eins haben alle diese Länder gemeinsam: Bei gerichtlichen Entscheidungen wird der Fakt, dass eine Frau Kinder hat, stets außen vor gelassen. Das ist eine schwierige Diskussion. Frauen begehen in der Tendenz eher Verbrechen wie Diebstähle oder Drogenhandel, gerade in den Ländern, in denen ich gedreht habe. Und das rührt oft daher, dass diese Frauen selber Opfer sind – Opfer der Gesellschaft. Viele von ihnen sind arm und lassen sich zu einer Straftat verführen, weil sie damit etwas verdienen können. Stellen Sie sich vor, Sie sind Mutter und können ihr Kind kaum durchfüttern. Nun kommt jemand mit einem Angebot auf Sie zu: Schmuggel diese Drogen für mich über die Grenze und ich gebe dir dafür genug Geld, um dein Kind ein Jahr lang ernähren zu können. Würden Sie das ablehnen?

Der Fakt, dass inhaftierte Väter ebenfalls Kinder haben, wird folglich vom Justizsystem besonders berücksichtigt? Wie wir weiter unten noch sehen werden, ist dies keineswegs der Fall. Und die Unterschiede zwischen inhaftierten Frauen und Männern sind außerdem überhaupt nicht so groß, wie uns die Filmemacherin weiß machen will. Die gendersensible Filmemacherin sieht dementsprechend vor lauter Bäume (Besonderheiten) den Wald (Allgemeinheit) nicht mehr richtig.

Straffällige Frauen sind demzufolge primär einmal Opfer: Sie sind jedoch nicht bloß Opfer der Gesellschaft (Armut), sondern sie lassen sich außerdem noch verführen (sie werden dementsprechend gleichsam überlistet von den Umständen). Und auffallend: Frauen sind dabei nicht aktiv: „jemand kommt mit einem Angebot auf die Mutter zu“. Straffällige Mütter sind nur passiv, sie werden ja verführt, haben nie selbst einen Gedanken daran vergeudet, dass man mit Schmuggel Geld verdienen und man selbst aktiv werden könnte. Bei Vätern, die straffällig werden, sind die Umstände selbstverständlich vollständig anders als bei Müttern. Wenn Väter straffällig werden, dann machen sie das primär und in erster Linie aus Habgier, niedrigen Motiven und Selbstbereicherung, jedoch sicherlich nicht infolge Armut oder altruistischen Motiven. Der gendersensible Blick der Filmemacherin scheint mir ein bisschen unsensibel auf einem Auge zu sein.

Was sich ändern muss

Die Filmemacherin sagt im Interview:

Eine Mutter, die wegen Diebstahls im Gefängnis sitzt, hat zu mir gesagt: «Warum können sie uns nicht einfach elektronische Fussfesseln anlegen? So könnten wir trotzdem zuhause bei den Kindern bleiben.» Und vielleicht wäre das eine Möglichkeit. Natürlich ist das keine Universallösung, und ich bin auch dafür, dass man Mörderinnen mit Gefängnis bestraft. Aber man müsste die Frage stellen: Wie gefährlich ist die Frau für die Bevölkerung? Gäbe es auch eine andere Möglichkeit als Haft im Gefängnis? Zudem spielt der Faktor, dass in den entscheidenden Positionen vor allem Männer sitzen, auch eine Rolle. Ich bin überzeugt, dass die Lage anders wäre, wenn es mehr Frauen in den Regierungen und Gerichten gäbe.

Nichts gegen Fußfesseln, aber weswegen sollten hier bloß inhaftierte Mütter profitieren (Sonderrechte) und nicht desgleichen Väter? Also, der gendersensible Blick will hier vorzugsweise Vorrechte und Privilegien für Frauen einführen.

Das Gleiche kann man bei inhaftierten Vätern fragen und nicht nur bei Müttern: wie gefährlich diese überhaupt für die Gesellschaft sind?!

Also: Wenn in den entscheidenden Positionen (Gerichte und Regierung) Frauen sitzen würden, dann wäre klar, dass die Sonderrechte (rechtliche Privilegien) für straffällige Mütter bereits lange eine Tatsache wären. Soll wohl heißen: Solange das Patriarchat am Ruder sitzt, werden weibliche Sonderrechte bösartigerweise verhindert und deshalb Frauen an die Macht, damit Sonderrechte für Frauen eingeführt werden.

Die Situation inhaftierter Väter und Mütter und deren Kinder in Deutschland

Gemäß  t-online.de gibt es in Deutschland ca. 100‘000 Kinder, die davon betroffen sind, dass ein Elternteil inhaftiert ist. Dies dürfte bei 90-95% der Kinder der Vater sein, zumal der Anteil der Frauen an der Gefängnispopulation nur ca. 5-10% beträgt. Kinder von Strafgefangenen werden vielfach selbst diskriminiert und stigmatisiert, sie werden folglich für die Fehler ihres Vaters oder ihrer Mutter bestraft.

Eine europaweite auf Kinder fokussierte Studie, bei denen ein Elternteil im Gefängnis sitzt, ist nun diesem Phänomen nachgegangen, das lange vernachlässigt wurde. Bei rund 75% dieser Kinder werden psychische bzw. somatische Auffälligkeiten festgestellt wie Depressionen, Konzentrationsschwierigkeiten, Einnässen, emotionale Schwierigkeiten, Verhaltensstörungen oder Alpträume etc. Der Gefängnisaufenthalt hat dementsprechend für einen großen Teil der Kinder beträchtliche gesundheitliche Folgen und spezifische Betreuungsangebote sind spärlich vorhanden. Eine Lobby für diese Gruppe gibt es kaum, eine psychosoziale Betreuung der Kinder der Inhaftierten durch den Strafvollzug ist nicht existent. Vielfach ist es dem Zufall überlassen, wenn sich Schulpsychologen oder Jugendämter um sie kümmern.

Das heißt: Wenn die Mutter oder der Vater im Gefängnis sitzen, werden die Kinder und vielfach ebenfalls der andere Elternteil mitbestraft.

Fazit

Zumindest für Deutschland und einen großen Teil Europas dürfte der Dok-Film von Léa Pool „Double peine“ für Kinder von Vätern oder Müttern, die im Gefängnis sitzen, nicht repräsentativ sein. 90-95% der Kinder sind davon betroffen, dass ihr Vater im Gefängnis sitzt und nicht die Mutter und sie leiden demzufolge unter der Situation, dass der Strafvollzug bzw. das Justizsystem nicht adäquat auf die Inhaftierung einer Mutter reagiert, sondern er bzw. es reagiert nicht angemessen auf die Situation von inhaftierten Vätern und Müttern und deren Kinder. Die gendersensible Perspektive ist in diesem Fall äußerst unsensibel und verstellt den Blick auf die Gesamtproblematik. Vielmehr verdeckt der Film die Hauptproblematik von Kindern, deren Elternteil im Gefängnis einsitzt, zumal dies zu 90-95% den Vater betrifft, der inhaftiert ist und nicht die Mutter.


Einsortiert unter:Kriminologie, Väter

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