Eine Bundesregierung, die sich einer kritischen Analyse ihrer Politik in eine präsidiale Wolkigkeit hinein entzieht, und eine politische Kultur, die von Feindbildern geprägt ist – das sind zwei Seiten derselben Entwicklung.
Zu ihr gehört, dass das Beschwören einer Willkommenskultur an Stelle einer Einwanderungspolitik tritt. Zu ihr gehört auch, dass Menschen, die sich als links und aufgeklärt verstehen, Feindbildern der politischen Rechten nicht mit einer Rückkehr zur sachlichen Analyse, sondern lediglich mit anderen Feindbildern entgegnen. Gemeinsam ist diesen Feindbildern allerdings, dass sie sich bei Männlichkeitsklischees bedienen.
Seit einem halben Monat ist der Januar des Jahres 2016 nun schon vorbei – aber der Monat war so voll, und so voller Wendungen, dass ein Rückblick aus kurzer Distanz sich lohnen kann.
Ich hatte einmal in diesem Blog regelmäßige Monatsrückblicke geschrieben, habe das dann aber – weil ich die Zeit dafür nicht mehr fand – vor einem Jahr aufgegeben. Für den Januar 2016 aber lohnt es sich, die kleine Blog-Tradition wieder aufzunehmen: Gerade weil der Monat für alle Beteiligten überfordernd war, hat er sie und ihr Verhalten bis ins Absurde hinein deutlich werden lassen.
„Ein paar grapschende Ausländer, und schon reisst bei uns Firnis der Zivilisation.”
So tweetet Jakob Augstein, Erbe Rudolf Augsteins, Herausgeber der linken Wochenzeitung Freitag und regelmäßiger Kolumnist im Spiegel. Mittlerweile liegen für die Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof über 1000 Anzeigen vor, vorwiegend wegen Diebstahlsdelikten und sexuellen Übergriffen. Für Augstein sind das ein paar Grapschereien, und die Zivilisation ist zwar bedroht, aber wie selbstverständlich nur von deutscher Seite aus.
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Eine Szene aus einer Vorführung für amerikanische Soldaten während eines “Sexual Assault Awareness Training”. Ungefähr so stellt Jakob Augstein die Szenen massiver Gewalt am Kölner Hauptbahnhof dar – Anne Wizorek und andere Feministinnen folgen ihm darin. Wer sich die Situation so zurechtlegt, kann dann für den großen allgemeinen Schock darüber nur eine einzige Begründung finden – dass der Mann hier nicht weiß ist.
Die gezielte Verharmlosung von sexueller Gewalt gegen Frauen ist eigentlich gerade bei Menschen, die sich politisch als links verstehen, ein Tabu – Augstein erscheint sie aber offenbar als legitim, weil er damit erprobte Zuordnungen von deutschen Tätern und ausländischen Opfern aufrechterhalten kann. Ausgerechnet Feministinnen folgen ihm darin.
Wie man Feindbilder durch alle Krisen rettet
Anne Wizorek behauptet im heute-Journal, neu sei an den Kölner Taten lediglich, dass nun Betroffenen die Übergriffe auch geglaubt würden. Anne-Mareike Krause in der Tagesschau und andere, auch Wizorek, setzen die Übergriffe von Köln sogleich mit Übergriffen auf dem jährlichen Oktoberfest gleich – auch wenn beide Situationen nur entfernte Ähnlichkeiten haben und Übergriffe auf dem Oktoberfest, zumal im prozentualen Verhältnis zu den Teilnehmern, deutlich seltener sind als in der Silvesternacht in Köln. Doch auch hier erfüllt die gezielte Verharmlosung der Kölner Übergriffe einen politischen Zweck.
Der allgemeine Schock über sie zeigt einerseits, dass sowohl Männer als auch Frauen sexuelle Übergriffe auf Frauen entschieden und mit tief verankerter Empörung ablehnen. Adrian zudem im Schwulemiker-Blog:
„Köln war deshalb so schockierend, weil Frauen in Deutschland üblicherweise eben nicht befürchten müssen, von Männerhorden überrumpelt, sexuell erniedrigt und abgezogen zu werden.”
Ähnliches war vom ägyptischen Tahrir-Platz bekannt, aber nicht aus Deutschland.
Eben das aber ist nicht vereinbar mit der Grundthese des Aufschrei- und Twitter-Feminismus, dessen prominenteste Vertreterin Wizorek ist: Dass die deutsche Normalität geprägt sei von permanenten, alltäglichen sexuellen Übergriffen auf Frauen, die nur von den meisten Menschen nicht ernst genommen würden.
Tatsächlich besteht ein erheblicherer Unterschied zwischen den massiven Übergriffen in Köln und vielen Aufschrei-Erlebnissen – etwa der bei Twitter vervielfältigten Empörung Wizoreks darüber, dass ein Mann im Supermarkt nah an ihr vorbeigegangen sei und sie fast berührt habe.
Den Widerspruch zwischen der Überzeugung, wir lebten in einer von weißen, heterosexuellen Männern beherrschten Rape Culture, und der offenen, geschockten Empörung über die sexuellen Übergriffe in Köln planierte Augsteins Kolumnisten-Kollegin Margarete Stokowski mit einer einfachen Unterstellung: Deutsche Männer würden sich über die Übergriffe nur empören, weil sie ein Monopol auf die sexuelle Belästigung von Frauen beanspruchen würden.
„Die eigenen Frauen will der gute Deutsche immer noch selbst belästigen dürfen.”
Dafür hat sie zwar keine Belege, aber immerhin ist dieser Gedanke nützlich, wenn sie einerseits sexistische Gewalt auf eine Herrschaft weißer Männer zurückführen will, andererseits aber unglücklicherweise erlebt, dass der bei weitem schlimmste sexuelle Massenübergriff im heutigen Deutschland offenkundig von nordafrikanischen Migranten verübt wurde.
Wenn schließlich ein Gedanke nützlich ist, um gegen allen Anschein Überzeugungen aufrecht erhalten zu können, deren Wahrheit gar nicht bezweifelt werden darf – dann muss dieser Gedanke zwangsläufig richtig sein.
Zuvor hatten Twitter-Feministinnen so gewirkt, als ob sie die Kölner Straftaten gern ignorieren würden. Erst nachdem Birgit Kelle sich offen darüber mokiert hatte, dass ihre sonst so sensibel tarierte Empörungsbereitschaft angesichts der Kölner Übergriffe bemerkenswert inaktiv blieb, wurden Wizorek und andere tätig – dann aber sehr schnell.
Mit großer medialer Unterstützung lancierten sie die Kampagne #ausnahmslos, die Beratungsstellen forderte und frühkindliche Sexismus-Sensibilisierung, die aber vor allem betonte, sexuelle Gewalt sei ein Problem, das von ausnahmslos allen Männern ausgehe – nicht allein von Migranten.
Dass dadurch das Feindbild des arabischen Mannes bloß durch das Feindbild des Mannes ersetzt wurde, störte die politischen Unterstützer – Heiko Maas, Manuela Schwesig – ebenso wenig wie der Umstand, dass überhaupt nicht klar wurde, wie die ausnahmslos-Forderungen Straftaten wie die von Köln in Zukunft verhindern sollten. Tatsächlich wiederholten die Initiatorinnen hier nur das, was sie immer schon gesagt hatten, und taten mit großer Ernsthaftigkeit so, als ob es etwas mit Köln zu tun habe.
Die mediale Unterstützung für die Aktion war gleichwohl bemerkenswert distanzlos. Medien, auch öffentlich-rechtliche, berichteten nicht etwa über eine politische Aktion, sondern machten sich den Aktivismus unbekümmert zu eigen und waren vorher wohl eingebunden. Das heute-Journal etwa veröffentlichte seine Meldung zur Kampagne 26 Minuten nach deren Start, die Süddeutsche Zeitung 45 Minuten.
Mittlerweile, nur kurze Zeit später, ist die ausnahmlos-Kampagne schon wieder versackt. Angesichts ernsthafter Probleme, die ernsthafte Lösungen benötigen, konnte ihre erkennbare Substanzlosigkeit trotz eines erheblichen massenmedialen Hypes nicht weit tragen.
Ernsthafte journalistische Analysen gab es ohnehin nur im Netz – zum Beispiel beim Perlentaucher, der mit seiner sachlichen Kritik der Kampagne ein journalistisches Ethos frisch hielt, das die etablierten Massenmedien längst beiseite gelegt hatten.
Auch damit sind sie der etablierten Politik ähnlich. Der stellvertretende grüne Vorsitzende von Hamburg wärmte den alten feministischen Spruch auf, dass alle Männer potenzielle Vergewaltiger seien, wurde dafür mehrfach wegen Verleumdung angezeigt – und bekam in seiner Partie dafür keinerlei Schwierigkeiten.
„Die Männer sind alle Verbrecher“ – was einmal einmal ein mehr oder weniger witziger Schlager war, wird heute von einer der wichtigsten deutschen Parteien als selbstverständlicher Bestandteil einer progressiven Geschlechterpolitik verkauft. Allerdings fehlt heute die klassische Zeile „aber nett sind sie doch” – die wäre in den Augen aufgeklärter alternativer Politiker vermutlich allzu primitiv.
Wem die Wahl zwischen dem arabischen Mann und dem Mann an sich noch nicht ausreichte, um die Schuld an der Situation befriedigend zuweisen zu können, bekam schließlich noch ein drittes Angebot. Eckhard Fuhr schrieb in der Welt über das Versagen des modernen Mannes, der nicht mehr in der Lage sei, Frauen vor Übergriffen zu beschützen.
„Der Mann ist in seiner konventionellen wie in seiner postkonventionellen Version zum Problem unseres Zeitalters geworden.”
Der schon zitierte Blogger Adrian kommentierte, dass Männer heute also vor der „Wahl zwischen Arschloch und Versager” stünden. So widersprüchlich und unerfüllbar diese Erwartungen auch sein mögen – Vertreter ganz unterschiedlicher politischer Positionen haben immerhin das Bedürfnis miteinander gemein, eine überfordernd-krisenhafte Situation als Krise der Männlichkeit oder gleich als männliche Krise darzustellen.
Unklar bleibt lediglich, was hier Ursache und was Wirkung ist: Ist die Unfähigkeit, Lösungen für komplexe Probleme zu finden, Ursache für den Spleen, diese Probleme pauschal an irgendeine Männlichkeit zu delegieren, an welche auch immer – oder trägt umgekehrt das große Bedürfnis, die komplexe Situation zu einer Männlichkeitskrise zu vereinfachen, dazu bei, dass sie nicht angemessen und pragmatisch analysiert werden kann?
Eine Willkommenskultur und eine Politik der Feindschaft
„Es suggeriert uns: Die eigentliche Quelle unserer Sorgen, gegenwärtig oder zukünftig, ist diese bestimmte Gruppe von Menschen. Die Fehlschlüsse von extremen Teilen auf das Ganze, von Handlungen einiger weniger auf Eigenschaften einer ganzen Gruppe, geschieht fast unbemerkt.“ (S. 37)
Das schreibt der Philosoph Daniel-Pascal Zorn in der Februar-Ausgabe der Zeitung „Hohe Luft“ über die Menschen, die Pegida unterstützen. Dies aber ist eigentlich lange bekannt: Das Arbeiten mit simplen Feindbildern, das Schließen von Einzelnen auf ganze Gruppen oder die selektive Wahrnehmung der Realität, die nur nach Bestätigung von Überzeugungen sucht und abweichende Informationen ausblendet – das alles gehört in eine inhumane Politik der Feindschaft, die in ihren eigenen Klischees gefangen ist und die keinen sinnvollen Beitrag zu einer demokratischen Politik leisten kann.
Seltsamerweise aber finden sich immer wieder politische Gruppen, die davon überzeugt sind, dass all dies natürlich so sei, gerade für ihre Freund-Feind-Muster jedoch nicht zuträfe, dass nämlich gerade ihre Aggressionen sich gegen die richtigen Feinde richteten, die Wirklichkeit angemessen wiedergäben und nicht bloße Projektionen seien – ganz anders als die Feindbilder der anderen also. Ob es nun um Männer allgemein geht, wie bei den Grünen oder den ausnahmlos-Aktivistinnen, oder um arabische Männer wie bei der AfD oder der Pegida.
Das schafft doppelte Probleme: Einerseits schadet diese Weltwahrnehmung eben gerade den Menschen, die damit als Quelle des Übels identifiziert werden – und andererseits sind die klischeehaften Ressentiments im Weg, wenn es darum geht, reale Probleme zu identifizieren.
Die Schuldzuschreibung an den weißen heterosexuellen Mann wirkt dabei so abstrakt und abgehoben, dass die meisten weißen heterosexuellen Männer sich davon kaum getroffen fühlen und sie achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Gerade wer aber politisch mit solchen Abstraktionen agiert, verstellt sich den Blick auf konkrete Probleme. Eben auf diese Weise haben sich fast alle Parteien mit einem linken Selbstverständnis aus der Debatte geschlichen und überlassen die Auseinandersetzungen über die richtigen Wege in der Flüchtlingspolitik den Schaukämpfern aus CSU und CDU.
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil mutmaßt derweil, dass im Jahr 2016 zwei Millionen Menschen nach Deutschland flüchten könnten. Jetzt schon gibt es im Durchschnitt jeden Tag mehrere Anschläge auf Flüchtlingsheime, dazu so viele haltlose Gerüchte über angebliche Vergehen Aslysuchender, dass sie mittlerweile in einer eigenen „Hoaxmap” (etwa: Karte der Vortäuschungen) festgehalten werden.
In dieser Situation aber, die ernsthaft problematisch ist und die Auswirkungen für viele Jahre haben wird, sind Menschen, die sich als links und aufgeklärt verstehen, vor allem anderen damit beschäftigt, sich ihre Freund-Feind-Muster nicht durcheinanderbringen zu lassen. So waren denn die Wochen nach dem Kölner Silvester auch eine Kernschmelze der deutschen Linken, die nicht nur dokumentierte, dass sie keine Lösungen hat – das wäre ja noch völlig verständlich – , sondern auch, dass sie an Lösungen überhaupt nicht interessiert ist.
Allerdings gilt das nicht nur für Vertreter der institutionalisierten Linken. In der Jüdischen Allgemeinen beschreibt Viola Roggenkamp die derzeitige deutsche Flüchtlingspolitik insgesamt als selbstbezüglich und von Allmachtsphantasien geprägt.
„Wie schlecht sich der Flüchtling immer benimmt, egal, bedeutungslos. Ihm wird vom guten Deutschen die Sprache verweigert, er ist Objekt, ist Besitz im deutschen Omnipotenzraum: Wir schaffen das. Verleugnet wird, was stört.“
Der gefeierte Begriff eine „Willkommenskultur“ drückt eben gerade diese seltsam unpolitische Selbstbezüglichkeit aus – zumal er in der Debatte exakt an der Stelle steht, an der eigentlich der Begriff „Einwanderungspolitik“ stehen müsste.
Wenn Menschen nach Deutschland einwandern, dann sind sie tätig, und dann sind Einheimische gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen, was diese Menschen mitbringen, zu welchen Anpassungen sie bereit sind und welche Perspektiven ihr Leben in Deutschland haben wird.
Bei einer Willkommenskultur aber geht es allein um das, was WIR tun – wir heißen Willkommen, und wir wiederholen die Erfahrung des Jahres 2006, als die „Welt zu Gast bei Freunden“ war und Deutschland sich als weltoffenes, fröhliches, gelassenes Land präsentierte.
Mehr noch: Wer sich mit einer Einwanderungspolitik beschäftigte, müsste überlegen, was in den nächsten Jahren und Jahrzehnten geschieht. Der Begriff „Willkommenskultur“ aber erweckt den Eindruck, das Wesentliche sei getan, wenn nur Menschen erst einmal Willkommen geheißen wurden. Unterschwellig wiederholt das immer noch die beidseitigen Lebenslügen, die sich in der Rede von den „Gastarbeitern“ verbarg: Da sowohl Einheimische wie Zuwanderer davon überzeugt waren, dass die Gäste in absehbarer Zukunft wieder gehen würden, war es gar nicht nötig, eine sinnvolle Einwanderungspolitik zu konzipieren.
Der Begriff „Kultur“, statt „Politik“, wiederum schiebt die wesentliche Verantwortung von den politischen Verantwortlichen weg dem bürgerschaftlichen Engagement zu. Dieses Engagement ist in meinen Augen tatsächlich bewundernswert, und ohne diesen Einsatz vieler wäre die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung längst an die Wand gefahren. Es ist aber eine absichtliche, systematische Überforderung des guten Willens vieler Einzelner, wenn ihr Engagement an die Stelle politischer Verantwortung treten soll: Ihr schafft das schon.
Wenn sich also eine Bundesregierung bei einer der zentralen staatlichen Aufgaben, dem Schutz der Grenzen, schnurstracks für unzuständig erklärt und verkündet, dass die Grenzen ohnehin nicht zu schützen seien – dann ist es illusorisch, dass das durch bürgerschaftliches Engagement ersetzt werden könnte. Selbst wenn die Regierung sich zu libertär-anarchistischen Argumenten einer Politik der völlig offenen Grenzen bekennen würde, müsste sie sich doch zumindest auch offen mit den Konsequenzen auseinandersetzen.
Ich kenne Flüchtlingsreinrichtungen, die sechsfach überbelegt sind – Helfer, die das Gefühl haben, permanent überfordert zu sein – Schulen, in denen plötzlich in jeder Klasse mehrere Kinder sitzen, die kein Wort Deutsch können: Wenn die Situation so bliebe, wie sie ist, wäre sie schwierig genug zu meistern. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es gut gehen kann, wenn im laufenden Jahr vielleicht noch einmal doppelt so viele Flüchtlinge wie im letzten Jahr dazu kommen.
Ich würde sehr gerne einräumen, dass ich mir möglicherweise unbegründete Sorgen mache – aber dafür wäre es schon nötig, dass politisch Verantwortliche nicht nur ab und zu „Wir schaffen das“-Rauchzeichen absondern, sondern auch Konzepte vorlegen würden.
Es gehörte auch dazu, dass die Verantwortlichen für diese Politik sich der Diskussion stellen, Menschen – wenn sie selbst denn überzeugt sind – von ihr überzeugen und sich ihrerseits mit den Ängsten auseinandersetzen, die durch ihre Politik ausgelöst werden.
Ganz einfach ausgedrückt: Ich würde der Bundesregierung ja sehr gerne zugestehen, dass sie gewiss weiß, was sie tut – aber ich hätte dafür auch gern bei Gelegenheit ein paar glaubwürdige Anhaltspunkte.
Weimarer Wolken
Erkennbar ist lediglich der Versuch, auf die neue und überfordernde Situation alte und vertraute Muster anzuwenden – so wie es etwa der Justizminister Heiko Maas tut, wenn er nach den Angriffen in der Kölner Silvesternacht alte, unausgegorene Pläne zur Verschärfung des Sexualstrafrechts hervorholt, deren Realisierung an Übergriffen wie denen von Köln überhaupt nichts ändern würde.
Auch Medien fixieren sich lieber auf bestehende Freund-Feind-Bilder, als politische Analysen zu betreiben. Nur selten werden Texte veröffentlicht, die sich mit der Politik der Regierung beschäftigen, nach ihrem Zweck oder ihren Widersprüchen fragen.
Eines der wenigen Beispiele dafür ist ein Text von Matthias Krupa und Bernd Ulrich aus der Zeit, der Merkels Politik als hochriskanten – und mittlerweile offenbar gescheiterten – Versuch versteht, andere europäische Regierungen durch eine zugespitzte Entweder-Oder-Situation unter Druck zu setzen und zur Übernahme der deutschen Politik zu bewegen. Oder auch ein polemischer Text aus einem Blog von links von Roberto De Lapuente, der auf Widersprüche zwischen der von Merkel zur Schau gestellten Hilfsbereitschaft und dem Desinteresse an der Hilfe in den Grenzländern Europas, in Italien oder Griechenland hinweist. (Beide Texte via Genderama).
Meist aber beugen sich Medien einfachen Freund-Feind-Strukturen oder produzieren sie gleich selbst mit – etwa bei der auf politischen Druck der sozialdemokratischen und grünen Landesregierungen erfolgten Absage öffentlich-rechtlicher Sender an die AfD für die Elefantenrunden zu den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Diese – trotz aller Durchgeknalltheit der AfD – undemokratische Entscheidung ist zwar mittlerweile modifiziert worden, gleichwohl haben sich auch hier Massenmedien als einseitig, politisch gesteuert und unzuverlässig präsentiert. Das ist gefährlich – denn wenn ein solches öffentliches Forum seine Glaubwürdigkeit ganz verliert, dann stehen plötzlich auch offenkundige Lügen, die bei Facebook oder sonstwo verbreitet werden, als vertrauenswürdige Alternative dar. Als könne jemand, der etwas anders als die „Lügenpresse“ behauptet, damit zwangsläufig immer nur im Recht sein.
Vor allem aber ist es Merkels präsidialer Regierungsstil, der das Denken in vertrauten Freund-Feind-Bildern fördert. Da die Politik der Bundesregierung gleichsam über dem politischen Tagesgeschäft schwebt, da Merkel beispielsweise selbst noch die provozierendsten Angriffe aus München mit hilfloser Erhabenheit ignoriert – da dies so ist, gibt es ausgerechnet angesichts von ungeheuer weitreichenden Entscheidungen der Bundesregierung fast keine Analysen und Diskussionen der Regierungspolitik.
Doch auch wenn Konflikte so nicht sachlich analysiert werden – auch wenn sich die zuständige Regierung der Diskussion eben der Konflikte entzieht, die ihrer Politik zu Grunde liegen oder die auf sie folgen – auch wenn sie ihre Politik, wieder einmal, als alternativlos hinstellt – auch wenn die Massenmedien der Regierung darin weitgehend folgen – auch wenn dies alles so ist, verschwinden die Konflikte dadurch ja nicht einfach.
Anstatt zum Gegenstand von Analysen zu werden, toben sie sich dann in Feindbildern aus – und anstatt als Kritik von Regierungspolitik formuliert zu werden, werden sie als Kulturkämpfe inszeniert. Als ob sich alle Probleme wie von selbst lösen würde, wenn nur die jeweiligen Feinde – Flüchtlinge! Reaktionäre! Arabische Männer! Weiße heterosexuelle Männer! Moderne schlappschwänzige Männer! – endlich verschwinden würden.
Die Betonierung von Freund-Feind-Mustern und die – medial bemerkenswert selbstverständlich akzeptierte – wolkige und apolitische präsidiale Abgehobenheit der Merkel-Regierung sind so zwei Seiten derselben Entwicklung.
Diese Entwicklung ist, so kommt es mir zumindest vor, schon längst gefährlich und bedient eine kranke Sehnsucht nach Weimarer Verhältnissen, die sich nicht allein in der wachsenden politischen Gewalt von beiden Rändern zeigt. Es fehlt ein vermittelnder Raum über die verschiedenen politischen Positionen hinweg – oder: ein gemeinsamer Kern, der auch bei gravierenden Meinungsunterschieden respektiert wird.
Der Kommentator LoMi schreibt im Blog Geschlechterallerlei:
„Vereinfachungen a la #aufschrei, Multikulti, aber auch a la Pegida und AfD sind viel wirkmächtiger und schlagzeilenträchtiger. Menschenrechte und Individualität haben etwas medienunfreundlich intellektualistisches an sich. Aber letzten Endes geht es genau darum wie auch um die Tragik des Scheiterns solcher Positionen in einem aufgeheizten Kampf um die Deutungshoheit.”
Ganz ähnlich argumentiert auch schon der bereits zitierte Daniel-Pascal Zorn, der sich damit allerdings auf Pegida-Anhänger allein bezieht – gleichwohl ist sein Statement, mit dem er seinen Text beschließt, auch auf andere Gruppen übertragbar. Sein Glaube an die Kraft des besseren Arguments, der sorgfältigen Prüfung und des rationalen Umgangs mit Ängsten kommt mir angesichts der politischen Situation unweigerlich ein wenig naiv vor. Allerdings gibt es zu ihm, ausnahmsweise einmal, tatsächlich keine vernünftige Alternative:
„Wir sollten den Hetzern und denen, die ihnen glauben, die Ressourcen wegnehmen, indem wir ihre Behauptungen einer gründlichen Überprüfung unterziehen. Und indem wir ihnen sachlich, aber bestimmt Argumente entgegenhalten. Wir sollten die Menschen, die in der Rhetorik der Hetzer gefangen sind, keinesfalls aufgeben. Ihre Ängste, einmal entfacht, sind real. (…) Aber damit man ihre Angst ernst nehmen kann, muss man umgekehrt von diesen Menschen einfordern dürfen, dass sie sich der Gefahr der Instrumentalisierung bewusst werden. Das, wovor man Angst hat, ist deswegen nicht schon eine Tatsache. Das zu verstehen, lässt der aufgeblasenen Rhetorik der Hetzer die Luft heraus.“ (Hohe Luft, Februar 2016, S. 39)
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