Vor lange Zeit habe ich die Kommentare von Heribert Prantl sehr gern gelesen, und sie waren für mich sogar ein Grund, die Süddeutsche Zeitung zu abonnieren – ein Grund neben dem legendären Kreuzworträtsel im freitäglichen Magazin, natürlich. Ich weiß nicht, ob ich selbst mich im Lauf der Jahre sehr geändert habe, oder ob Prantls Texte ganz anders geworden sind. Seit einigen Jahren jedenfalls verstehe ich nicht mehr, was mir daran einmal gefallen hat – ich finde sie nun oft pomadig, rechthaberisch, oberflächlich und klischeehaft.

Wer dieses Bild mit dem Begriff „Folter“ assoziiert, hat möglicherweise gute Gründe, bei Gelegenheit einmal seine Wahrnehmung zu überprüfen.
Mit einem neuen Text aber knackt er glatt das Niveau gedankenloser Aggressivität, das Lalon Sander in der taz doch eigentlich so beeindruckend unknackbar etabliert hat. Prantl schreibt über einen Gesetzentwurf zur Auskunftspflicht der Mütter von sogenannten Kuckuckskindern – und sein Text ist gleich in vielen Abschnitten so seltsam, dass sich ein näherer Blick lohnt.
Wie man eine Forderung des Verfassungsgerichts ignorieren kann, indem man sie erfüllt
Das neue Gesetz sei, so Prantl,
„ein Werkzeugkasten mit Folterinstrumenten, um die Mutter zu Auskünften über einen früheren Sexualpartner zu zwingen.“
Dass die Mutter natürlich nicht tatsächlich gefoltert wird, wissen hoffentlich alle, aber die Formulierung hat sich vermutlich einfach gerade angeboten. Die Mutter muss auch nicht wahllos Auskunft über ihr Sexualleben erteilen, nur weil ein eifersüchtiger oder wahlweiser lüsterner anderer Ex-Partner das gern so hätte.
Tatsächlich geht es um finanzielle Regressansprüche. Das Bundesverfassungericht hatte – was Prantl praktischerweise nicht erwähnt, weil er es im Unterscheid auf die Folter-Anspielung wohl irrelevant fand – das Justizministerium aufgefordert, eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, diese Ansprüche auch tatsächlich einklagbar zu machen.
Wenn nämlich ein Vater mehrere Jahre lang Unterhalt gezahlt hat, weil er glaubte, der leibliche Vater eines Kindes zu sein – und wenn er dann feststellt, das er eigentlich gar nicht der Vater ist – dann hat er theoretisch die Möglichkeit, das gezahlte Geld von dem Menschen einzuklagen, der eigentlich zur Zahlung verpflichtet gewesen wäre: vom realen Vater nämlich.
Das aber ist natürlich nicht möglich, wenn die Mutter die Information verweigert, wer denn eigentlich dieser reale Vater sei. Das neue Gesetz nun soll die Mutter auf Preisgabe dieser Information verpflichten – nicht, um die Neugier des Scheinvaters zu befriedigen, sondern um ihm eine Chance zu geben, seine berechtigten Regressansprüche auch durchsetzen zu können.
Das Justizministerium hat allerdings einige unscheinbare Schwierigkeiten eingebaut. Die Mutter ist nicht zur Preisgabe der Information verpflichtet, wenn diese für sie „unzumutbar“ ist. Das etabliert wohl einen logischen Zirkel: Denn dass es tatsächlich unzumutbar ist, den Vater zu nennen, kann die Mutter vermutlich in vielen Fällen nur dann belegen, wenn sie den Vater nennt. Das gilt etwa, wenn der Vater des Kindes ihr eigener Bruder ist – der „Geschwisterbeischlaf“ ist einer der Beispielfälle im Gesetzentwurf. Möglicherweise muss die Frau also in manchen Situationen einfach nur standhaft genug darauf beharren, dass die Weitergabe der Information für sie unzumutbar ist.
Zudem sind Regressforderungen nach dem Entwurf nur noch zwei Jahre rückwirkend einklagbar, und auch das ist nicht einsichtig. Schließlich ist es der Staat, der Gesetzgeber, der einen Scheinvater zur Zahlung verpflichtet hat. Wenn diesem Mann eben durch diese Verpflichtung nun unrechtmäßig ein Schaden entstanden ist: Warum sollte der Gesetzgeber dann nicht auch die Verantwortung dafür übernehmen, dass dieser Schaden in ganzem Umfang zurückerstattet wird? Warum sollte die Verantwortung willkürlich bei zwei Jahren enden? Der Scheinvater hatte schließlich auch nicht die Möglichkeit, willkürlich nach zwei Jahren seine Unterhaltszahlungen einzustellen.
Die Begründung, dass „gelebtes Familienleben“ nicht finanziell rückabgewickelt werden sollte, erscheint jedenfalls vorgeschoben – schon allein, weil in vielen relevanten Fällen Vater, Mutter und Kind niemals oder nur für begrenzte Zeit wirklich zusammenlebten. Max Kuckucksvater vermutet, wesentlich realitätsnäher, dass es eher darum geht, die Unterhaltsansprüche der Mutter an den realen leiblichen Vater nicht zu beschädigen – denn wenn dieser durch die Regressforderungen finanziell zu sehr belastet wäre, könnte das natürlich auch Auswirkungen auf den Unterhalt haben.
Prantl aber zeigt nun keineswegs, dass der Gesetzentwurf immerhin eine Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts formal zwar erfüllt, faktisch aber unterläuft und ignoriert – das interessiert ihn überhaupt nicht.
Über das unbedingte Recht, andere Menschen für sich arbeiten zu lassen
„Vorlagen für Aggressionen“ liefere das Gesetz nämlich – so Prantl, und damit driftet er ins Absurde. Auch ein nichtehelicher leiblicher Vater ist zum Beispiel zu Unterhaltszahlungen verpflichtet – und in dessen ersten drei Lebensjahren nicht nur zu Zahlungen für das Kind, sondern im Falle einer Trennung auch zu Betreuungsunterhalt für die Mutter. Diese soll nämlich nicht unter Druck stehen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Der Betreuungsunterhalt ist prinzipiell so hoch wie das vorherige Einkommen der Mutter.
Der Vater arbeitet dann also vermutlich Vollzeit, sieht sein Kind kaum, bezahlt Unterhalt für Kind und Mutter und lebt dabei dann selbst aller Wahrscheinlichkeit nach knapp über Sozialhilfeniveau. Warum sollte er nicht wenigstens Regressansprüche haben, wenn er dann auch noch erfährt, dass er gar nicht Vater des Kindes ist? Und: Wie kommt Prantl auf die seltsame Idee, erst durch diese Regressansprüche könnte eine solche Situation aggressiv aufgeladen werden?
Das Gegenteil ist richtig: Die Regressansprüche sind ein ziviler Weg, die Aggressionen aufzufangen, die in einer solchen Situation kaum vermeidbar sind.
Wenn die Mutter ihre Privatsphäre schützen und den realen Vater nicht nennen möchte, dann sollte sie allerdings die Möglichkeit haben, die Regressansprüche selbst zu bedienen. Sie könnte sich dann ja – ohne den Scheinvater über dessen Identität informieren zu müssen – das Geld vom realen Vater zurück einklagen. Ihr Unterhaltsanspruch ist schließlich real, sie hatte ihn nur an den falschen Mann gestellt.
Denn natürlich ist es zwar ein Gebot der Fairness, einem Vater, der jahrelang ein Kind für sein eigenes gehalten hat, die Identität des realen Vaters zu offenbaren – wenn er es denn wissen will. Eine rechtliche Grundlage dafür ließe sich aber wohl kaum begründen, wenn der finanzielle Schaden des Scheinvaters auch auf andere Weise ausgeglichen werden kann.
Prantl aber argumentiert nicht. Er sucht auch nicht, wenn er denn schon die Verpflichtung zur Nennung des realen Vaters pathetisch als „Folter“ darstellt, nach Alternativen dazu. Statt dessen vernebelt er die Situation.
„Wenn der Scheinvater mit dem Kind zusammenlebt oder zusammengelebt hat oder über eine Umgangsregelung eine sozialfamiliäre Beziehung zu ihm aufgebaut hat, ist es doch selbstverständlich, dass er mit zum Unterhalt des Kindes beiträgt oder beigetragen hat.“
Warum eigentlich sollte das „doch selbstverständlich“ sein? Ich habe beispielsweise einige Zeit nach der Trennung von der Mutter unseres Kindes mit einer anderen Frau zusammen gelebt. Sie war oft beim Umgang dabei, mein Sohn war oft in den Ferien bei uns, und sie hat eine gute, tragfähige, herzliche Beziehung zu ihm. Das ist wirklich schön, und für sie ist es natürlich nicht immer einfach, ein gutes Verhältnis zu einem Kind zu pflegen, das ich mit einer anderen Frau habe.
Warum, um Himmels Willen, sollte ich dafür auch noch finanzielle Ansprüche an sie stellen und erwarten, dass sie für meine Kosten der Kindessorge aufkommt – und das auch noch „selbstverständlich“? Der moralisierende Gestus des Textes verdeckt, dass das, was Prantl schreibt, einfach keinen Sinn ergibt.
Das gilt insbesondere für das Ende seines Textes, wo der süddeutsche Großkommentator rhetorisch fragt:
„Aus welchem Schaden soll sich ein finanzieller Rückgriff rechtfertigen: Aus verletzter Ehre? Aus Revanche gegenüber dem Rivalen?“
Als ob das tatsächlich so rätselhaft wäre: Welche Motive könnte ein Mensch, der vielleicht um Zehntausende von Euro betrogen worden ist, denn wohl dafür haben, dieses Geld zurückzufordern? Schwierige Frage…. Wenn Prantl dabei tatsächlich nichts anderes als „verletzte Ehre“ oder „Revanche“ einfällt, stellt er sich erstens vorsätzlich blöd und fährt zweitens ressentimentgeladene Klischees auf.
Andersherum wird es klarer. Das Geld, das der Mann bezahlt, flattert ihm bekanntlich nicht ohne sein Zutun monatlich als patriarchale Dividende einfach ins Haus – er muss dafür arbeiten. Wenn er über Jahre bezahlt hat, geht es dabei in der Regel um Tausende von Arbeitsstunden. Welches Recht hat denn eigentlich eine Frau, einen Mann unter staatlichen Zwang so für sich arbeiten zu lassen – einen selbstverständlichen Anspruch zu erheben auf seinen Körper, seine Arbeitskraft, seine Erfahrung, seine Zeit und womöglich auch seine Gesundheit?
Wenn ein solcher Anspruch überhaupt gestellt werden kann, dann muss er sehr gut begründet werden – beispielsweise durch die Verpflichtung zur Sorge für ein Kind. Auch dies würde aber, übrigens, voraussetzen, dass Mann und Frau sich unter den Bedingungen gleicher Rechte darüber verständigt haben, wer für die direkte und wer für die finanzielle Sorge zuständig ist – und diese Voraussetzung ist unter den jetzigen gesetzlichen Bedingungen nicht gegeben.
Wenn zudem der Grund, den die Frau für ihre Ansprüche angegeben hat, gar nicht besteht – warum sollte sie sich dann nicht dafür verantworten müssen, auf die Arbeit des Mannes unrechtmäßig einen Anspruch erhoben zu haben?
Patriarch Prantl in der Zeitmaschine
Für Prantl aber besteht dieser Anspruch absolut – er beendet seinen Text mit der Forderung, dass der Gesetzgeber einfach alle Regressansprüche abschaffen sollte. Dass ein Mann rechtliche Ansprüche an eine Frau stellen könnte, erscheint hier als etwas irgendwie Unanständiges, Unehrenhaftes, das nur für Ärger und Zerwürfnisse sorgen kann – und das ganz gewiss allein in egoistischen Motiven des Mannes begründet ist.
Das ist ganz ähnlich argumentiert wie die Antwort, die gerade eine Jura-Professorin mit dem Schwerpunkt Sexualstrafrecht in einem Interview mit der taz gegeben hat. Dort wurde sie gefragt, ob es denn künftig strafbar sei, wenn eine Frau abends im Bett ihrem müde und offenkundig lustlosen Partner den Penis streichle. Tatjana Hörnle von der Berliner Humboldt Universität antwortete:
„Das Verhalten der Frau mag zwar den Tatbestand des neuen Gesetzes erfüllen. Aber ich bitte Sie, welcher Mann zeigt seine Partnerin nach einer solchen Situation an?“
Da schafft also ein neues Gesetz womöglich lauter neue Straftatbestände, die auch Situationen beinhalten, die kaum ein Mensch für strafwürdig erachten würde – es schafft auch viele Straftatbestände, nach denen Frauen gegenüber Männern womöglich der Vergewaltigung schuldig wären – aber für Hörnle löst sich das Problem ganz einfach: Ein Mann würde doch wohl seine Partnerin nicht ernsthaft wegen so was anzeigen, ich bitte Sie.
Mich als Laien hat es überrascht, dass eine Juristin so argumentiert. Wenn eine Handlung nicht strafwürdig ist, dann darf sie eben nach dem Gesetz auch keinen Straftatbestand erfüllen, und entsprechend muss das Gesetz dann formuliert sein. Es ist irrational, stattdessen darauf zu bauen, dass Männer, bitteschön, Frauen doch nicht anzuzeigen hätten.
Auch Prantl ist übrigens Jurist, war vor seiner Zeit bei der Süddeutschen als Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Richter tätig – und argumentiert doch genau so seltsam wie Hörnle. Er behauptet, der Gesetzentwurf führe zurück in eine Zeit, in der noch das „Schuld- und Zerrüttungsprinzip“ gegolten habe, zumindest in die frühen Siebziger Jahre also. Tatsächlich aber ist er es, der sich in eine ferne Zeit zurück argumentiert – nicht in die Siebziger, auch nicht in die Fünfziger, sondern mitten in die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein.
Dass gleichberechtigte Männer und Frauen eben auch, auf gleicher Ebene, rechtliche Ansprüche aneinander haben und rechtlich voreinander geschützt sind – das erscheint bei Prantl als unehrenhaft, als Vorlage für Aggressionen und Revanchegelüste. Er steckt fest in der Zeit eines strikt asymmetrischen Verhältnisses, in einer erstarrten patriarchalen Bürgerlichkeit, in der Männer Frauen nicht ernst nehmen, sie nicht als erwachsene Menschen betrachten – aber dafür gern die Verpflichtung übernehmen, für sie zu sorgen.
Wenn Erwachsene sich aber, unabhängig vom Geschlecht, als Erwachsene begegnen, dann müssen sie auch mit der Möglichkeit rechnen, dass sie dem jeweils anderen Menschen Schaden zufügen können.
Bei der Auskunftspflicht der Frau geht es schlicht darum, dass sie daran mitwirken muss, den erhebliche Schaden, den sie jemand anderem zugefügt hat, auszugleichen. Wenn der Patriarch Prantl diese Erwartung an sie als „Folter“ hinstellt, dann belegt er damit unter anderem, dass er Frauen als erwachsene Menschen nicht ernst nehmen möchte.
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