Vor einigen Tagen wurde ich aufmerksam auf eine Auseinandersetzung, die der Musiker Sean Ono Lennon gerade auf Twitter und in anderen sozialen Medien zum Begriff Mansplaining führte. Nun ist dieser Begriff schon vielfach kommentiert worden (hier oder hier oder hier, Punkt 3, zum Beispiel), so dass ich nicht noch einen weiteren Kommentar hinzufügen muss.
Die Diskussionen, in die sich Ono Lennon verstrickt fand, hatten aber so viele absurde Züge, dass sie sich gut als ein Beispiel dafür eignen, in welchen Bahnen öffentliche Geschlechterdiskussionen heute oft verlaufen. Grund genug, einmal – oder zwei Mal, in diesem Text und dem folgenden, der in wenigen Tagen erscheint – zu fragen, wie es sich eigentlich entwickelt hat, dass diese Diskussionen trotz ihrer offenkundigen Sinnlosigkeit so verlaufen.
Woran sich dann schließlich auch die kleine Frage anschließt, ob nicht auch Alternativen dazu möglich sind. Also:
Wie der Dialog der Geschlechter an die Wand gefahren wurde
Erster Teil
Der amerikanische Musiker Sean Ono Lennon fand sich vor einigen Tagen über verschiedene soziale Medien hinweg in einer Diskussion wieder, die über mehrere Tage andauerte und an der sich überraschend viele beteiligten. Sie begann damit, dass Sean Ono Lennon bei Twitter den Begriff „Mansplaining“ als sexistisch bezeichnete.
Ich weiß nicht, ob Frau Lashbrook der ironische Verlauf dieser Unterhaltung ganz klar ist. Der Begriff Mansplaining bezieht sich ursprünglich auf eine Männern zugeschriebene Tendenz, Frauen ungefragt die Welt zu erklären – und dies, natürlich, von oben herab („talk down to“). Um das zu verstehen, sollte Ono Lennon einfach einmal den günstigen Moment nutzen, ruhig sein und dem zuhören, was so viele kluge, wohlinformierte feministische Frauen im Netz ihm über Feminismus erklären könnten.
Dass er diesen Hör-zu-und-lerne!-Ansatz trotz Lashbrooks überzeugender Argumentation nicht akzeptiert, bringt Ono Lennon in den folgenden Tagen einigen Ärger ein.
Wozu ist es eigentlich gut, dass Männer sprechen können?
Ono Lennon spricht sich für ein gleiches Rederecht beider Geschlechter aus, glaubt, dass der Begriff Mansplaining schon ganz gewöhnliche Meinungsäußerungen eines Mannes diskreditieren könnte – wird dann aber belehrt, dass Frauen gar nicht die entsprechende gesellschaftliche Macht hätten, dass der Begriff Mansplaining Sexismus beschreibe und daher selbstverständlich, warum auch immer, nicht selbst sexistisch sein könne.
Die Twitter-Diskussion mündet schließlich in ernsthaften Vorwürfen: Ono Lennon sei selbst Teil des Problems, weil er offenbar den Begriff Mansplaining für wichtiger halte als den alltäglichen Sexismus gegenüber Frauen. Dass er das nirgends behauptet hat, tut dem keinen Abbruch. Er habe aus dem, was ihm Frauen geantwortet hätten, überhaupt nichts gelernt – und er sei ein Frauenfeind, weil er sich immer noch verteidige, obwohl ihm doch schon viele Frauen deutlich gemacht hätten, dass er falsch liege.
Die Situation wirkt so, als hätte sich hier ein Flashmob verabredet, gemeinsam bei Twitter und anderswo ein Comic von Erzählmirnix zu inszenieren. Ohne auch nur zu versuchen, seine Frage zu verstehen, erklären hier Frauen – und auch Männer – einem Mann von oben herab, dass Männer strukturell bedingt von oben herab mit Frauen kommunizierten. Dass die Überzeugungskraft dieses Arguments Ono Lennon nicht erreicht, ist schließlich – wie auch sonst? – nur noch mit einer unerklärlichen Frauenfeindschaft zu erklären.
Immerhin merken einige Zuschauer, dass dieses Gespräch zwar verkorkst, aber auch absurd-komisch ist.
Ansonsten bleibt die Diskussion chronisch auf einer diffusen Meta-Ebene: Anstatt dass die Beteiligten miteinander reden, werden Regeln des Miteinanderredens dekretiert. Ono Lennon wird zum Zuhören kommandiert, obwohl – oder gerade weil – eigentlich niemand etwas zu sagen hat. Die abstrakten Strukturen, das System, mit denen diese absurde Kommunikation legitimiert wird, bleiben sorgfältig im Ungefähren.
Das Gespräch ist an die Wand gefahren wie ein kleines elektronisches Spielzeugauto, das nicht mehr weiterkommt, weil es an einer Mauer festhängt – das aber unverdossen und mit großem Einsatz eben dort vorwärts will, wo es sich schon seit Stunden festgefahren hat. Damit aber ist dieser absurde kleine Ausschnitt durchaus repräsentativ für das gegenwärtige Geschlechtergespräch, soweit es eben unter feministischen Bedingungen geführt wird.
Wie aber konnte sich das öffentliche Gespräch in einer solchen absurden Situation aufhängen? Für eine mögliche Antwort gibt es einen sehr guten, passenden Ausgangspunkt – einen mehr als 35 Jahre alten musikalischen Dialog zwischen Ono Lennons Eltern, der auch damals schon mit feministischen Vorzeichen geführt wurde.
Das Album Double Fantasy erschien 1980 als ein gemeinsames Album von John Lennon und Yoko Ono. Beide sind jeweils mit sieben Liedern daran beteiligt, ihre Lieder wechseln sich fast durchgehend ab und beziehen sich vielfältig aufeinander, textlich wie musikalisch. Auch dieser Dialog zwischen Lennon und Ono ist, wie sich zeigen wird, schon schräg – aber im Unterscheid zur heutigen Situation findet immerhin noch ein Dialog statt.
Der Weltstar als Embryo
Drei Wochen nach Erscheinen des Albums wurde John Lennon erschossen. So war es kaum möglich, die Lieder des Albums nicht in einem Kontext zu verstehen, für den sie ganz gewiss nie gedacht waren. Ob Lennons optimistisch-federndes „(Just like) Starting Over“ (etwa: „Wie ein Neuanfang“) zum Auftakt des Albums oder Onos skeptisch-zuversichtliches „Hard Times Are Over“ zu seinem Abschluss: Durch das Wissen um den gewaltsamen Tod Lennons bekommen die Lieder jeweils einen traurigen, auch bitteren Grundton.
Der Kontext bei der Produktion und Veröffentlichung des Albums war natürlich ganz anders. Lennon hatte fünf Jahre zuvor sein letztes Album fertiggestellt, und auch dafür hatte er keine eigenen Lieder geschrieben, sondern Coverversionen aufgenommen (Rock’n’Roll). Das neue Album war nun, nach jahrelanger Wartezeit, eine gemeinsame Reflexion Onos und Lennons über ihre Ehe und ihre Familie.
Dass hier eine Ehe so öffentlich inszeniert und sogar als beispielhaft dargestellt wurde, kam zunächst keineswegs gut an: Vor Lennons Tod verrissen Kritiker das Album, erst nach dem Mord wurde es zu einem großen Erfolg.
Es ist müßig, die Diskussionen weiter zu führen, ob nun Onos Lieder das Album verhunzt hätten oder seine wenigen Lichtblicke beigesteuert hätten: Offensichtlich sind die Lieder beider im Dialog miteinander konzipiert und sollen auch so gehört werden. Die Schrägheit von Onos Songs und die unerbittliche Amateurhaftigkeit ihres Gesangs ermöglichen dabei eine Spannung, die das Album mit den eingängigen, gekonnten, aber auch gefälligen Songs Lennons allein nicht hätte.
Es sind aber diese Songs, mit denen das Album bekannt wurde: der optmistische Starting Over-Auftakt, die gelassene Hausmann-Hymne Watching the Wheels, das Schlaflied Beautiful Boy (Darling Boy) für den kleinen Sohn Sean, aus dem eines der berühmtesten Lennon-Zitate stammt:
„Before you cross the street / Take my hand / Life ist what happens to you / While you’re busy / Making other plans“ (Bevor Du die Straße überquerst / Nimm meine Hand / Leben ist das, was Dir geschieht / Während Du damit beschäftigt bist / Andere Pläne zu machen).
Im kitschigen, aber auch strahlenden Woman verallgemeinert Lennon die Liebe für Yoko Ono zur Liebe für das Weibliche schlechthin:
„And woman, I will try to express / My inner feelings and my thankfulness / For showing me the meaning of success“. (Und Frau, ich werde auszudrücken versuchen / Welche inneren Gefühle ich habe und wie dankbar ich dafür bin / Dass Du mir den Sinn des Erfolgs gezeigt hast.)
Erfolgreich konnte Lennon auch ohne die Urfrau Yoko Ono sein – erst mit ihr aber hat der Erfolg einen Sinn.
Im Vergleich mit ihren Antworten wird deutlich, dass das Verhältnis beider hier keineswegs so symmetrisch ist, wie es die symmetrische Anordnung der Lieder suggeriert. I’m Losing You, singt Lennon in seinem bittersten Song des Albums, in einem fremden Raum sitzend, ohne Chance, sie telefonisch zu erreichen („Communication’s lost“). Seiner passiven Bedürftigkeit antworte sie mit einer Geste des selbstbewussten, aktiven Abkehr: I’m Moving On ist textlich wie musikalisch eng auf Lennons Lied bezogen und folgt auf dem Album direkt dahinter.
Wenn sie ihm ihrerseits ihre Dankbarkeit ausdrückt, so wie er ihr in Woman, dann wesentlich abgewogener und distanzierter. Zunächst einmal hält sie, in I’m Your Angel, fest, das er von ihr beschenkt wird:
„I’m Your Angel / I’ll give you everything / In my magic power“,
singt sie zuerst, bevor sie das Bild schließlich ausgleicht:
„Yes, you’re my fairy / You give me everything / I ever wanted from life.“
Verglichen mit ihrer Abgewogenheit und ihrer Bereitschaft zur Distanzierung wirkt er kindlich abhängig. Im auch musikalisch infantil wirkenden Dear Yoko, Lennons letzten Song auf dem Album, beschreibt er, wie er nicht einmal eine Stunde ohne sie aushalten könne, ohne wie eine Blume zu verwelken. („Even if it’s just an hour / I wilt just like a fading flower”).
Seine Kindlichkeit korrespondiert mit ihrer umfassenden Mütterlichkeit. Das Lied für den Sohn, Beautiful Boys, bezieht sich natürlich schon im Titel auf Lennons Lied für Sean – sie weitet es aber aus zu einem Liebeslied für den Partner, der parallel zum kleinen Sohn ebenfalls als Junge angesprochen wird: Er sei ein schöner Junge, nun vierzig Jahre alt, hätte die Welt verändert, würde sich aber noch immer irgendwie leer fühlen. Ausgerechnet in diesem Lied verallgemeinert sie dann auch das mütterliche Verhältnis zu Sohn und Partner zum Verhältnis zu Männern schlechthin:
„All you beautiful boys / Creating multiple plays / You like to fence in your world.“ (All ihr schönen Jungen / Die vielfältige Spiele erschaffen / Ihr zäunt Eure Welt gern ein)
Lennon nimmt die Verkindlichung des Mannes gern an – im Lied liebt er die Frau (Woman) eben gerade dafür, dass sie das kleine Kind im Mann versteht („understand / The little child inside the man“). Auf einem der letzten Photos des Paares, aufgenommen von Annie Leibovitz wenige Stunden vor Lennons Ermordung, liegt John Lennon nackt neben der angezogenen Yoko Ono auf dem Bett, hat seine Knie angezogen und um ihren Bach geschlungen: Der Weltstar als Embryo am Bauch seiner Frau, ganz so, als dränge er in die Gebärmutter zurück.

Das Rolling Stone-Cover mit dem Bild von Annie Leibovitz, 22. Januar 1981
Das Mann-Frau-Verhältnis ist so grundsätzlich ein Verhältnis des männlichen Kindes zur Mutter, des Schülers zur Lehrerin. Während Lennon Ono unbedingt braucht, um vollständig zu sein, trägt sie alle Vollständigkeit schon in sich: Die ganze Ehe ist eigentlich schon in ihrer Person allein aufbewahrt, und sie braucht ihn nicht zu ihrer Ergänzung, sondern bestenfalls zur Aktualisierung des ohnehin in ihr angelegten Potenzials.
Wozu braucht Lucinde eigentlich einen Mann?
Das ist kein neues Muster, sondern eines, das so und ähnlich Christoph Kucklick schon an Texten der Aufklärungszeit nachgezeichnet hat. Die Frau erscheint dann als harmonisches, ursprüngliches Menschsein, das der moderne Mann – zersplittert und desintegriert in den unübersichtlichen Strukturen der modernen Arbeits- und Sozialstrukturen – unbedingt braucht, um seine eigene Menschlichkeit nicht zu verlieren.
Ein deutscher Text über die Ehe aus dem Jahr 1799 passt verblüffend gut zum Album des Ehepaares Lennon/Ono aus dem Jahr 1980.
„Laß mich’s bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst“ (S. 34),
gesteht der enthusiastische Erzähler Julius in Friedrich Schlegels Lucinde. Diese sei
„die Mittlerin (…) zwischen meinem zerstückten Ich und der untheilbaren ewigen Menschheit“ (103).
Denn immerhin: „ich habe durch dich die Ehe und das Leben begriffen, und die Herrlichkeit der Dinge“ (97), „die volle Harmonie“ würde er „allein in Lucindes Seele“ (85) finden. Denn tatsächlich sei Harmonie
„das Wesen des Weibes. Jeder Mann hat einen Daemon – jede Frau eine Ehe in sich.“ (aus den Fragmenten, 206)
Es wäre einem verkürzenden Entlarvungsdrang geschuldet, hier Schlegel einfach vorzuhalten, dass er die Frau auf den Bereich der Ehe und des Häuslichen reduziere. Ehe heißt hier eher: Sie, die Frau, muss sich eigentlich gar nicht mehr in Beziehung zum Mann begeben, sich nicht auf etwas einstellen, was ihr fremd ist – sondern sie trägt diese Beziehung schon in sich und muss sie nur durch ihn aktualisieren. Damit die Ehe zwischen beiden möglich wird, muss er sich auf sie einstellen, nicht sie sich auf ihn.
Entsprechend beschreibt Julius dann auch „eine große Veränderung“ in seinem
„Wesen: eine allgemeine Weichheit und süße Wärme in allen Vermögen der Seele und des Geistes (…).“ (95)
Fast zweihundert Jahre später, in der Zeit von Lennons und Onos Double Fantasy, wirkt eine Imagination des Mann-Frau-Verhältnisses als Verhältnis des Schülers zur Lehrerin oder des Kindes zur Mutter wie eine Neuentdeckung.
Wilfried Wieck etwa mokiert sich über die kindliche Abhängigkeit des Mannes von der Frau und zelebriert sie zugleich in seinem Buch Männer lassen lieben.
Der neue Mann wird proklamiert, der seine Männlichkeit überwinde, der weiblicher und damit menschlicher werde und den das Land angeblich so dringend brauche.
Klaus Theweleit assoziiert in seinen Männerphantasien auf Hunderten von Seiten Verknüpfungen zwischen Männlichkeit und Faschismus.
Die militärische Rüstung wird als männlich verstanden, die Rakete als Phallussymbol, die Umweltzerstörung als Resultat einer männlichen geprägten Wirtschaftsordnung.
Dass Frauen nun als Abgeordnete in Parlamente kommen, wird mit Phantasien einer besseren, humaneren Politik verknüpft.
Der Mann als solcher hat also unendlich viel zu lernen, aber zum Glück ist auch immer schon klar, von wem er lernen kann: von der Frau als solcher nämlich.
Wie aber war es möglich, dass ein solch ungleiches, unpartnerschaftliches Verhältnis zwischen Mann und Frau als neues Ideal, als Weg in eine schönere Zukunft erscheinen konnte?
Mehr noch: Einseitige Verhältnisse können unter bestimmten Bdingungen ja durchaus einen Sinn haben und für eine Weile wichtige Funktionen erfüllen. Warum aber hat sich das einseitige Geschlechterverhältnis in den folgenden vier Jahrzehnten – zumindest, was seine Repräsentation im Lichte feministischer Politik betrifft – nicht zu einem Verhältnis der Gegenseitigkeit hin entwickelt?
Warum hat es sich, ganz im Gegenteil, beständig weiter betoniert und zugespitzt – solange, bis heute kaum noch ein sinnvoller Dialog möglich ist und das Gespräch in Absurditäten versinkt?
Eine Antwort auf solche Fragen lässt sich nicht mit den Erklärungen formulieren, die schon seit Jahrzehnten selbst Teil dieses ungünstigen Prozesses sind. Wer etwa Entwicklungen im Geschlechterverhältnis immer noch global als Befreiung der Frau aus Zwängen des Patriarchats beschreibt, der reproduziert bloß die Strukturen, die er erklären soll – liefert aber tatsächlich keine Erklärungen.
Was aber sind die Alternativen dazu?
Es war aus rechtlichen Gründen nicht in jedem Fall möglich, die Album-Versionen der Leider zu verlinken – falls sie zugänglich waren, habe ich dann alternative Versionen genommen.
Die Schlegel-Zitate stammen aus:
Friedrich Schlegel: Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe, Stuttgart 1999
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