Die Förderung der Meinungsfreiheit hilft gegen Aggressionen im Netz – nicht ihre Einschränkung
Zur „Kloake der freien Meinungsäußerung“ würden sich die „sozialen Netzwerke“ entwickeln, schrieb Andreas Busche vor einigen Wochen in der Zeit – nicht etwa über rechtsradikale Propaganda, sondern über Kritik an dem neuen Ghostbusters-Film. Ähnlich genervt zeigte sich Christian Bommarius, Autor der Frankfurter Rundschau, in einem Text über die Befürchtung, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei bedroht. „Ach ja, die Meinungsfreiheit!“
Schon damals war ich etwas verwundert: Wie kommen eigentlich Journalisten, die doch von der Meinungsfreiheit leben, dazu, so verächtlich und herablassend über sie zu schreiben?
Dies zudem in einer Zeit, in der sich Politiker um Einschränkungen der Meinungsfreiheit bemühen. Gerade hat der grüne Justizsenator von Hamburg, Till Steffen, gefordert, einen Shitstorm im Netz als „bandenmäßige Straftat“ zu werten. Das würde dann beispielsweise bedeuten: Wer einen Politiker kritisiert, der zugleich noch von vielen anderen kritisiert wird, der kann dafür als Mitglied einer „Bande“ verurteilt werden. Sollten während eines Shitstorms strafrechtlich relevante Äußerungen formuliert werden, könnte dann jeder Kritiker dafür mitverantwortlich gemacht werden – auch wenn er mit diesen Äußerungen gar nichts zu tun hatte.
Erstaunlich, dass diese Forderung von einem Justizsenator erhoben wird, also weder von einem Internet-Laien, der nicht wissen kann, wie Shitstorms funktionieren – noch von einem juristischen Laien.
Anke Domscheidt-Berg, eine andere prominente Politikerin (ehemals Grüne, ehemals Piraten), hatte wenige Wochen zuvor erfreut darüber berichtet, dass „Hate Speech“ ins Zukunft durch eine „von Yahoo entwickelte“ künstliche Intelligenz automatisch aus dem Netz genommen werden könnte. Eine Zensur sei das natürlich nicht, so Domscheidt-Berg allen Ernstes, denn Zensur könne nur ein Staat ausüben – Zensur sei aber „kein Begriff, der auf Dienste wie soziale Medien anwendbar ist“.
Na, dann ist ja alles gut.
Eben zu dieser Zeit finanziert das Bundesfamilienministerium eine No-Hate-Speech-Kampagne, die Grenzen zwischen freier Rede und Äußerungen von Hass verwischt – und die sich eher gegen unliebsame Meinungsäußerungen als gegen verbale Aggressionen im Netz richtet.
Wer nur nebenbei von solchen Entwicklungen liest, wird vermutlich nicht sonderlich besorgt sein. Dass Politiker Seltsames fordern, Journalisten Verwunderliches schreiben und Ministerien Geld für Projekte Geld ausgeben, deren Sinn unklar bleibt – das ist jeweils nicht sehr schön, aber doch alltäglich. Wir haben gelernt, damit zu leben. Wo also ist das Problem?
Eine Frage wie diese hat Antworten verdient.
No Hate Speech – Wo ist dabei das Problem? Wir sind doch schließlich alle gegen den Hass
Das ist ja möglicherweise gerade das Problem. Wer tritt schon für Hass, für Krieg und Feindschaft und für das Elend in der Welt ein? Wenn aber alle gegen den Hass sind – warum braucht es dann noch eine Kampagne dagegen, die aus Steuermitteln befeuert wird?
Da aber alle gegen den Hass sind, ist Hass etwas, dass sie rituell allein ihren Gegnern unterstellen. Flüchtlingsfeinde unterstellen Flüchtlingen Hass auf die westlichen Freiheiten – Politiker fast aller anderen Parteien und Journalisten unterstellen AfD-Politikern pauschal Hass auf die offene Gesellschaft – Identitäre rechte Bewegungen unterstellen der Merkel-Regierung, aus Hass auf die deutsche Bevölkerung eine gigantische „Umvolkungs“-Kampagne zu betreiben – Feministinnen unterstellen Männern pauschal, sie würden Männlichkeit frauenhassend durch die Unterdrückung, gar die Auslöschung von Frauen konstituieren.
Wenn diese Unterstellungen irrational sind, erfüllt gerade das eine Funktion. Es entsteht der Eindruck, dass diejenigen, denen Hass zugeschrieben wird, gar nicht zu Gruppe der vernunftfähigen menschlichen Wesen gehören: Sie sind die radikal anderen.
Tatsächlich ist die Rede vom „Hass“ damit eine Absage an demokratische Politik. In der nämlich geht es um einen humanen Ausgleich verschiedener, jeweils mehr oder weniger legitimer Interessen. Wer aber durch Hass motiviert ist, der habe überhaupt keine rationalen Interessen, sondern irrationale Gewaltbedürfnisse, verdrängte Ängste, der formuliere eine Absage an die gemeinsame Menschlichkeit. Mit so jemandem sei kein Ausgleich möglich, der könne nur bekämpft werden.
Der kindliche Glaube, selbst für die Liebe einzutreten und gegen die Hassenden zu stehen, entspricht „einer dichotom-manichäischen Weltsicht“ die der Politologe Claus Leggewie gerade an narzisstischen Persönlichkeiten aus dem rechtsradikalen oder dem islamistischen Spektrum beschreiben hat. Dieser Glaube eignet sich nicht zur Verteidigung, sondern allein zur Bekämpfung der Demokratie.
Der Titel „Meinungsfreiheit statt Hass!“ wendet sich so auch nicht allein gegen verbale Gewalt – sondern auch gegen die infantile, unpolitische und selbstgerechte Haltung, politischen Gegnern unbesehen Hass zu unterstellen.
Hass ist keine Meinung – Sollten wir uns nicht zumindest darauf einigen können?
Wer aber behauptet denn eigentlich, dass es vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei, Menschen massive Gewalt anzudrohen, ihnen zum Beispiel anzukündigen, sie zu vergewaltigen oder zu zerstückeln? Oder dass es unbedingt zur freien Rede gehöre, andere rüde und verletzend zu beschimpfen? Für solche Handlungen gibt es bereits eine Reihe von Straftatbeständen – von der Beleidigung oder Verleumdung bis hin zur Volksverhetzung.
Natürlich gibt es im Netz besondere Schwierigkeiten, solche Straftaten auch zu verfolgen – weil die Täter vom Ausland aus agieren zum Beispiel, weil die Server im Ausland stehen, oder weil die Identität der Täter nicht recherchiert werden kann.
Daran aber ändert der Slogan „Hass ist keine Meinung“ gar nichts. Der nämlich unterstellt lediglich, dass es bestimmte Äußerungen gebe, die als Meinungsäußerungen durchgehen, die aber tatsächlich Hass – bzw. Ausdruck von Hass – seien. Damit verwischt der Slogan die wichtige Grenze zwischen legitimer Meinungsäußerung und Straftaten.
Ist das nicht eine wilde Unterstellung – dass bestimmte Meinungen kriminalisiert werden sollen?
Zumindest an der No Hate Speech-Kampagne lässt sich sehr gut zeigen, dass sie sich nicht gegen massive verbale Aggressionen richtet, sondern gegen bestimmte Meinungen. Diese Kampagne stellt Bilder bereit, die als Verteidigung gegen bestimmte Äußerungen des Hasses genutzt werden sollen. Das ermöglicht Schlüsse darauf, um was für Äußerungen es sich dabei handelt.
Es wäre demnach eine Äußerung des Hasses,
- wenn jemand behauptet, dass auch Rechte von Männern oder Jungen verletzt werden können,
- wenn jemand Übergewicht bei Kindern nicht fabelhaft findet,
- wenn ein Mann sich nicht als privilegiert wahrnimmt,
- wenn jemand das muslimische Kopftuch als Symbol der Frauenunterdrückung versteht,
- wenn jemand feministische Positionen kritisiert,
- wenn jemand davon ausgeht, dass es nur zwei Geschlechter gibt,
- wenn jemand glaubt, dass Rassismus sich auch gegen weiße Männer richten könnte.
Auch wer diese Positionen nicht teilt, wird gemeinhin wohl kaum auf die Idee kommen, sie als Formen des „Hasses“ einzuordnen. Offensichtlich ist: Sie als „Hass“ zu bekämpfen, bedeutet nicht, sie inhaltlich zu entkräften – es ist stattdessen ein Versuch, schon ihre bloße Äußerung zu verhindern. Dass es solche Positionen überhaupt gäbe, würde nämlich andere Menschen schon gewaltsam einschränken.
Daher setzen die verlinkten Bilder der steuermittelfinanzierten Kampagne auch keineswegs auf inhaltliche Argumente, sondern darauf, den Gesprächspartner – eher: Gesprächsgegner – zu beschämen und öffentlich lächerlich zu machen.
Dass die Kampagne gegen Hate Speech Schwächen hat, ändert aber doch nichts daran, dass ihr Ziel richtig und wichtig ist, oder?
Tatsächlich nennt die Kampagne auch Beispiele für Hate Speech, die nicht fragwürdig sind – dass Antisemitismus ein Beispiel für politischen Hass ist, ist beispielsweise weithin Konsens. Dadurch aber wird es nur umso schlimmer, dass solche eindeutigen Äußerungen von politischer Feindschaft mit Äußerungen verquickt werden, die Meinungen ausdrücken, welche schlicht den No-Hate-Speech-Initiatoren nicht gefallen.
Zugleich ignoriert die Kampagne ihren eigenen Beitrag zu Aggressionen im Netz – sie verbreitet selbst entwürdigende Darstellungen von Menschen und legitimiert das einfach schon dadurch, dass sie diese Menschen als „Hater“ präsentiert.
Ist das aber nicht ganz normal, dass Menschen die Fehler anderer eher wahrnehmen als ihre eigenen?
Es ist dann nicht normal, wenn diese gespaltene Wahrnehmung ideologisch abgesichert und durch die Verweigerung von Gesprächen betoniert wird. Unsere eigenen Fehler und Widersprüche fallen uns ja tatsächlich häufig erst dann auf, wenn wir uns aus der Perspektive anderer wahrnehmen. Eben diesen Perspektivwechsel aber vermeiden wir, wenn wir diese anderen als Hater etikettieren und ihre Meinung rundweg entwerten.
Ein Beispiel. Bei der Amadeu-Antonio-Stiftung ist Julia Schramm als „Fachreferentin für Hate Speech“ tätig. Die aber ist dafür berüchtigt, dass sie selbst andere im Netz rüde beleidigt, als „Arschloch“, „Fascho“ oder „Dreck“ zum Beispiel. Bekannt wurde sie auch durch ihre offene, hämische Freude über die Tötung vieler Tausender Zivilisten bei der Bombardierung von Dresden im Zweiten Weltkrieg.
Diese Freude wird von Schramm und ihren Unterstützern wohl deshalb als legitim empfunden, weil sie sich gegen die richtigen Feinde wendet – die Bombardierung von Dresden hat eben unter anderem auch für Rechtsradikale schon lange einen Symbolcharakter und wird von ihnen, historisch falsch, mit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima parallel gesetzt. Dass die Bombardierung tatsächlich nicht gezielt überzeugte Nazis, sondern einfach Zivilisten – und übrigens sehr viele Flüchtlinge – traf, spielt dann für Schramm und andere keine Rolle.
Als nun Hanning Voigts, Redakteur der renommierten überregionalen Tageszeitung Frankfurter Rundschau, Schramms Äußerungen verteidigte, schrieb ich ihn bei Twitter darauf an und verfasste darüber dann kurz darauf einen Blogtext. Als Linkem war mir nämlich ein Punkt ganz besonders wichtig: Eine demokratische Linke dürfe sich nicht mit offener, sadistischer Freude an Gewalt gegen Menschen gemein machen – auch und gerade dann nicht, wenn diese Freude von der vermeintlich richtigen, von einer vermeintlich linken Position geäußert wird.
Voigts‘ Reaktion darauf: Er zog sich mit recht großem Gestus für eine Tage von Twitter zurück und blockierte mich dort. Die Forderung zur Abgrenzung gegen massive verbale Gewalt hatte er offenbar als unerträgliche Provokation empfunden.
Solche eingeübten, in Blocklisten sogar institutionalisierten Gesprächsverweigerungen tragen dazu bei, sich die blinden Flecke für den eigenen Anteil am Hass bewahren zu können.
Was aber kann gegen verbale Gewalt im Netz getan werden?
Das Beispiel des FR-Redakteurs zeigt, dass die Gleichgültigkeit gegenüber solcher Gewalt, gar ihre Legitimation eng zusammenhängt mit dem Rückzug aus offenen Diskussionen und mit dem Einrichten in Filterblasen. Dort sind dann Menschen gleicher Meinung unter sich, erregen sich über Chemtrails-Verschwörungen, über Merkels Umvolkungs-Politik oder über die Herrschaft des Patriarchats – und sie nehmen die, die anderer Meinung sind, entweder als unwissende Idioten oder als Agenten des Hasses wahr.
Gewalt gegen diese Hater erscheint damit nicht als Aggression, sondern als legitime Verteidigung des Guten, des Liebevollen, der Demokratie und der Menschlichkeit. Das initiiert einen Prozess mit Eigendymanik: Der Rückzug in Filterblasen begünstigt das Denken in Freund-Feind-Mustern, Freund-Feind-Muster fördern den Rückzug in Filterblasen – und beides legitimiert Gewalt. Besonders ausbaufähig sind solche Muster, wenn die Gegenseite ebenso verfährt.
Die Freund-Feind-Muster, mit denen etwa die No-Hate-Speech-Kampagne arbeitet, fördern also Gewalt eher, als dass sie Gewalt behindern würden. Aus der Sicht der eigenen Filterbubble aber erscheint die Einschränkung der Meinungsfreiheit jeweils als ein Beitrag zur Befriedung der Gesellschaft: Wenn nur deren Meinungen, die ja doch nur Masken des Hasses sind, aus der Welt verschwinden würden, dann könnte es in der gesamten Gesellschaft so friedlich und einig zugehen wie in der eigenen Blase.
Es gibt aber nun einmal Positionen, die falsch oder unmenschlich sind. Was soll gegen die getan werden, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken?
Sachlich falsche oder inhumane Positionen verfestigen sich eben deshalb, weil ihre Vertreter sich nicht mit Gegenreden auseinandersetzen müssen. Gäbe es tatsächlich einen allgemeinen, herrschaftsfreien Diskurs, dann ließe sich die Meinung nicht halten, dass die Regierung die Bevölkerung über Chemtrails planmäßig vergifte, die deutsche Bevölkerung qua Umvolkung zu zerstören versuche oder dass die Verletzung der Rechte von Menschen legitim sei, wenn diese Menschen nur das falsche Geschlecht hätten.
Es fehlt also an Öffnungen – an Verbindungen zwischen den Filterblasen – an offenen Foren für alle – an freien Gesprächen gerade auch mit Menschen, die nicht derselben Meinung sind. Es fehlt auch an gemeinsamen Verständigungen darüber, welche Regeln für eine sinnvolle offene Debatte braucht.
Kurz: Die Förderung der Meinungsfreiheit hilft gegen Aggressionen im Netz – nicht ihre Einschränkung.
Ein Redakteur einer Lokalzeitung hat Anfang August beschreiben, wie seine Zeitung mit einer erheblichen Hetze gegen ein örtliches Flüchtlingsheim fertig geworden sei. Natürlich hat auch diese Zeitung strafwürdige Kommentare gelöscht – aber vor allem hat der Redakteur den Dialog mit den Schreibern gesucht, hat seine eigene Position erklärt. Viele Leser, die heftige Angriffe auf die Zeitung formuliert hätten, hätten beispielsweise nicht gewusst, wie sie überhaupt arbeitet: „Man kann das belächeln. Oder die Leute ernst nehmen – und bestenfalls zu Verbündeten machen.“
Natürlich: In überregionalen Medien wäre das deutlich aufwändiger als in einer Lokalzeitung. Aber wenn es auf lokaler Ebene sogar möglich ist, auf aggressive „Pöbelei“ ruhig zu antworten, dann sollte es einem Redakteur einer überregionalen Zeitung zumindest möglich sein, auf die höfliche Bitte um Distanzierung von massiver Gewalt zu reagieren, ohne sich passiv-aggressiv zurückzuziehen.
Anstatt also das „Netz“ als ominösen Ort der Aggression und des Hasses wahrzunehmen, sollten Vertreter von Institutionen hier selbst das Gespräch suchen. Parteipolitiker sollten etwa bereit sein, in politischen Foren mitzudiskutieren, dort die Konfrontation mit anderen Meinungen zu ertragen. Wer sein Geld damit verdient, sich wissenschaftlich mit Geschlechterverhältnissen zu beschäftigen, sollte es als selbstverständlichen Teil der eigenen Arbeit ansehen, sich Diskussionen mit Andersdenkenden zu stellen, etwa auf einem Blog wie Alles Evolution.
Solche Öffnungen von Seiten der Institutionen aus sind wichtig. Blogger und Kommentatoren nämlich können sich gegenseitig in ihren Filterblasen besuchen und Diskussionen offener gestalten – aber allgemeine Foren können sie nicht bereitstellen. Dafür fehlen ihnen die Strukturen und die Mittel, die es in größeren Institutionen gibt – in Parteien, Ministerien, Universitäten, Massenmedien.
Dieser Hintergrund macht dann auch erst ganz deutlich, wie gravierend es ist, wenn Redakteure etablierter Medien herrisch die Kommunikation verweigern, anstatt das Gespräch zu suche. Erst recht wird klar, wie verantwortungslos es ist, wenn ein Ministerium öffentliche Mittel nicht für die Förderung offener, demokratischer Debatten einsetzt – sondern öffentliche Mittel missbraucht, um Freund-Feind-Strukturen zu betonieren, Kommunikation zu unterbinden und unliebsame Meinungen möglichst effektiv zu diskreditieren.
PS, nachträglich hinzugefügt: Dazu passt ein gerade erschienener Bericht von Hadmut Danisch über die Veranstaltung Was tun gegen Hatespeech?, der stilistisch ganz anders, aber thematisch ähnlich ist.
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