Quantcast
Channel: man tau
Viewing all articles
Browse latest Browse all 356

Sind Menschenrechte Hate Speech?

$
0
0

Eine Bildbetrachtung

Die „No-Hate-Speech-Kampagne“ des Europarats wird in Deutschland vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert und hat eine breite institutionelle Unterstützung: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Auswärtige Amt, das Grimme Institut, der Deutsche Journalistenverband, der Bundesjugendring, sogar der Deutsche Fußballbund und viele andere sind Mitglieder im Nationalen Kampagnen Komitee.

Die Webseite der „Bewegung“ stellt Bilder – Memes – bereit,  die für den unmittelbaren Gebrauch im Netz vorbereitet sind – mit einem Klick lassen sie sich bei Facebook, Google+, Twitter oder What’sApp teilen, per Mail versenden oder herunterladen. Ich habe eines dieser Bilder gegen den Hass ausgewählt, um es hier einmal genauer zu betrachten.

mensrights

Es geht in diesem Bild offensichtlich nicht darum, Männerrechte zu kritisieren, sondern darum, sie als lächerlich erscheinen zu lassen. Dabei liegt Kritik nahe und wäre einfach zu formulieren: Die Rede von Männerrechten ist nämlich offensichtlich widersprüchlich – Rechte gelten entweder allgemein und für alle, oder es sind keine Rechte.

Allerdings wird diese Kritik von vielen geteilt, die im Netz und anderswo als Männerrechtler aktiv sind. Väterrechtler beispielsweise setzen sich – anders als Mütterlobbyistinnen, übrigens – nicht für geschlechtsbedingte Vorrechte, sondern für gleiche Rechte von Müttern und Vätern ein. Die Rede von ‚Männerrechten“ ist hier wie anderswo eine verkürzte Formulierung – tatsächlich geht es um Menschenrechte, die eben männlichen Menschen ganz genau so zustehen sollten wie weiblichen.

Dass dieses spezifische Engagement nicht grundlos ist, hat ja zum Beispiel der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2009 gezeigt: In der Konsequenz seines Urteils musste das deutsche Recht geändert werden, weil es Menschenrechte unverheirateter Väter verletzte.

Nun gibt es natürlich ganz unterschiedliche Meinungen darüber, ob ein Engagement gegen spezifische Verletzungen der Menschenrechte von Männern notwendig ist – oder ob Männer hier auf hohem Niveau klagen. Wohl niemand aber würde auf die Idee kommen, deshalb Menschenrechte als etwas Lachhaftes darzustellen – oder gar die Rede von Menschenrechten als Hate Speech zu verurteilen.

Was also bewegt eine so breit institutionell unterstützte Bewegung wie No Hate Speech dazu, trotzdem solch ein Bild zu veröffentlichen?

 

Arme Würstchen, große Messer

Die lauthals lachende alte Dame auf dem Bild ist Estelle Getty, Darstellerin der Sophia Petrillo aus der amerikanischen Fernsehserie Golden Girls. In einer WG von vier älteren Damen ist dort die resolute und bärbeißige Sophia als Mutter der Mitbewohnerin Dorothy die älteste. Dass hier vier Frauen selbstständig ohne Männer leben, mag zur Wahl des Bildes beigetragen haben – mit Männerrechten aber hat es nichts zu tun.

Das Lachen der Dame werden vermutlich alle Betrachter des Bildes unwillkürlich auf den Schriftzug MEN’S RIGHTS beziehen. Er lenkt zudem davon ab, dass sie – vielleicht, weil sie in Nachthemd und Morgenrock gerade in der Küche etwas zubereiten wollte – ein großes Schlachtermesser in der rechten Hand hält. Durch das Messer hat das Bild, neben der Verhöhnung der Men’s Rights, noch eine stillschweigende Dimension der Gewalt.

Mir selbst ist das Messer auf den ersten Blick gar nicht aufgefallen – als ich es bemerkt hatte, fand ich es sehr irritierend. Warum, das lässt sich an einem Vergleich klären, an einem Bild, das drei Politikerinnen aus dem rot-grünen Spektrum der Schweiz im letzten Jahr veröffentlicht haben:4e1977b5e8f3e3f13862408638208b3fIch habe zu meiner eigenen Überraschung schon mehrfach festgestellt, dass meine erste Reaktion auf solche Bilder keineswegs Wut, sondern Fremdscham ist: Ich finde ein solches Motiv so primitiv, dass es mir im ersten Moment leid tut, wenn sich drei erwachsene Frauen so präsentieren. Leider entwickle ich dabei wohl Schamgefühle, die den Urheberinnen des Bildes ganz fremd sind.

Die Geschlechterforscherin Christa Binswanger kritisiert das Motiv:

„Ein Würstchen assoziiert ein männliches Glied, das ist sexistisch.“

Warum haben „starke Frauen“ es eigentlich nötig, mit Kastrationsanspielungen zu hantieren, um sich selbst für das Parlament zu empfehlen? Warum müssen sie zu diesem Zweck Männer als arme Würstchen präsentieren?

Dass den Frauen die sexuelle Dimension ihres Motivs natürlich klar war, machte eine von ihnen, Aline Trede, schon dadurch deutlich, dass sie einen Kritiker als „prüde“ hinstellte. Wie aber wäre es wohl einem männlichen Politiker ergangen, der Witze über die Verstümmelung weiblicher Sexualorgane gerissen und Kritikerinnen dann einfach als humorlos und prüde bezeichnet hätte?

Mit dem Meme aus der No-Hate-Speech-Bewegung hat dieses Schweizer Motiv zwei Aspekte gemein. Einerseits wird die Assoziation der Kastration so nahe gelegt, dass sie vermutlich einem Großteil der Betrachter in den Sinn kommt – andererseits bleiben die Bilder eben gerade noch so vage, dass ihre Urheberinnen sich darauf berufen können, diese Assoziation ganz gewiss nicht gewollt zu haben.

Trede: „Wer sich über den Slogan aufrege, fühle sich offensichtlich angesprochen.“ Und wenn ein Mann – so könnte sie weiter ausführen – hier an Kastration denke, projiziere er offenbar seine eigenen Ängste in ein ganz unschuldiges Motiv.

Ohne die kaum unterschwellige Kastrations-Witzelei aber ergibt das Schweizer Bild überhaupt keinen Sinn – es sei denn, mir als Deutschem ist ein innerer Zusammenhang zwischen dem Würstchengrillen und dem Nationalrat entgangen, der Schweizern jederzeit präsent ist. Das ist ein wesentlicher Unterscheid zu dem No-Hate-Speech-Motiv: Die Darstellung von Männerrechten als etwas Lächerlichem würde auch ohne Kastrationsanspielung funktionieren.

Das bedeutet aber auch: Die Gewaltanspielung war den No-Hate-Speech-Machern immerhin so wichtig, dass sie ganz ohne Not ein entsprechendes Motiv ausgewählt haben. Wie aber legitimieren sie es, eine unmotivierte Anspielung auf erhebliche Gewalt aus Steuermitteln öffentlich zu lancieren, sie als etwas Witziges zu präsentieren und das auch noch als Einsatz GEGEN den Hass zu verkaufen?

 

Die anderen haben angefangen!

Das Meme entstammt einer Sammlung, die mit dem Stichwort „Kontern“ überschrieben ist.  Das bedeutet: Die Motive werden nicht als Aggression, sondern als Gegenwehr präsentiert. Wogegen aber sich die Nutzer dieser Memes wehren, bleibt vage – gegen Hate Speech eben. Unter dem Stichwort Sexismus wird als Beispiel lediglich genannt, dass „das Netz“ getobt habe, „als Claudia Neumann als erste Frau ein EM-Fußballspiel kommentierte“. Was das eigentlich mit Männerrechten zu tun hat, und warum es umgehend mit Kastrationsphantasien gekontert werden muss, bleibt unklar.

Auf diese Weise aber bleibt Hate Speech ganz abstrakt. No Hate Speech liefert keine Beispiele, bei denen dann gefragt werden könnte, ob sie überhaupt etwa mit „Hass“ zu tun haben (zum Beispiel eben ein Engagement für Väterrechte) – oder bei denen gefragt werden könnte, wie repräsentativ sie eigentlich sind. Schon der Eindruck ist falsch, „Männerrechtler“ wären wesentlich verantwortlich für verbale Gewalt gegen Frauen im Netz – etwa die Hälfte aller frauenfeindlichen Äußerungen bei Twitter zum Beispiel stammt, wie schon vor Monaten der linksliberale Guardian berichtete, von Frauen.

Durch die inhaltsleere und abstrakte Rede von Hate Speech wird dieser Begriff schlicht als eine große Projektionsfläche aufgebaut – Hate Spech ist immer gerade das, was jemand, der ein Konter-Meme verschickt, dafür hält. Damit hat diese Rede nur eine Funktion: Jeder, der sich darauf bezieht, kann in dem Glauben agieren, dass die Gewalt grundsätzlich von den anderen ausginge und dass er sich bloß dagegen wehre.

So müssen auch die No-Hate-Speech-Verantwortlichen die eigene Gewaltfreude nicht als etwas Problematisches wahrnehmen – sie wehren sich ja nur, die eigentliche Gewalt kommt von den anderen.

Psychologisch ist das katastrophal. Es ist ja gerade ein wesentlicher Bestandteil von Gewaltdynamiken, dass jeweils die anderen für die Gewalt verantwortlich gemacht und die eigenen Gewaltakte zur bloßen Gegenwehr verklärt werden. No Hate Speech schreibt dazu auf Twitter:

Das ist in meinen Augen unehrlich oder sehr naiv. Wer ein entwürdigendes, erniedrigendes, gewaltverharmlosendes Meme in das Netz stellt, seine Versendung an einzelne sogar so unkompliziert wie möglich macht – der kann sich natürlich nicht darauf verlassen, dass dieses Meme ganz gewiss nur in dem Kontext verwendet wird, für den es gedacht ist.

 

Wie sich Menschenrechte auskontern lassen

Doch selbst wenn ich der NHS-Bewegung diese naive Gutwilligkeit zugestehe, fallen mir keine Situationen ein, in denen das Men’s Rights-Meme tatsächlich als Konter auf Hate Speech brauchbar wäre. Mit Hassrede assoziiere ich – wie wohl die breite Mehrheit der Menschen – verbale Gewalt, Gewaltdrohungen, Vergewaltigungsdrohungen, massive Beleidigungen, Verleumdungen.

Was wäre denn zum Beispiel, wenn jemand einer Frau droht, sie zu vergewaltigen – ihr vielleicht noch schreibt, dass er ihre Adresse herausfinden könne, oder ähnliches? Solche Anschreiben würde ich als erheblich gewalttätig bewerten, und vernünftig wäre es wohl, Screenshots der Drohungen zu machen und damit zur Polizei zu gehen. Stattdessen ein Bild mit einer alten Dame zu verschicken, die über Men’s Rights lacht, wäre ganz deplatziert.

Ähnliches gilt für massive, vielleicht auch sexistische oder sexualisierte Beleidigungen – warum sollte jemand auf die Idee kommen, als „Konter“ darauf das Estelle Getty-Bild zu versenden? Dasselbe bei Verleumdungen: Würde zum Beispiel jemand ins Blaue hinein behaupten, irgendeine bekannte Feministin hätte Sex mit Kindern, dann wäre eine solche Verleumdung eine Sache für die Polizei – das Getty-Bild als Konter wäre auch hier albern und unverständlich.

Dass das Bild sich in keinem dieser Fälle als Konter eignet, hat einen einfachen Grund. Die Rede von „Men’s Rights“, die hier als Hate Speech präsentiert wird, bezieht sich ausdrücklich auf einen rechtlichen Kontext. Wer Männerrechte einfordert, agiert also – ob er nun sachlich im Recht ist oder nicht – eben gerade nicht gewalttätig, sondern bezieht sich auf rechtsstaatliche Grundsätze. Das Meme eignet sich eben gerade nicht als Konter auf Hate Speech, auf verbale Gewalt – sondern lediglich als Mittel zur Erniedrigung von Menschen, die sich auf Rechte, auf Menschenrechte berufen.

Dass solche Bilder, die Gewalt eher fördern als verhindern, ihren Urhebern und Finanziers gleichwohl als legitim erscheinen, hat wohl zwei Gründe.

Erstens bleibt die Rede vom Hate Speech so abstrakt und unbestimmt, dass gar nicht auffällt, wie wenig dieses Meme – und viele andere Memes der Kampagne – tatsächlich als Konter auf verbale Gewalt geeignet ist.

Zweitens baut das Motiv auf vertraute Geschlechterklischees auf. Warum sollte es schließlich lächerlich sein, wenn ein Mensch sich auf Rechte beruft – selbst dann, wenn er damit objektiv daneben läge? Antwort: Als lächerlich kann es eben darum erscheinen, weil es hier ausdrücklich um Männer geht. Im Lichte eines konservativen Männerbildes erscheint es nämlich als Jammerei, wenn Männer sich auf Rechte berufen, anstatt sich tatkräftig für ihre Interessen einzusetzen. Eine Frau wiederum erscheint in diesem konservativen Schema auch dann noch harmlos, wenn sie eine große Waffe in der Hand hält – Sie will doch nur spielen.

Dass die Kampagne unterschwellig vormoderne Geschlechterbilder reproduziert, macht ihre Gewaltverharmlosung natürlich nicht besser. Würde so etwas von verhetzten Aktivistinnen aus kleinen politischen Splittergruppen ins Netz gestellt, wäre es schlimm genug. Dass es aber – und ausgerechnet von dem Ministerium, das für Jugend und Familien zuständig ist – aus Steuermitteln finanziert wird, und dass es einen breiten institutionellen Rückhalt hat: Das ist ein echter Skandal.

humanrights

Zugegeben: Dieses Bild stammt NICHT von der No-Hate-Speech-Seite, das habe ich selbst gemacht. Ich erlaube es der NHS-Bewegung hiermit aber ausdrücklich, es zu verwenden – solange sein ursprünglicher Sinn nicht verkehrt wird.

Ich hatte zu diesem Thema hier schon mehrfach Texte veröffentlicht:

Menschenrechte statt Hass!

Wie eine Kampagne gegen „Hate Speech“ Hass fördern kann

No Hate Speech: Wie Bundesministerien die Feindschaft im Netz fördern


Einsortiert unter:Männer Frauen, Medien, Politik

Viewing all articles
Browse latest Browse all 356