Ein Nachtrag, der wichtig ist und den ich deshalb vorangestellt habe: Der Brief, den ich hier geschrieben hatte, hatte erfreulichere Folgen, als ich gedacht hätte. Ich bekam sehr schnell eine Antwortmail und auch eine entsprechende Nachricht der HRInfo-Redaktion auf Twitter, die mich auf die Mail hinwies. Die Kommentarfunktion sei nach wie vor geöffnet. Ich zitiere aus der Mail:
„Ich gebe zu, der Hinweis „Comments closed“ ist etwas missverständlich, da es sich um die generelle Kommentarfunktion der Plattform handelt, die wir aus Gründen der Programmierung geschlossen haben. Wir nutzen stattdessen als Kommentarfunktion das Tool „Scribble Live“ – das ist das Fenster, in dem Sie richtigerweise den Kommentar von Marsaffe (und auch die Antwort von StreitEngel darunter) gefunden haben. Genau in diesem Fenster steht es Ihnen und jedem anderen Nutzer immer noch und jederzeit frei, zu diskutieren und Kritik an uns, dem Projekt oder Frau Wizorek zu äußern.“
Ich wiederum gebe zu, dass ich dann nochmal probiert habe, die Kommentarfunktion zu finden, aber weiterhin nur die Nachricht „Comments Closed“ bekommen habe. Als ich auf einen anderen Browser gewechselt bin, von Chrome zu Edge, funktionierte es aber dann. Die Darstellung im Folgenden, das Kommentare nicht mehr möglich seien, stimmt so also nicht – es war eher ein technisches Problem.
Die inhaltliche Kritik daran, dass ein Öffentlich-Rechtlicher Sender sich kritiklos einen politischen Aktivismus zu eigen macht, behalte ich bei. Dass aber eine sehr schnelle, auf meinen zum Teil ja durchaus scharfen Brief auch freundliche und verbindliche Antwort kam, die ein wesentliches Problem sogar löste – das finde ich sehr gut.
Abschließend heißt es in der Mail: „Ich freue mich auf weitere Wortmeldungen von Ihnen zu Frau Wizorek oder anderen Themen auf unserer Seite.“ Das verbunden mit der Aufforderung, eine „Streitregel“ zu formulieren. Diese Aufforderung aktiviert etwas zu sehr den Pädagogen in mit, und den versuche ich im Blog ja im Zaum zu halten. Gleichwohl ist das eine deutlich positivere Reaktion als die, die ich erlebt habe, wenn ich vorher mal auf Berichte, Sendungen, Artikel oder ähnliches reagiert hatte.
Lucas Schoppe
Ein Brief an die #besserstreiten-Redaktion beim Hessischen Rundfunk
Sehr geehrte Damen und Herren,
warum ich Ihnen einen Brief schreibe und nicht einfach einen Kommentar auf Ihrer Webseite hinterlasse, wird sicher gleich klar werden.
Besser streiten – das verkünden Sie auf Ihrer Seite, und unter diesem Reihentitel veröffentlichen Sie einen ermutigenden Artikel über Anne Wizorek.
Argumente auszutauschen, anstatt sich einfach gegenseitig als „Sexisten“ bzw., korrekt gegendert, als „Sexist*innen“ darzustellen – das finde ich auch richtig. Im Text selbst wird es dann noch besser:
„Augenhöhe“, ohne „einfach nur alles abzubügeln“, „empathisch“ – das klingt alles viel besser als zum Beispiel das, was ich von Frau Wizoreks Mit-Grimme-Preisträgerin Jasna Strick noch im Kopf habe.
Gummibärensaft – das ist der Zaubertrank aus der alten Disney-Kleinkinder-Serie „Die Gummibärenbande“. Statt infantiler und stärkender Freude an Männertränen nun also Bereitschaft zur Empathie und zum sachorientierten Streit: Der Aufschrei-Feminismus wird erwachsen.
Dachte ich.
Nun hat am 25. Oktober, also wohl etwa zwei Wochen nach Veröffentlichung des Artikels, noch jemand einen recht kritischen Kommentar geschrieben. Dort bezeichnete er Frau Wizoreks Selbstdarstellung als „reines Lippenbekenntnis“. Bei Twitter würde Frau Wizorek auf sachliche Nachfragen damit reagieren, dass sie den Frager „blockt“ – sie würde zudem mit unseriösen Daten (etwa einer Falschangabe über ca. 200 Vergewaltigungen auf dem Oktoberfest) oder unseriösen Quellen agieren. Trotzdem würde sie – und das ist offenbar der Punkt, der den Kommentator besonders stört – „von den Medien hofiert, eingeladen und im Gespräch gehalten“.
Da zuvor für den sachorientierten Streit in den insgesamt recht desinteressiert wirkenden Kommentaren eine wichtige Grundlage fehlte, nämlich der sachliche Meinungsunterschied, war nun also endlich die Gelegenheit da, das Seitenmotto lebendig werden zu lassen. Doch was geschah noch am selben Tag?
Noch am selben Abend war der Kommentar nur noch im Archiv zu lesen, der normalen Seite ist nicht einmal mehr anzumerken, dass es hier jemals Kommentare gab. Was wollen Sie uns, den Gebührenzahlern, damit eigentlich mitteilen?
Frau Wizorek ist sehr interessiert am Austausch mit Menschen anderer Meinung – und wer das anders sieht, soll die Klappe halten?
Besser streiten kann man dann, wenn alle dieselbe Meinung haben?
Wer nichts sagt, kann auch nicht schlecht streiten?
Oder denken Sie bei der Verwendung des Begriffs „Augenhöhe“ an unsere Augen und an Ihre Hühneraugen?
Um Missverständnissen vorzubeugen. Frau Wizorek hat gewiss jedes Recht darauf, sich selbst ein wenig idealisiert wahrzunehmen, so wie viele andere Menschen das ja auch tun. Ich selbst habe sie auf Twitter oder anderswo niemals angeschrieben, gehe im Netz und außerhalb höflich mit meinen Mitmenschen um und bin bei Twitter trotzdem von ihr geblockt, warum auch immer. Daher kommt mir ihr Bekenntnis zum sachlichen Dissens auch seltsam vor, und ich habe sie aus Fernsehdiskussionen auch ganz anders in Erinnerung.
Eben deshalb hätte ich es ja auch so schön gefunden zu erleben, dass dieser Eindruck falsch ist.
Was das Hantieren mit Falschinformationen angeht, ist das schon etwas ärgerlicher. Auch ich habe, als Trennungsvater, Themen, die mir enorm wichtig sind – trotzdem verzichte ich bei ihrer Darstellung auf stützende Informationen, wenn ich sie nicht verlässlich bestätigen konnte. Es zerstört Vertrauen, mit Falschinformationen zu arbeiten – und ich finde, die öffentliche Streitkultur leidet ohnehin zunehmend darunter, dass politische Gegner nicht einmal mehr ein Grundvertrauen zueinander haben und sich daher als Feinde wahrnehmen.
Ich würde also selbst nicht mit beliebigen Zahlen oder zurechtgebogenen Informationen hantieren, nur um meine Position zu stützen, muss aber einräumen: Solange Frau Wizorek damit niemanden verleumdet, sie keine Volksverhetzung betreibt oder sonstige Rechtsverletzungen begeht, hat sie das Recht dazu, das zu tun.
Hier hat der Gesetzgeber offenbar ein großes Vertrauen in die offene Debatte, die Falschinformationen oder verzerrende Darstellungen korrigieren könne. Wer die Wahrheit schon mal zu eigenen Gunsten dehnt, muss in einer solchen Debatte dann eben mit dem Verlust an Vertrauenswürdigkeit leben: Das ist wohl in den Augen des Gesetzgeber – und ganz bestimmt in meinen Augen – eine bessere Sanktion als eine staatliche Strafe.
Nur: Wenn mit den weit überlegenen, aus Gebühren stammenden Mitteln der öffentlich-rechtlichen Sender ein geschöntes Bild verbreitet wird, wenn eine bessere Streitkultur am Anfang der Seite mit großem Gestus verkündet und am Ende der Seite dann im Kleingedruckten wirksam verhindert wird: Dann wird eben diese Möglichkeit der Korrektur im öffentlichen Diskurs unterbunden. Es ist eben ein Unterschied, ob Frau Wizorek sich auf einem privaten Blog darstellt oder auf der Seite des Hessischen Rundfunks.
Ich kann das auch noch einmal anders zuspitzen.
Ich gestehe Ihnen prinzipiell durchaus zu, Menschen hinter’s Licht zu führen. Wer Zeit und Geld investiert, um sich von Zeitungen, Zeitschriften, in Sendungen, auf Webseiten oder woanders mit fehlerhaften Informationen in die Irre führen zu lassen – wer nicht versucht, sich auch seriös zu informieren – der ist dafür selbst verantwortlich. Eine staatliche Zensur, die nur staatlich geprüfte Informationen zuließe, wäre die deutlich schlechtere Alternative.
Ich gestehe es Ihnen auch zu, Menschen zu veräppeln, vielleicht auch durchaus agressiv (obwohl dann „verarschen“ vermutlich der bessere Begriff wäre). Satiren oder Parodien wären ohne dieses Recht schließlich überhaupt nicht möglich.
Ich muss Ihnen nach der derzeitigen Rechtslage auch zugestehen, dass Sie sich durch Gebühren aller Bürger finanzieren, die wir zu entrichten haben, ob wir wollen oder nicht. Dies selbst dann, wenn wir von Ihren Produkten gar nichts wissen wollen.
Jeden einzelnen der drei Punkte gestehe ich Ihnen also zu, nur: Alle drei auf einmal finde ich…schwierig. Menschen zu täuschen, sie zu verarschen und ihnen dafür dann auch noch Gebühren abzuverlangen, die sie gar nicht verweigern dürfen: Ich glaube, Ihnen selbst fällt auf, dass das ein unanständiges Verhalten ist.
Gerade weil Sie die Gebühren ja durch einen „Bildungsauftrag“ legitimieren, haben Sie bei vielen Menschen noch das Image, dass Ihre Informationen verlässlicher sind als die in irgendeinem privaten Blog. Dass Sie als Öffentlich-Rechtliche dem nicht gerecht werden, und in vielen Fällen nicht (siehe unten), finde ich schwerwiegend.
Missverstehen Sie mich bitte nicht. Ich gestehe Ihnen jedes Recht zu, Mist zu produzieren – aber ich gestehe Ihnen nicht das Recht zu, mich unter Androhung einer Gefängnisstrafe (!) zu zwingen, diesen Mist dann auch zu kaufen. Ich würde daher gern von Ihnen wissen, welche Möglichkeiten Menschen haben, die Gebühren an Sie nicht mehr entrichten zu müssen.
Denn wer einen Auftrag hat, dafür Geld einsteckt und dann einfach etwas ganz anders liefert – der verliert natürlich seinen Anspruch auf das Geld.
Mit trotzdem freundlichen Grüßen
Lucas Schoppe
Hier sind Texte zu den vielen Fällen, die ich oben ansprach:
Plädoyer für eine zivile Debatte – Ein offener Brief an den SWR
Was hat das Deutschlandradio eigentlich gegen Menschenrechte?
Öffentlich-rechtliche Volksverhetzung
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