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Frau Ministerin und die „abfallenden Schwänze“

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Zugegeben: Die Überschrift ist eher abschreckend, und sie klingt dunkel nach einer längst und zu Recht vergessenen Punk-Band aus den Achtzigern. Vor allem: Wenn jemand durch die Kanalisation der Internet-Aggressionen schwimmt und hinterher stolz vorzeigt, was er da gefunden hat, ist das gemeinhin nicht besonders attraktiv.

Zudem schreibe ich eigentlich gerade an einem Text über den Film „Tschick“, und der Text soll zumindest fertig sein, solange der Film noch in den Kinos ist. Die Geschichte zweier Jungen, die eben nicht durch die Kanalisation schwimmen, sondern in einem geklauten Lada durch die deutsche Provinz fahren – und eine Geschichte, die viel aussagt über die Situation, in der sich Jugendliche heute in Deutschland finden.

Wenn ich trotzdem hier erst einmal einen Text über stumpfe, sexualisierte Internet-Aggression veröffentliche, dann deshalb, weil die Beispiele in diesem Text etwas Besonderes an sich haben: Diese stumpfe, sexualisierte Internet-Aggression ist aus Steuermitteln finanziert, und in diesem Sinn ist sie unser aller Werk. Daher lohnt der Blick darauf, auch wenn sie so blöd ist, dass es angenehmer wäre, wegzuschauen.

Die deutsche Version der Kampagne No Hate Speech wird im laufenden Jahr mit etwa 170.000 Euro aus Steuermitteln finanziert (hier,  S. 19), für das nächste Jahr ist die Fortsetzung der Finanzierung geplant. „Sein Schwanz fiel ab, weil eine Frau Wörter im Internet geschrieben hat“: Es ist ausgerechnet das Familien- und Jugendministerium, das dümmlich-sexistische Bildchen wie dieses finanziert und ihre Verbreitung fördert, angereichert mit einem neckisch-frühpubertären Hinweis auf den „Weltnudeltag“. Ein ernsthaftes männliches Pendant zum Weltfrauentag wäre schließlich auch lächerlich.

Ich hatte  auf Twitter daher einmal beim Ministerium nachgefragt:

Immerhin kam am nächsten Tag eine Antwort:

Eigenständigkeit setzt schließlich auch Verantwortbarkeit voraus, also fragte ich noch einmal weiter:

Darauf kam dann nur noch ein Hinweis auf die für die Kampagne verantwortlichen „Neuen Deutschen Medienmacher“, der sich mit „Wir haben damit weiter nichts zu tun“ übersetzen lässt.

Das stimmt natürlich so nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ministerium ebenso nonchalant auf die Eigenständigkeit der Kampagne verwiesen hätte, wenn dort jemand aus Steuermitteln primitive Sex-und-Gewalt-Witzchen nicht über Männer, sondern über Frauen veröffentlicht hätte.

Über die Verantwortung für Steuermittel hinaus ist die Familien- und Jugendministerin Manuela Schwesig zudem in der Kampagne besonders präsent. Sie hat sie – wie das Ministerium stolz berichtet – in Deutschland gestartet, und wer den Twitter-Account von NoHateSpeechDE öffnet, begegnet sofort ihrem Bild.

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Wer herunterscrollt, findet zur Zeit dann auch bald darunter das oben verlinkte Filmchen über den abgefallenen Schwanz.

Dabei sind nicht allein die unmotivierte Sexualisierung und die unverhohlene Gewaltfreude primitiv, sondern auch die erhebliche Klischeehaftigkeit. Star Trek-Figuren werden ohnehin mit männlichen Geeks assoziiert. Unterschwellig baut das Witzchen zudem auf überkommenen Geschlechterbildern auf – was ein echter Mann ist, der regt sich doch nicht über etwas auf, das eine Frau gesagt hat.

Die Witzelei unterstellt vor allem, Männer würden sich nicht etwa über den Inhalt von Äußerungen ärgern – sondern einfach darüber, dass eine Äußerung von einer Frau getätigt worden sei.

Tatsächlich hatten auf Twitter kurz zuvor einige Männer gegenüber NoHateSpeechDE ihren Ärger geäußert – über ein ebenso dümmlich sexualisiertes, gewaltverniedlichendes Bildchen, das ein Engagement für die Rechte von Männern lächerlich machte. Christian Schmidt vom Blog Alles Evolution hatte eine Umfrage dazu gestartet, nach der über 90% der Antwortenden das Bild sexistisch fanden.

Keine Antwort. Für NoHateSpeechDE ist das Bild eben deshalb ganz in Ordnung, weil es sich gegen Männer richtet – würde es andere Gruppen attackieren, würden es gewiss auch Schwesig und ihre Neuen Deutschen Medienmacher  als Beispiel für Internet-Hass betrachten.

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Rechts oben das Originalbild von NoHateSpeechDE.  Die Zusammenstellung der Varianten hab ich dann selbst gebastelt, nach der Idee eines Kommentars hier. NoHateSpeechDE darf sie gern verwenden, und ich verlange nicht mal, dafür etwas vom Geld abzubekommen…

Im ehrenwerten Kampf gegen den Hass ist nicht einmal eine glaubwürdige Legitimation der gruppenbezogenen Feindseligkeit nötig. Die aggressiven, lächerlich machenden, abwertenden Bilder, die sich gleich haufenweise auf der Kampagnenseite finden, werden dort als „Konter“ hingestellt – sie seien selbstverständlich kein Ausdruck von Hass, sondern sollten nur helfen, sich gegen Hass zu wehren. Natürlich könnte mit eben derselben Argumentation auch irgendein Rassist abwertende, gewaltverliebte Bilder über Schwarze ins Netz stellen und betonen, sie würden nur als Konter benutzt, wenn Schwarze gegenüber Weißen aggressiv würden.

 

….dem Wohle des Volkes, außer…

So spritzt ausgerechnet das Familien- und Jugendministerium gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ins Netz und verkauft sie als Kampf gegen den Hass. Gravierend ist gar nicht einmal, dass diese Bildchen tatsächlich an Einzelne geschickt werden können – auch wenn sie dafür sorgfältig vorbereitet sind. Gravierend ist vor allem die Botschaft, dass es Gruppen von Menschen gäbe, die Schutz und Empathie verdient haben – und andere, die es nicht haben. Dass diese Politik faschistoid ist, fällt den Verantwortlichen wohl vor allem deshalb nicht auf, weil für sie die Nazis grundsätzlich immer nur die anderen sein können.

Ich hätte mir, trotz allem, noch vor einem Jahr nicht vorstellen können, dass politische Debatten einmal von einem Bundesministerium auf die primitivste nur mögliche Formel zurechtgestutzt werden würden – darauf, dass WIR für die Liebe und DIE ANDEREN für den Hass stehen.

Dieses primitive Freund-Feind-Denken, das sich eben auch in der Primitivität der Bildchen äußert, verlässt den Raum des Politischen, wenn dieser demokratisch verstanden wird – einen Raum der Vermittlung verschiedener Interessen, die allesamt mehr oder weniger legitim sind. Für die Macher der Kampagne sind die Hater – seien es Männer, seien es Feministinnen, die das muslimische Kopftuch ablehnen – nicht durch Interessen motiviert, sondern durch irrationale Gefühle des Hasses.

Das Ministerium agiert in der Finanzierung solcher Aggressionen einen Konflikt aus, der sich aus seiner eigenen Struktur ergibt, der dort aber offenbar nicht thematisiert werden kann. Als Ministerin ist Schwesig dem „Wohle des deutschen Volkes“ verpflichtet, des ganzen Volkes, uneingeschränkt – ihr Ministerium ist aber zugeschnitten nur auf Teile dieses Volkes, auf Familien, Frauen, Jugend und Senioren.

Schwesigs Vorgängerin Kristina Schröder hatte sich um einen Ausgleich dieses Konflikts bemüht, sich zum Beispiel als Frauenministerin vom Druck feministischer Lobby-Gruppen distanziert. Dafür war sie erheblich angefeindet worden. Grüne und andere inszenierten eine Kampagne „Nicht meine Ministerin“ gegen sie – was durchaus einen exklusiven Besitzanspruch auf die Politik dieses Ministeriums ausdrücken sollte. Im Spiegel beschimpfte die Kolumnistin Silke Burmester Schröder gar dumpf und maßlos als „Feindin aller Frauen“. 

Manuela Schwesig agiert anders als Schröder, nämlich bemerkenswert distanzlos auch gegenüber extremen aktivistischen Positionen. Als Gina-Lisa Lohfink wegen ungerechtfertigter Vergewaltigungs-Beschuldigungen der Prozess gemacht wurde, erklärte sich Schwesig ausdrücklich zum Mitglied im TeamGinaLisa – obwohl solche Unterstützerinnen regelmäßig vor dem Gericht standen, ausdrücklich ihren Hass auf den Rechtsstaat verkündeten und mit Symbolen des RAF-Terrorismus hantierten.

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Dass die Ministerin hier wie bei der Verbreitung von dumpf-sexualisierter Menschenfeindlichkeit im Netz so aus der ministeriellen Rolle fällt, ist nicht allein ihr persönliches Problem, sondern auch Konsequenz der Fehlkonstruktion ihres Ministeriums. Den dort eingebauten Konflikt zwischen der Verantwortung für alle und der besonderen Anfälligkeit für die Einflussnahme feministischer Lobbygruppen verdeckt Schwesig, indem sie die ministerielle Verantwortung für alle beiseite wischt.

Sie identifiziert sich mit einem irgendwie linken, irgendwie progressiven Aktivismus, nutzt aber zugleich die besonderen Machtmöglichkeiten, die sich durch die Gelder und die Infrastruktur eines steuermittelfinanzierten Bundesministeriums ergeben. In der NoHateSpeech-Kampagne richtet sie diese Möglichkeiten gegen Einzelne und gegen Gruppen, die nicht annähernd eine Chance haben, dagegen wirkungsvoll zu kontern. Das telegene Selbstbild als Aktivistin und als Förderin von Aktivistinnen lässt dabei wiederum  keinen Platz für die Frage nach der Verantwortung einer Bundesministerin.

 

Wer mich als gewalttätig verleumdet, kriegt was auf die Fresse!

Mit der überlegenen Definitions- und Diskursmacht des Ministeriums können ausgerechnet die finanziell und infrastrukturell so hoffnungslos unterlegenen Gegner als Hater bloßgestellt, kann die Aggression gegen sie legitimiert werden. Solche projektiven Strukturen lassen sich nur aufrecht erhalten, wenn offene Debatten vermieden werden und die Hater gar nicht ernsthaft zu Wort kommen.

Ich hatte auf das Familien- und Jugendministerium freundlich geantwortet – und das Interesse unterstützt, etwas gegen Aggressionen im  Netz zu tun.

Darauf keine Antwort mehr: Die Definition, wer für den Hass stehe und wer für die Liebe, wird selbstverständlich nicht zur Diskussion gestellt. Das ist schade. Ich hätte nämlich gern noch aufgeschrieben, dass es schon ein guter Anfang wäre, sich einfach wieder auf die Goldene Regel zu beziehen. Sie findet sich in ähnlicher Form in ganz unterschiedlichen Kulturen und ist gleichsam Basiselement eines stabilen Zusammenlebens in größeren Strukturen.

Am Beispiel hätte sich das gut durchspielen lassen:

„Fänd ich es in Ordnung, wenn jemand aus Steuermitteln über ‚abfallende Titten’ und einen ‚Weltmuschitag’ witzeln würde? Nein? Dann ist das Bild hier wohl auch nicht in Ordnung.“

Die Projektion aber, dass die anderen, die Gegner, die Hater immer auf der Seite der Macht stünden, dass sie also keineswegs mit denselben Maßstäben zu messen seien wie wir, die emanzipatorischen und liebevollen Kräfte – diese Projektion verhindert es gerade, die so entscheidend wichtige Goldene Regel noch für relevant zu halten.

Die eigene Verrohtheit und Primitivität wird dann ausgerechnet in die Menschen phantasiert, die von ihr betroffen sind: In der Welt von NoHateSpeechDE ist Gewalt geil und legitim, solange sie nur die Richtigen trifft. Wer aber diese Gewalt kritisiert, muss damit rechnen, schnell selbst auf der Seite der Hater zu stehen. Wer mich als gewalttätig verleumdet, kriegt was auf die Fresse!

Warum aber stört sich kein Kabinettskollege an den Netz-Aggressionen, denen ausgerechnet das für Familien und Jugend zuständige Ministerium hohe Summen aus Steuermitteln besorgt? Finanzminister Wolfang Schäuble beispielsweise hatte im September immerhin Justizminister Heiko Maas öffentlich den Rücktritt nahegelegt, weil der gegenüber der Anti-Rechtsstaats-Polemik des „TeamGinaLisa“ nicht distanziert genug gewesen sei. Schon damals hatte Arne Hoffmann kommentiert:

„Bemerkenswert bleibt, dass über die Rolle von Manuela Schwesig in der Affäre Lohfink eisern geschwiegen wird, obwohl sie sich noch deutlich weiter aus dem Fenster gelehnt und lauter und stärker Partei ergriff als ihr Parteikollege Maas.“ 

Diesen Teflon-Effekt verdankt Schwesig wohl der besonderen Stellung ihres Ministeriums, das Gerhard Schröder ja noch als Ministerium für „Familie und Gedöns“ bezeichnet hatte.  Es scheint, dass das Ministerium noch immer nicht ganz ernst genommen wird – nicht ernst genug jedenfalls, seine Ministerin nachdrücklich mit ihrer Verantwortung zu konfrontieren.

Schäuble verhält sich damit gegenüber Schwesig so wie ein sehr konservativer Ehemann, der seiner Frau fraglos ein sehr teures Hobby finanziert, damit sie beschäftigt und zufrieden ist und ihn nicht bei seinen wirklich wichtigen Angelegenheiten stört – bei den Männerangelegenheiten eben.

Auf der Basis solch einer längst überlebten Geschlechterordnung kann NoHateSpeechDE dann verantwortungsbefreit Aggressionen ins Netz schütten, dafür Geld einstecken –  und kann schließlich ebenso wenig dafür wie die für die Finanzierung verantwortliche Ministerin. Die traditionelle Rolle ist eben auch mit traditionellen Privilegien verbunden – die NoHateSpeechDE jedoch projektiv, wie diese Kampagne nun einmal ist, und selbstverständlich nur bei anderen entdeckt.

nohatespeech_sexismus-privileg

Und nun hoffe ich einfach, nicht mehr weiter in Kanalisationen tauchen zu müssen, sondern endlich ein bisschen durch die Filmlandschaft fahren zu können.


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