Über die seltsamen öffentlich-rechtlichen Reaktionen auf einen Tag der Männergesundheit
Im November gibt es gleich zwei Tage, an denen international die Gesundheit von Jungen und Männern im Mittelpunkt steht: den Weltmännertag am 3. November, dessen Schirmherr Michail Gorbatschow ist und der im Jahr 2000 zum ersten Mal in Wien veranstaltet wurde, und den Internationalen Männertag am 19. November, der seit den Neunziger Jahren weltweit in über 70 Ländern begangen wird.
In Großbritannien beispielsweise hat Premierministerin Theresa May ausdrücklich ihre Unterstützung für den Internationalen Männertag erklärt.
„Ich erkenne die Wichtigkeit der Themen an, die dieses Ereignis herausstellen soll, unter anderem die Männergesundheit, die Selbstmordrate bei Männern und die schlechteren schulischen Ergebmisse von Jungen – dies sind wichtige Themen, die mit Bedacht angesprochen werden müssen.“
Dass Männer und Jungen tatsächlich spezifische gesundheitliche Risiken tragen, müsste eigentlich mittlerweile allgemein bekannt sein: Ihre Lebenserwartung ist deutlich geringer als bei Frauen, ohne dass das so auf biologische Faktoren zurückzuführen wäre – die Selbstmordrate ist bei Männern wie bei Jungen etwa drei Mal so hoch wie bei Frauen und Mädchen – von vielen sozialen Risiken wie der Obdachlosigkeit sind Männer deutlich stärker betroffen als Frauen – die Berufe mit den größten Gesundheitsgefahren sind typische Männerberufe – Unterstützungsangebote für Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt richten sich fast ausschließlich an Frauen, obwohl auch viele Männer und Jungen unter ihnen sind – Jungen sind auf Haupt- und Förderschulen überrepräsentiert, auf Gymnasien und im Abitur unterrepräsentiert – Väter sind rechtlich, in der Gerichtspraxis und in den zuständigen Ämtern weiterhin erheblich gegenüber Müttern benachteiligt.
Kurz: Ein Weltmännertag oder ein Internationaler Männertag drücken keineswegs aus, dass allein Männer und Jungen Opfer sozialer und gesundheitlicher Benachteiligungen sind – aber sie weisen darauf hin, dass es solche Benachteiligungen gibt, die spezifisch Männer und Jungen treffen.
Umso seltsamer ist es, dass es viele Akteure in den Medien gibt, die solch einen Tag als erhebliche Provokation wahrnehmen.
Was ist eigentlich so lustig an der Gesundheit von Jungen und Männern?
Einer der besten Beiträge zum Thema in den sozialen Medien kommt, wie häufig, von der Autorin, Zeichnerin und Psychologin Erzählmix:
Die Vorhersage, dass der Hinweis auf spezifische Probleme von Männern oft bloß Ablass für dümmliche Witze sein würde, wurde schnell bestätigt. Wer großes Vertrauen in die Seriosität der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten hat, hatte aber wohl kaum erwartet, wie sehr die sich bei den Witzeleien in den Vordergund spielen würden.
Die Tagesschau beispielsweise machte sich mit einem Beitrag zum „Mansplaining“ über Männer lustig und bezog diesen Beitrag – damit das ganz bestimmt auch alle verstehen – bei Twitter ausdrücklich auf den Weltmännertag.
An dem Tag, an dem spezifische Gesundheitsrisiken von Jungen und Männern zur Sprache kommen sollen, kommt es der Tagesschau seltsamerweise vor allem auf eines an: dass Männer ohnehin schon viel zu viel reden würden.
Eher noch seltsamer ist das ZDF, das bei Twitter ein witziges Filmchen postet, in dem unter dem Hashtag #Weltmännertag eine Frau einen Mann vermöbelt.
Dass das ZDF beim nächsten Internationalen Frauentag ein witziges Filmchen bringt, in dem ein Mann mit einer Frau dasselbe macht, ist wohl trotz der allgemein bekannten Humorbereitschaft des Senders eher unwahrscheinlich.
Der NDR wiederum versteht den Weltmännertag, an dem es ja unter anderem um die deutlich höhere Selbstmordquote von Jungen geht, als geeigneten Anlass für lustige Zwergenwitze.
Dass sich Menschen über einen Tag lustig machen, der anderen Menschen wichtig ist – geschenkt. Niemand ist verpflichtet, etwas ernst zu nehmen, nur weil es anderen Menschen ernst ist. Wenn es um gesundheitliche Fragen, gar um Leben und Tod geht, wirkt Spott natürlich schnell deplatziert – die Gelegenheit ist aber eben auch besonders reizvoll.
Wenn solch ein Spott, der Verachtung für die Anliegen anderer demonstriert, allerdings von gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten verbreitet wird, dann ist er nicht mehr legitim. Menschen sind hier immerhin verpflichtet, die öffentliche Belustigung über ihre dringlichen gesundheitlichen Anliegen auch noch selbst zu finanzieren.
Was ist denn aber für die Tagesschau-Redaktion, für den NDR oder für das ZDF an der Gesundheit von Jungen und Männern so lächerlich, dass sie es für wichtig halten, darüber betont billige Witze zu machen?
Der NDR-Tweet verweist auf einen anderen Tweet des Satire-Magazins extra3 zum Frauentag:
Das ist ein Leitthema vieler Stellungnahmen zum Weltmännertag in sozialen Netzen: Ein Weltmännertag sei lächerlich, weil doch eigentlich jeder Tag ein Tag der Männer sei. Stellvertretend Katharina Nocun, die ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei:
Denn natürlich:
Die zementierte Phantasie von männlicher Macht und Privilegiertheit kann allerdings nicht die Ursache für die Empathieverweigerung sein – das Ursache-Folge-Verhältnis ist schließlich umgekehrt. Wer Männer und Frauen, Jungen und Mädchen gleichermaßen empathisch wahrnimmt, der wird schnell merken, dass auch Männer und Jungen spezifische Probleme haben. Nur wer diese Schwierigkeiten nicht zur Kenntnis oder nicht wichtig nimmt, kann Männer ungebrochen und selbstverständlich als privilegierte Herrscher hinstellen, und Jungen als Herrscher im Wartestand.
Die Rede vom „Patriarchat“, die eine irritierende Empathieverweigerung legitmieren soll, ist selbst also schon Folge dieser Verweigerung. Worin sich die spezifischen Schwierigkeiten der Empathie mit Männern oder Jungen begründen, bleibt also unklar. Klar ist nur, dass eine Beschwörung männlicher Herrschaft diese Begründung nicht leisten kann.
Doch auch wenn den witzigen Beiträgern in ARD, ZDF und anderswo die Gründe für ihre Empathie-Probleme nicht klar sind, müssten sie doch zumindest das Gefühl haben, dass die öffentliche Demonstration dieser Schwierigkeiten auch ihnen selbst schaden könnte. Dass ihnen dieses Gefühl fehlt, zeigt, wie salonfähig auch erhebliche Abwertungen von Jungen und Männern im öffentlichen Diskurs sind.
Das betrifft allerdings, und glücklicherweise, nicht alle öffentlichen Institutionen – auch wenn das Bild irritierend an die üblichen Verdächtigen erinnert…
Das Zitat von Theresa May habe ich selbst übersetzt. Hier ist das Original:
“I recognise the important issues that this event seeks to highlight, including men’s health, male suicide rates and the underperformance of boys in schools, these are serious issues that must be addressed in a considered way.”
Einsortiert unter:Männer Frauen, Medien, Politik, Satire
