Was ist eigentlich so modern an der Alleinerziehung?
Vor drei Wochen war ich bei einem Familienkongress in Halle dabei, den der Väteraufbruch für Kinder gemeinsam mit dem Verband berufstätiger Mütter veranstaltete. Ich finde eine solche Zusammenarbeit sehr sinnvoll. Berufstätige Mütter haben schließlich ein offensichtliches Eigeninteresse an Vätern, die selbst für ihre Kinder sorgen wollen. Väter wiederum, die für ihre Kindern sorgen wollen, haben ein erhebliches Interesse an Müttern, die im Berufsleben stehen und die Verantwortung für die finanzielle Reproduktion der Familie nicht auf die Väter abwälzen.
Eine der Vortragenden war Alexandra Langmeyer-Tornier vom Deutschen Jungendinstitut in München. Sie berichtete über „kindliches Wohlbefinden“ in verschiedenen „Wohnarrangements nach Trennung und Scheidung“. Im Vortrag wurde klar, dass nach den bisherigen Ergebnissen in Deutschland die Doppelresidenz – also das sogenannte „Wechselmodell“, in dem Kinder wechselweise bei Vater und Mutter leben – dem Residenzmodell überlegen ist, in dem ein Kind bei nur einem Elternteil (normalerweise der Mutter) lebt.
Langmeyer-Tornier formulierte vorsichtig – die Datengrundlage in Deutschland ist schwach, weil hier nur knapp mehr als 4% der Kinder in einer Doppelresidenz leben, während sie beispielsweise in Belgien oder Italien mittlerweile Standardmodell ist. Trotzdem zeigt sich die Doppelresidenz in Studien im Hinblick auf das kindliche Wohlbefinden entweder überlegen, oder sie kommt dem Residenzmodell zumindest gleich. Im internationalen Vergleich werden die Ergebnisse noch deutlicher – hier gibt es Studien, aus denen hervorgeht, dass das Doppelresidenzmodell als einziges im Hinblick auf das kindliche Wohlbefinden nicht gegenüber dem Zusammenleben beider Eltern mit dem Kind abfällt.
Dass hingegen das kindliche Wohlbefinden im Residenzmodell, also in der Regel in der sogenannten „mütterlichen Alleinerziehung“, am größten wäre – das lässt sich an diesen Studien nicht belegen.
Trotzdem ist es ausgerechnet eben dieses Modell, das von der deutschen Politik und insbesondere von „Familienministerium“ gegenüber anderen Modellen erheblich bevorzugt wird. Das Ministerium unterrichtet Eltern beispielsweise nach Trennungen ausschließlich über das Betreuungsmodell der „Alleinerziehung“.
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Gerade haben daher sechs Verbände, darunter der Väteraufbruch und der Verband berufstätiger Mütter, mit einem offenen Brief an Bundesministerin Schwesig gewandt und sie aufgeordert, die Bevorzugung der „Alleinerziehung“ zu beenden und die Resolution 2079 (2015) des Europarats umzusetzen. Die nämlich fordert, unter anderem, eine völlige Gleichberechtigung der Eltern im Hinblick auf das Recht und die Möglichkeit zur Kindessorge sowie die Doppelresidenz als Standardmodell.
Warum aber hält die deutsche Politik, trotz eindeutiger wissenschaftlicher Ergebnisse und deutlicher Stellungnahmen auf europäischer Ebene, so verbissen an diesem Modell als Standardmodell nach Trennungen fest? Manche Mütter – nämlich Mütter mit zahlungskräftigen Vätern – können sich in der gegenwärtigen Gesetzeslage sogar ausrechnen, dass sie in der „Alleinerziehung“ Vorteile haben, die sie in der gemeinsamen Erziehung mit den Vätern nicht hätten: Der Staat lobt also regelrecht Prämien für Trennungen aus.
Warum es eigentlich gar keine Alleinerziehung gibt
Der Verein Gleichmaß argumentiert – wie die Eltern für Kinder im Revier – ohnehin dafür, statt dem Begriff der „Alleinerziehung“ den der „Getrennterziehung“ zu benutzen, weil der herkömmliche Begriff ausblende, „dass es in unzähligen Trennungsfamilien zwei erziehungswillige Eltern gibt.“
Auch dort, wo das nicht so ist, wo sich aber das andere Elternteil seiner Verantwortung entzieht oder gestorben ist, sind meist mehr Menschen als einer an der Erziehung beteiligt: Großeltern – neue Partner – oder auch einfach allgemein die Steuerzahler, die für die finanzielle Reproduktion sorgen.
Ich werde im Folgenden trotzdem den Begriff der „Alleinerziehung“ verwenden: nämlich für eine Form des Aufwachsens von Kindern, in der Elternteile – in aller Regel die Väter – aus der Beziehung zu ihren Kindern von den anderen Elternteilen ausgegrenzt werden, obwohl sie sich eigentlich an der Kindessorge beteiligen möchten. Ich unterscheide damit die Alleinerziehung von Situationen, in denen Eltern aufgrund von Notlagen – etwa dem Tod eines Partners, oder dessen Verweigerung der Kindessorge – getrennt vom anderen Elternteil die Sorge für Kinder tragen müssen.
Die folgende Kritik richtet sich also grundsätzlich nicht gegen solche Eltern. Sie richtet sich gegen eine Politik, die öffentliche Mittel einsetzt, um eine gemeinsame Erziehung beider Eltern zu erschweren, anstatt sie zu erleichtern und zu fördern.
Das Leben als Manövriermasse: Die Folgen für das Kind
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Abhängigkeit Kinder, die nur bei einem einzigen Elternteil leben, werden dadurch in ein erhebliches Abhängigkeitsverhältnis manövriert. Sie sind ja ohnehin existenziell auf die Sorge Erwachsener angewiesen, und bei nur einem Elternteil lebend, haben sie keine Alternative. Die Alternativlosigkeit radikalisiert die Abhängigkeit.
Anstatt dass mehrere Erwachsene sich über das Wohl des Kindes verständigen müssten, entscheidet ein einziger – in der Regel die Mutter – diskursfrei über sein Wohl. Das aber ist ein prinzipieller, nicht nur ein gradueller Unterscheid. Über das Wohl des Kindes wird so nämlich nicht in einer grundsätzloch gleichgewichtigen Beziehung zwischen Erwachsenen kommuniziert, sondern das Wohl des Kindes ist eingebunden in eine unheilbar asymmetrische Beziehung zwischen dem alleinerziehenden Elternteil und dem Kind selbst. Es liegt nahe, dass hier dessen Wohl schlicht unter die Interessen des alleinerziehenden Elternteils subsumiert wird: Gut für das Kind ist dann jeweils das, was dem Elternteil nützt.
Ohne Zeugen Während Mutter und Vater im Zusammenleben füreinander Zeugen dessen werden, was der jeweilige Partner dem Kind gegenüber tut, ist das meiste, was ein alleinerziehendes Elternteil mit dem Kind tut, dem Blick anderer Erwachsener entzogen. Das ist ungünstig auch dann, wenn nicht die Bereitschaft zum Machtmissbrauch unterstellt wird.
Die enorme, ausschließliche Abhängigkeit des Kindes in der Alleinerziehung wird durch das Fehlen von Zeugen noch verschärft, und das kann auch dann schädigend sein, wenn das alleinerziehende Elternteil in bester Absicht handelt – aber eben niemals eine zweite, erwachsene Perspektive auf sein Handeln erlebt.
Vermeidung von elterlicher Kommunikation Die Alleinerziehung legt eine Vermeidung der Kommunikation zwischen den Eltern in besonderer Weise nahe.
Das alleinerziehende Elternteil kann sich fragen, warum es denn eigentlich seine Entscheidungen im Alltag mit einem anderen Elternteil absprechen sollte, das alle zwei Wochen mal zu Besuch erscheint und dann ein nettes Wochenende mit dem Kind verleben kann. Aus dieser Perspektive kann die Bereitschaft zur Kommunikation als Einschränkung eigener Handlungsmacht erscheinen.
Das ausgegrenzte Elternteil wiederum muss sein Leben ohne Kind selbstständig gestalten, vielleicht mit neuer Familie – und kann ebenfalls eine starke Motivation haben, aus diesem Leben nicht immer wieder durch die Kommunikation mit dem anderen Elternteil gerissen zu werden.
Für das Kind aber ist das Verschwinden elterlicher Kommunikation fatal. Das Kind schließlich lebt in beiden Welten – das tut es selbst dann, in seiner Fantasie und seinen Bedürfnissen, wenn es das ausgegrenzte Elternteil überhaupt nicht mehr sieht. Unterschwellig, aber beständig delegieren die Eltern damit ihre Verantwortung für die Kommunikation an das Kind, das aus eigenen Mitteln immer wieder die Distanz überbrücken muss, in der die Eltern sich eingerichtet haben.
Das Kind als Erwachsener Die Abwesenheit des Partners und der Kommunikation mit ihm ist aber möglicherweise nicht nur für das Kind schmerzlich – auch das alleinerziehende Elternteil kann sie als Einsamkeit, als Überforderung oder als beides erleben. Das ist auch deswegen schwerwiegend, weil das Kind ja als enger familiärer Kontakt beständig verfügbar ist. Die Form der Alleinerziehung legt es also nahe, dass das Kind – auch wenn dies vom alleinerziehenden Elternteil gar nicht beabsichtigt ist – in die Rolle eines Partners manövriert wird.
Auch eine Rollenumkehr, eine „Parentifizierung“ des Kindes liegt in einer solchen Situation besonders nahe, weil das Kind sich für das Elternteil und seine Situation natürlich verantwortlich fühlt.
Armutsrisiko Ökonomische Schwierigkeiten verstärken die sozialen und entwicklungspsychologischen Schwierigkeiten noch, sind aber auch schon für sich genommen eine erhebliche Belastung.
Die Form der Alleinerziehung ist das größte Armutsrisiko für Kinder – europaweit, also unabhängig von allen sozialen Unterstützungsmechanismen. Das ist leicht zu erklären. Erwerbsarbeit, Kindessorge und Hausarbeit lassen sich von zwei Erwachsenen nun einmal deutlich ökonomischer erledigen als von einem. Das Armutsrisiko der Alleinerziehung ist untrennbar an diese Form der Kindessorge gekoppelt, es ist kein Resultat zu schwach ausgebauter Unterstützungssysteme.
Wer konstruktiv agiert, wird bestraft: Die Folgen für das alleinerziehende Elternteil
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Armut, Einsamkeit, Überforderung Doch auch für die beteiligten Erwachsenen hat diese Form der Kindessorge erhebliche Nachteile. Vom Armutsrisiko ist selbstverständlich auch das alleinerziehende Elternteil betroffen, bis hinein in die eigene Rente – also auch noch mit langer Nachwirkung.
Einsamkeit und Überforderung wiederum sind natürlich auch für dieses Elternteil selbst belastend und nicht allein deshalb ein Problem, weil sie sich auf das Kind auswirken.
Von Unerwünschtsein väterlicher Sorge Nichtverheiratete Mütter und Väter haben weiterhin kein gemeinsames Sorgerecht ab Geburt des Kindes, sondern Väter müssen dieses Recht erst eigens beantragen. Damit signalisiert die gegenwärtige Familienpolitik Vätern, dass ihre Kindessorge verzichtbar und auch nicht unbedingt erwünscht sei.
Tatsächlich gibt es jenseits der Selbstorganisation in versprengten Vätergruppen so gut wie keine Unterstützung für Väter, die von Müttern aus der Beziehung zum Kind hinausgedrängt werden. Es gibt aber auch kaum Unterstützung für Mütter, die sich entziehende Väter stärker einbinden möchten. Unterschwellig wird so beständig deutlich, dass eine Einbeziehung von Vätern in die Kindessorge bis auf Weiteres eigentlich nicht erwünscht sei.
Das hat, neben ausgegrenzten Vätern, ausgerechnet für eben die Mütter negative Folgen, die mit den Vätern gemeinsam für ihre Kinder sorgen möchten – während Väter, die sich entziehen, damit ebenso gut leben können wie Mütter, die Väter aus der Kindessorge herausdrängen.
Immer zugleich drinnen und draußen: Die Folgen für das ausgegrenzte Elternteil
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Verlust des Kontakts zum Kind So geraten dann auch insbesondere Väter, natürlich der weit überwiegende Löwenanteil der ausgegrenzten Elternteile, in eine sehr bedrückende Situation. Gelegentliche Besuche – in der Regel alle zwei Wochen zum Wochenende – können eine reale elterliche Sorge nicht ersetzen und nicht einmal simulieren. Der etablierte Zwei-Wochen-Rhythmus erlaubt es den beteiligten Erwachsenen, ihr Leben weitgehend ungestört zu organisieren, bietet aber für eine reale Eltern-Kind-Beziehung zu wenig Raum und zu wenig Verlässlichkeit.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Druck, sich mit diesem Modell zu arrangieren, gleichwohl sehr groß ist – die Alternative ist schließlich der noch weiter gehende Verlust des Kontakts zum Kind.
Finanzielle Nöte Auch Väter geraten in erhebliche finanzielle Notlagen – wenn sie denn überhaupt erst einmal die absurde Situation realisieren können, dass sie eben deshalb in beträchtlichem Maße zu Zahlungen an die Mutter verpflichtet sind, weil diese Mutter den Kontakt zwischen Kind und Vater weitgehend begrenzt. Wenn Väter zusätzlich zu den Unterhaltszahlungen die Umgangskosten – die zum Beispiel in meinem Fall etwa 700 Euro im Monat betragen – nicht aufbringen können, dann gibt es keine Hilfe, weder für sie selbst, noch für das Kind, das formell einen Anspruch auf Umgang mit dem ausgegrenzten Elternteil hat.
Projektionsflächen Die besondere Situation des Vaters – untrennbar zum Leben des Kindes und auch dem der Mutter dazuzugehören und zugleich daraus ausgegrenzt zu sein – lädt zudem in einzigartiger Weise zu Projektionen ein. Das bedeutet: Die Ressentiments gegen Väter, die einer väterausgrenzenden Gesetzgebung und Ausrichtung von Institutionen zu Grunde liegen, schaffen sich Bedingungen, in denen sie sich selbst beständig bestätigen können. Auffällig ist zum Beispiel, wie stark ideologische Begründerinnen der Väterausgrenzung – Anita Heiliger ist ein einschlägiges Beispiel – auf den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an Väter fixiert sind.
Möglicherweise spiegelt sich in diesem Vorwurf eben das Bedürfnis nach einer Einverleibung, das sich in dem Anspruch einer Mutter ausdrückt, das Kind ganz für sich allein haben zu wollen. Dass die Mutter dann in dieser Weise problematische Aspekte ihres eigenen Agierens auf den Vater projiziert, kann danach dann wiederum als Legitimation seiner weiteren Ausgrenzung dienen.
Angesichts so offenkundiger, breit gefächerter und insgesamt massiv nachteiliger Folgen der „Alleinerziehung“ ist es eben kein Ausweis einer „modernen Familienpolitik“, diese Form der Kindessorge besonders zu fördern. Eine moderne Familienpolitik würde es stattdessen fördern, dass Eltern – gerade auch nach Trennungen – gemeinsam die Verantwortung für ihre Kinder tragen, dass sie so ihre Verantwortung als Erwachsene wahrnehmen und sie nicht ihren Kindern aufladen.
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