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Die unmodernen Wurzeln einer modernen Geschlechterpolitik

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Eine moderne Familienpolitik würde nicht etwa die sogenannte „Alleinerziehung“ fördern, sondern darum besorgt sein, dass Eltern – gerade auch nach Trennungen – gemeinsam die Verantwortung für ihre Kinder tragen. Mit dieser Feststellung endete der letzte Text hier im Blog. Dass die Politik des „Familienministeriums“ und die deutsche Gesetzgebung der mütterlichen Alleinerziehung faktisch Vorrang vor der gemeinsamen Erziehung durch beide Eltern einräumen, ist schädlich für Kinder, es ist schädlich für Väter, und es ist such schädlich für Mütter.

Wenn aber der Schaden so umfassend ist: Wem nützt denn dann eigentlich diese Politik?

Abgesehen von Lobbyistinnen profitieren ausgerechnet die Eltern von dieser Politik, die eben nicht im Interesse ihrer Kinder agieren: Mütter, die Väter aus der gemeinsamen Verantwortung ausgrenzen – und Väter, die sich auf Kosten der Kinder und der Mütter ihrer Verantwortung entziehen. In selteneren Fällen ist es auch umgekehrt.

Wie aber ist es möglich, dass uns eine Politik als ganz normal erscheint, die ein kindsschädigendes Elternverhalten fördert, ja sogar züchtet – während sie es Eltern beiderlei Geschlechts, die im Interesse ihrer Kinder agieren wollen, das Leben schwer macht?

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Ist das tatsächlich ein angemessenes Modell einer modernen Familienpolitik?

Wir haben uns offenbar in einem langen Prozess daran gewöhnt, destruktive familiäre Konstellationen als etwas ganz Normales wahrzunehmen, während uns konstruktivere Modelle als ungewöhnlich, riskant und als fragwürdig erscheinen.

 

Verherrlichte Mütter und verschwundene Väter

Das zwanzigste Jahrhundert war ein Jahrhundert des massenhaften Vaterentzugs. Im Ersten Weltkrieg wurden Millionen Väter auf den Schlachtfeldern getötet, und die Generation der Kinder und Jugendlichen, aus der viele ihre Väter verloren hatten, gehörte dann zu denen, die selbst in den Zweiten Weltkrieg zogen. Dort verloren dann noch einmal sehr viel mehr Kinder ihre Väter.

In den Jahrzehnten des Aufbaus nach dem Weltkrieg und der Restauration eines bürgerlichen Familienmodells waren Väter dann beruflich absorbiert. Als schließlich in den Siebziger Jahren die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen endlich wieder eine Anwesenheit von Vätern in den Familien ermöglicht hätten, wurde das Trauma des Vater- und Kindesentzugs auf juristisch-administrative Weise fortgesetzt: Nach Trennungen blieb von den Vätern nicht viel mehr übrig als die Pflicht zur finanziellen Versorgung von Kind und Mutter.

Der ideologische Höhepunkt einer Politik des Vaterentzugs aber, ihre geradezu mystifizierende Zuspitzung hatten Deutsche schon Jahrzehnte zuvor erlebt: Der nationalsozialistische Mutterkult war ein Kult der Entfernung von Vätern aus den Familien und zugleich eine Phantasie des innigen Verschmelzung von Mutter und Kind.

Das Buch „Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos“ der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken kulminiert in mehreren Kapiteln über die nationalsozialistische Mutterverehrung, die überraschend aktuell sind.

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Im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Familienpolitik stand nach Vinken eben nicht die bürgerliche Familie:

„Die Familie wurde im Volkskörper aufgelöst. Der nationalsozialistische Gesellschaftsraum teilte sich nicht mehr in die geordnete Staatliche Sphäre des Mannes und die private Liebeswelt der Familie. Dieses Modell des bürgerlichen Staates sollte im Dritten Reich überwunden werden.“ (Seite 228)

Das hätte Folgen für die Position von Vätern und Müttern gehabt, deren Beschreibung gespenstisch aktuell klingt:

„Mutterschaft, von Sexualität geläutert, wurde aus der Institution Familie gelöst und zum Ideal erhoben. Die Institution der Ehe spielte keine Rolle mehr. Die Rolle des Vaters schrumpfte auf die Rolle des erbgesunden und rassisch reinen Begatters und, wenn möglich, Ernährers; stellvertretend sprang die Volksgemeinschaft, verkörpert im Führer (…), ein.“ (230)

Das Ziel einer „vaterlosen Gesellschaft“, so schrieb Matthias Matussek sehr viel später im Jahre 1998 und im Kontext einer ganz anderen politischen Ordnung, sei „die zertrümmerte Restfamilie, in der der Staat als ideeller Gesamtehemann für Versorgung, Begünstigung und Hilfe sorgt.“ 

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Der Sohn schon in Uniform: Ein nationalsozialistisches Idealbild einer Familie.

Das Pendant zur verherrlichten Mutter ist damit der verschwundene Vater – und im nationalsozialistischen Ideal war natürlich immer schon klar, wohin der Vater verschwinden würde. Das männliche Pendant zur Mütterlichkeit sei, so Vinken, „das Opfer im Krieg“ (211) gewesen.

 

Inzest, Tod und Totalitarismus

So aber bekommt dann insbesondere das Mutter-Sohn-Verhältnis einen ganz eigenen, ebenso inzestuösen wie religiös überhöhten Charakter.

„An die Stelle des Opfertodes am Kreuz tritt der Tod des Sohnes im Krieg. Er wird nicht mehr von seinem Vater, sondern von seiner Mutter dem Heil der Welt geopfert.“ (237)

Vinken interpretiert Ina Seidels 1930 veröffentlichten und ungemein erfolgreichen Roman Das Wunschkind als „das Buch der deutschen Mutter, ihr Programm“.  (198) Er erzählt die Geschichte der jungen Witwe Cornelie Echter von Mespelbrunn und ihres Sohnes Christoph, der schließlich 1813 als Soldat im Kampf gegen die französische Armee fällt. Vinken arbeitet die enge Verbindung zwischen dem Tod des Sohnes und seinem Aufgehen in der Mutter-Sohn-Beziehung heraus.

„Ihre Söhne lernen von ihr nicht leben, sondern sterben – aus Liebe zu Deutschland. Durch Rückkehr in den Mutterschoß werden sie zu Männern. Ihr Selbstopfer für Volk und Nation wird mit der Rückkehr in den mütterlichen Schoß einer weiblich identifizierten Heimat belohnt.“ (199)

Der inzestuöse Unterton dieses Verhältnisses werde im Roman durchaus explizit. Vinken zitiert daraus:

„Das Kind reckte verlangend die Ärmchen. Sie…drückte ihn an ihre Brust und sank mit ihm zurück in die Kissen. Der erst seit wenigen Wochen Entwöhnte…drängte sich mit suchendem Munde an sie; sie ließ ihm, was er wollte, und lag ganz still (…)“ (199)

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Die Verschmelzung von Mutter und Sohn aber ist eben keine romantische Verschmelzung zweier erwachsener, gleichberechtigter Liebender. Der Sohn geht in der Mutter auf, so wie er später als gerade erwachsener Mann eines wird mit der Heimaterde.

„Sohn und Mutter sind das geschichtsmächtige Paar, Geburt und Krieg werden im Opfer parallelisiert. Das Opfer des Sohnes im Krieg entschädigt gewissermaßen das Opfer der Mutter während der Geburt. Der tote Sohn geht inzestuös in die Muttererde ein und lebt dort ewig fort.“ (215)

So sehr dieses Muster auch archaisch wirkt, so ist es doch durch und durch geprägt von der zeitgenössischen Politik. In der mutterkultischen Phantasie ist die deutsche Mutter die Schnittstelle zwischen Mensch und Staat, die das Verschwinden des Einzelnen im Volksganzen und damit schließlich im totalitären Staat garantiert.

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Der Verherrlichung des Todes auf dem Schlachtfeld hat also nicht nur eine militärisch-pragmatische Bedeutung, als Bereitstellung von Kanonenfutter – in ihr kulminiert auch die totalitäre Phantasie, die von der Existenz des Einzelnen nichts übrig lässt.

Damit hat die Mutter dann im nationalsozialistischen Staat den zentralen Stellenwert, den im republikanischen Staat der Bürger hat.

„Die Mutter, verkündete Adolf Hitler, sei die wichtigste Bürgerin in seinem Staat.“ (217)

Während aber bürgerliche Rechte und bürgerliche Verantwortung von allen wahrgenommen werden können, ist die Funktion der Mutter auf Frauen beschränkt. Das Verschwinden der Männer ist in der Mutterverherrlichung also schon angelegt – jedenfalls das Verschwinden des überwiegenden Teils der Männer, der nicht als „Führer“ oder in anderen Positionen den nationalsozialistischen Staat repräsentiert.

So wie das Kind in der Mutter aufgeht, geht also auch der Mann im totalen Staat auf.

„Religiös erhöht wird nicht mehr die Kleinfamilie, sondern die Beziehung zwischen Mutter und Sohn.“ (212)

 

Von der Geschichtvergessenheit moderner Geschlechterpolitik

Gerade weil aber dieses mutterkultische Modell radikal von der zeitgenössischen Politik geprägt war, wäre es trotz augenfälliger Ähnlichkeiten krumm, die Politik einer Verherrlichung der mütterlichen Alleinerziehung als geradlinige Fortsetzung dieses Kults zu begreifen. Es sind eben ganz andere politische Rahmenbedingungen, die sich darin ausdrücken.

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Was bleibt, ist jedoch, dass diese Politik radikale Abhängigkeiten produziert: Abhängigkeiten sowohl des Kindes von der Mutter als auch der Mutter von staatlicher Unterstützung. Es ist in diesem Sinne keine liberale Politik, sondern tendenziell eine autoritäre.

Hätten wir zudem den Mutterkult jemals als den zentralen Bestandteil nationalsozialistischer Politik verstanden, der er war – und hätten wir uns mit dem Kult der deutschen Mutter ähnlich intensiv auseinandergesetzt, wie wir uns zurecht mit anderen zentralen Elementen dieser radikalen Gewaltherrschaft auseinandergesetzt haben: Dann wären wir deutlich skeptischer gewesen gegenüber einer Politik, die sich als moderne Familien- und Geschlechterpolitik ausgibt.

Einen Feminismus, der Frauen im Anschluss an Verherrlichungen der Mütterlichkeit als die besseren Menschen hinstellt und der „Frauenpolitik (…) als Kampf gegen männlichen Egoismus“ betreibt, bezeichnet Vinken als „ethischen Feminismus“. Sie bringt ihn direkt mit einem nationalsozialistischen Geschlechterbild in Verbindung:

„Es ist für den ethischen Feminismus kennzeichnend, dass er an einer Mütterlichkeitspolitik als Bollwerk gegen das Böse festhält. Für Vertreter der Richtung des ethischen Feminismus mutierte der Nationalsozialismus unversehens zu einem Krieg von Männern gegen Mütter (…) Erstens sind die Mütter Männern moralisch überlegen. Zweitens ist die männliche Welt eine kalte Welt des ungezügelten Karrierismus, der kaltblütig bis zum Morden geht. Und drittens gibt es ein Wesen des Mütterlichen, vom welchem das weibliche biologische Geschlecht nicht zu trennen ist.“ (247/48)

Das nationalsozialistische Modell konnte seinerseits Mütterlichkeitsphantasien der bürgerlichen Frauenbewegung aufgreifen, die sich von der Forderung nach gleichen Rechten, gleichen Pflichten aus der proletarischen Frauenbewegung distanziert hatte.

Heute wiederum ist es unverkennbar, dass eine Familienpolitik an mutterkultische Modelle anknüpft, die das Mutter-Kind-Verhältnis idealisiert und das Verschwinden des Vaters aus der Familie als „Befreiung“ feiert – so wie die mutterkultische Feministin Anita Heiliger das in ihrem einschlägigen Text Alleinerziehen als Befreiungihrer Dissertation im Jahr 1990, getan hat.

Das Opfer des Vaterentzugs, das dem Kind abverlangt wird – und das Opfer der Ausgrenzung aus Familie und Kindesbeziehung, das der Vater bringen muss – haben in diesem Denken also immer noch eine befreiende Funktion. Nun befreien sie lediglich nicht mehr das Volk von der fremden Besatzung, aber immerhin die mütterliche Repräsentantin des Volkes von der Begrenzung durch den Vater.

Der strukturell inzestuöse Charakter der vereinnahmenden Mutter-Kind-Beziehung lässt sich dabei wiederum als Vorwurf auf den Vater projizieren: Heiligers zweites großes Thema, neben der Verherrlichung der mütterlichen Alleinerziehung, ist die Vorstellung des Vaters als kindesmissbrauchendem Gewalttäter.

Diese projektive Gut-Böse-Aufteilung zwischen Frauen und Männern ist ein zweiter Aspekt, mit dem im heutigen Feminismus eben auch die nationalsozialistische Geschlechterpolitik fortgesetzt wird. Eine wesentliche Vermittlung zwischen den Geschlechterbildern der Dreißiger Jahre und einem heutigen Feminismus war Margarete Mitscherlichs Text Die friedfertige Frau aus dem Jahr 1987.

Mitscherlich übernimmt die schroffe Trennung eines weiblichen, friedlich-mütterlichen und eines männlichen, soldatisch-gewalttätigen Bereichs. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist für Mitscherlich dank der Abwesenheit der Männer und der Beschäftigung der Frauen in der Kriegswirtschaft eine Zeit, in der Frauen gelernt hätten, „sich gesellschaftlich zu behaupten“. Die anschließende Friedenszeit nimmt sie hingegen als eine „Welle konservativer und regressiver Konsolidierung der Familien- und Geschlechterverhältnisse“ wahr.

Dass Mitscherlichs irritierende Identifikation mit der nationalsozialistischen Geschlechterpolitik übersehen werden konnte, hatte einen einfachen Grund: Gerade weil Männer in der recycelten Version dieser Politik als das gewalttätige, Frauen aber als das friedfertige Geschlecht präsentiert wurden, konnten eben Männer auch pauschal für die Gewalt des Nationalsozialismus verantwortlich gemacht werden.

Wer aber gewohnt ist, immer nur die anderen als Nazis wahrzunehmen, wird natürlich blind für faschistoide Aspekte des eigenen Denkens.

Dieses Muster setzt sich heute vielfältig fort: In der pauschalen Darstellung von Kritikern feministischer Politiken als rechts, als reaktionär, gar als Nazis oder Breivik-Fans zum Beispiel – oder in einer Geschlechterpolitik wie der Manuela Schwesigs, die allein Männer als Gewalttäter präsentiert und allein Frauen das Anrecht auf Schutz vor Gewalt zubilligt.

Doch auch hier wäre es zu einfach, die Zuweisungen schlicht zu spiegeln und ebenso pauschal von einem „Femi-Faschismus“ zu sprechen. Barbara Vinken beispielsweise knüpft, wenn ich es richtig sehe, an einen liberalen und republikanischen Feminismus an, den besonders die französische Autorin Elisabeth Badinter repräsentiert. Männer würden ihrerseits projektiv agieren, wenn sie einen solchen Feminismus pauschal in faschistische Traditionen stellten, mit denen er überhaupt nichts gemein hat.

Manuela Schwesig wiederum ist natürlich keine Faschistin, aber sie ist geschichtsvergessen. Daher ist von ihr ebenso wenig wie von den meisten anderen der heute tonangebenden deutschen Feministinnen auch nicht zu erwarten, was eigentlich anstünde: Sich um eine Geschlechter- und Familienpolitik zu bemühen, die einer Demokratie gemäß ist und die sich mit destruktiven historischen Traditionen distanziert auseinandersetzen kann.

 

Soweit nicht verlinkt, stammen alle Zitate aus:

Barbara Vinken: Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos, Frankfurt am Main 2011 (1: 2007)


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